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Stalins Erben

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Schon 1985 erschien ein eher schmales, aber seiner Erkenntnis nach sehr gewichtiges Buch von dem in Graz lehrenden Philosophen Ernst Topitsch, dessen Inhalt, wenn politische Spannung im Westen aufkommt, nie vergessen werden sollte.

Topitsch vertritt darin die nur im ersten Moment kühn wirkende, bald jedoch evidente These, daß der eigentliche Anstifter und Sieger “ des Zweiten Weltkriegs Stalin gewesen sei. Gleich möchte ich hinzufügen, daß dadurch Hitler keineswegs entlastet wird, jedoch an Statur und Intelligenz verliert.

A ber er sei, so Topitsch, ein reichlich unkluges Werkzeug des großen taktischen Meisters Stalin gewesen. Durch den Pakt mit Hitler ermutigte er diesen, den Krieg zu beginnen, um damit ebenso ihn wie auch die Westmächte zu schwächen. Wären einmal Hitler und die „kapitalistische Welt“ in einen Krieg miteinander verwickelt, konnte Stalin nur gewinnen.

Zwar unterschätzte er dann die Schlagkraft der deutschen Armeen und mußte die Invasion bis knapp vor Moskau hinnehmen. Nach dem Eintritt der USA in den Krieg aber habe Stalins Triumph begonnen — und er hält über Jalta, über die Etablierung der heutigen Volksdemokratien hinaus, so Topitsch, bis heute an.

Der eindeutige Hauptgewinn liege bei der UdSSR, die eine Weltmachtstellung errungen habe, wie sie diese in der Geschichte noch nie eingenommen hätte. Bei Hitler blieben die Schuld, das Verbrechen, die historische Last des Kriegsbeginners.

Topitsch betont die Bedeutung der „psychologischen Kriegsführung“, die es verstehe, die Schuld jeweils den Gegner begehen zu lassen, selbst aber nicht nur moralisch, sondern ebenso ganz reell den Nutzen zu haben.

Man betrachte die Landkarte und die Rolle der UdSSR heute - wer könnte daran zweifeln. Die westlichen Sieger über Hitler hätten ihre Kolonien verloren und ihre Weltposition, nur die USA verfügten über globalen Einfluß. Die „kapitalistische“ Vorkriegswelt habe jedenfalls Schaden erlitten.

Hier schließe ich meine kulturelle Konklusion an: Moskau bezeichnete sich einst als „)rittes Rom“, als die Erbin von Konstantinopel. In Rom und Byzanz saßen die Virtuosen der psychologischen Kriegsführung, die ihre Gegner erst einmal aufeinander hetzten, sie sehr geschickt zu Angriffen, zu haßvollen Kriegen gegeneinander mobilisierten, um dann als eigentliche Sieger zu triumphieren.

Stalin war ein ausgezeichneter Schüler von Byzanz. Und wir sollten nicht vergessen, daß.trotz Michail Gorbatschow auch heute noch sehr gelehrige Erben von Stalin im Kreml am Werk sind.

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