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Sprache ist Heimat

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Wie könnte man seiner besser gedenken, als daß man zunächst die Erinnerung an einen der Abende im überfüllten Saal des Palais Pälffy wachruft. Er las damals seine Erzählung Die Rippe der Großmutter, ein Stück Autobiographie, in der das Versinken des alten österreichisch- böhmischen und das Heraufdäm- mem des neuen republikanischen Prag zu einer Tragikomödie voll köstlicher Skurilität verdichtet war und in eine ergreifende Parabel der Weisheit mündete. In der ersten Reihe saß Heimito v. Doderer und bot das einzigartige Schauspiel, wie sich das Gelesene im Gesicht des gespannt Lauschenden widerspiegelte.

‘.Caum hatte Urzidil geendet und begeisterter Beifall eingesetzt, da eilte Doderer auf das Podium und umarmte Urzidü in einer Regung spontaner Herzlichkeit. Das war die Huldigung für die Menschlichkeit, die gütige, weise, liebevolle Schicksals- kundigkeit eines alten Freundes. Und sie galt zugleich dem „dolce novel- lar“, der großen Erzählkunst, die bei aller Breite und farbigen Wohlgefälligkeit der Einzelheiten immer wieder das Eigentliche, Wahre, Unverdorbene herauszustellen wußte.

Den Prager hatte es schließlich nach Amerika verschlagen, nachdem ihm die Heimat (im Stifter- oder Eichen- dorff^chen Sinne) genommen war, als die fremden Schergen in Prag einzogen „und fingen einen jeglichen aus jeglicher Tür“. Dort, in Amerika, hatte sich der ursprüngliche Lyriker zum Epiker gewandelt, das gute, echte, traditionsvolle und blühend lebendige deutsche Sprachgewand seiner Prosa geschaffen. Goethe hat einmal gesagt, man möge die Dinge nur ruhig auf sich wirken lassen und den gemäßen Ausdruck dafür suchen. Das könnte fast auf einen seiner geistigen Nachfahren, auf Urzidil, zutreffen, dessen schwer errungene innere Klarheit sosehr aus seinen Worten strahlt. Mit Goethe verband ihn ein inniges, verehrungsvolles Verhältnis (ihm widmete er sein in jeder Weise in sich vollendetes Buch Goethe in

Böhmen), und mit einer an seinen Landsmann Adalbert Stifter erinnernden Liebe zum Kleinsten und Ge- riiigsten, nahm er die großen Dimensionen des Lebens, seines Lebens wahr. Auch an Stifters „Maß“ mag Urzidil Gemeinsames gefunden haben, wenn er (in einer seiner Erzählungen) allen Künstlern ans Herz legt, „bei ihren Leistungen lieber nicht zu ihren äußeren Möglichkeiten vorzustoßen,weil nur das überlegene Einbehalten, das umsichtige Ausgesparte, das, was man nicht ausführt, sondern ausführen zu können nur andeutet, die unabsehbare delphische Perspektive freiläßt.“ Urzidils Kunst der anschaulichen, geruhsam fließen 1 gestern, sich zu sinnbildhafter Bedeutung erhebt. In Urzidils Darstellung verbanden sich die konkret faßbaren Schauplätze der Stadt, in der Mythos, Geschichte und Gegenwart geschäftig durcheinanderwogten, mit den schöpferischen Träumen des Dichters. Sie erfüllten sie und machten die Hintergründigkeit dieser „alten Zauberstadt“ mit ihren vielen „unbegreiflichen und sonst nie gesehenen Dingen, Worten, Charakteren und Begebenheiten“ spürbar. Urzidils Dichtung war in hohem Maße Erin- nerumgskunst, in der sich Traum und Wirklichkeit durchdrangen. Darum war ihm Prag Die verlorene Geliebte, wie er ein Buch um das Land der Kindheit, das verlorene Paradies, benannte, und selbst sein Amerika- Roman Das große Halleluja, dieser Hymnus auf das Leben und die Welt, galt ebenso seinem Dasein in Amerika wie seiner Jugendzeit in Prag.

„Heimaten im früheren Stil“ gebe es nicht mehr, hieß es im „Großen Halleluja“, aber dafür fand er Halt und Zuflucht in der Sprache, in der er dachte und schrieb. Denn: „Die Sprache ist meine Heimat“, bekannte Urzidil. Leidenschaftlich verteidigte er das oft genug gelästerte, dialektfreie Pragerdeutsch, das bis in sein melodisch leises „Böhmakeln“ hörbar war. Dem Vorwurf (nach Peter Demetz) des Mangels an Natur und Versteinerung, des verarmenden Wortschatzes einer harten, fast abstrakten Sprache, in der es kaum mehr Worte für Farben, Glanz und Wärme gebe, begegnete Urzidil mit der Überzeugung, daß sich das Deutsch seit dbfh Mittelalter gerade aūf-Mėr Pfagėr SprachWs^l unversehrt erhalten konnte, „weil es den verschledfenden und dialektisieren- den Einwirkungen des Provinzialen und Landschaftlichen nicht unterworfen war“. Das aber sei für die Literatur „ein einzigartiger Segen“ gewesen, schrieb Urzidil in einem seiner Essays, die der „Erscheinung Kafkas im Prag des Expressionismus“ gewidmet waren. Denn seit eh und ie dichteten Prager Deutsche in der Sprache, in der sie lebten und sie auch tagsüber sprachen. Für die Deutschsprachigen habe zwischen Dichtung und Lebenssprache niemals eine Kluft bestanden, und darum sei auch kein „inneres, noch so unbewußt vollzogenes Umschatten“ nötig gewesen. Und dann gelangte Urzidil zu einer einzigartigen und so vieles erhellenden Erkenntnis: „Diese völlige Koinzidenz der Sprache des Lebens mit der des Dichtens ist wahrscheinlich das stärkste Form- und Wir- kunsgeheimniis der Prager Dichter, … das Geheimnis einer inneren Identität, die Wir Prager solange als möglich gehütet haben und die mit uns Letzten entschwindet.“

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