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Studium ohne Matura?

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Derzeit liegt ein Gesetzesentwurf über „Vorbereitungslehrgänge für die Hochschulreifeprüfung“ im Parlament, der die Erleichterung des Zuganges von Nichtmaturanten an österreichische Universitäten zum Inhalt hat. Es ist verständlich, daß diese Initiative zu kontroversiellen Stellungnahmen geradezu herausfordert.

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Derzeit liegt ein Gesetzesentwurf über „Vorbereitungslehrgänge für die Hochschulreifeprüfung“ im Parlament, der die Erleichterung des Zuganges von Nichtmaturanten an österreichische Universitäten zum Inhalt hat. Es ist verständlich, daß diese Initiative zu kontroversiellen Stellungnahmen geradezu herausfordert.

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Grundsätzlich ist eine derartige Initiative zweifellos begrüßenswert, man muß sich nur fragen, inwieweit die Praxis den legistischen Aufwand rechtfertigen wird. Denn auch nach der geltenden Rechtslage gibt es bereits eine Hochschulzulassung für Nichtmaturanten durch die sogenannte „Berufsreifeprüfung“. Zwar hat sich diese Regelung als wenig effizient erwiesen, was die geringe Zahl von nur 192 Bewerbern (von denen wiederum nur ein Teil ein Hochschulstudium abgeschlossen hat) zwischen 1945 und 1963 deutlich zeigt.

Der Entwurf sieht nun die Installierung eines eigenen Vorbereitungslehrganges mit einer Schulungsdauer von zehn Monaten vor. Daß diese Einrichtung direkt dem Ministerium unterstehen soll, Ist verständlich, weniger akzeptabel erscheint jedoch die im Entwurf enthaltene Möglichkeit,

daß auch andere Körperschaften (wie z. B. Arbeiterkammer und Bundeswirtschaftskammer) derartige Lehrgänge einrichten können, weil hier offensichtlich ein volkshochschulähnlicher Weg beschritten werden soll.

In einer gemeinsamen Aussendung des ÖCV (österreichischer Cartell-verband) und MKV (Mittelschüler-Kartellverband), die zusammen rund 30.000 Mittelschüler und Studenten vertreten, wird auch eindeutig der Gedanken, „die Volkshochschule zum AHS-Ersatz zu machen“ abgelehnt.

In der Folge wird auch auf den Umstand verwiesen, daß heute der größte Teil der Berufstätigkeiten mit akademischer Ausbildung weniger die Anwendung von Spezialwissen umfaßt, als vielmehr die Problemlösung, die nicht durch eine spezielle, sondern nur durch eine allgemeine (insbesondere auch formale) Ausbildung möglich ist. Hier wird — wegen der Betonung des Spezialwissens — befürchtet, daß der Trend zum „Fachidiotentum“ verstärkt wird, während formale Techniken und Fähigkeiten, die in einer immer komplexer werdenden Gesellschaft zunehmend an Bedeutung gewinnen, auf der Strecke bleiben.

Man muß sich fragen, warum nicht

die im Ansatz bereits vorhandenen Versuche, den „Zweiten Bildungsweg“ forciert auszubauen, offensichtlich zugunsten dieser Vorbereitungslehrgänge wieder in Vergessenheit geraten sind. Hier gibt es eine Fülle von Vorschlägen und Möglichkeiten, wie zum Beispiel das Femschulwesen, die ORF-Akademie, den Ausbau der außerordentlichen Höheren Schulen sowie allgemein die Neuorientierung der Unterrichtsmethoden im Sinne der Selbstentfaltung, der Demokratisierung des Unterrichts usw.

Was den Entwurf betrifft, so werden auch formale Bedenken laut: der Bewerber muß sich nämlich einer Auswahlkommission stellen, die über die Zulassung zum Lehrgang entscheidet. In dieser Kommission ist zwar je ein Vertreter der Arbeiterund der Bundeswirtschaftskammer vertreten, was einleuchtend ist, da ja

insbesondere auch die bisherige Berufstätigkeit Aufschlüsse über den Bewerber gibt. Um jedoch eine fachlich und didaktisch einwandfreie Entscheidung zu gewährleisten, sollte diese Kommission noch um einen Universitätsprofessor sowie um einen Assistenten ergänzt werden.

Ein pikantes Detail am Rande: Art und Umfang dieser Ersatzreifeprüfung sind im Gesetz überhaupt nicht geregelt! Es heißt zwar im Paragraph 6 des Entwurfes, daß sich die Reifeprüfung auf den „gesamten Wissensstoff“ erstrecken soll. Wer aber die Erläuterungen zu Rate zieht, der findet nur die lapidare Auskunft, daß der Gesetzesentwurf den Prüfungsstoff genau bestimmen soll (!).

Es steht zu hoffen, daß die Experten noch vor Beschlußfassung über dieses Gesetz einen geeigneten Prüfungskatalog verfassen werden.

Man sollte diesem Gese+z — nach Bereinigung der enthaltenen Mängel — eine Chance geben; die Praxis der nächsten Jahre wird dann zeigen, inwieweit hier eine echte Möglichkeit für Spätberufene geschaffen wurde, oder ob — durch ein Senken der Anforderungen — tatsächlich dem akademischen Niveau kein guter Dienst erwiesen wurde.

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