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Sturm im Orchestergraben

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Aus der Perspektive der Logen ist das Orchester ein Auf und Ab aus Dunkel und Licht, aus Haar- und Schattenstrichen der musikalischen Kalligraphie; näher betrachtet erweist es sich als pointillistisches Bild einzelner Arbeitsplätze, über denen der Herr und Meister der Kapelle thront, er allein in stärkere Glanzeffekte getaucht und darum ein wenig geblendet von sich selber.

Er winkt in die kühle Dunkelheit hinab, seine Haare flattern bei energischen Tempi, die er mit seinem Stab aufwühlen möchte. Das Haupt des Dirigenten zuckt mit rot durchleuchteten Ohren über die Balustrade empor und taucht alsbald in einem Meer von Tönen unter.

Weitab von ihm geht der Pauker seinem Geschäft nach. Aber er spielt kaum die Pauke, er spielt den Privatmann, der die Bemühungen posaunender, bratschen-der und sonst eifrig bewegter Kollegen gedankenvoll herankommen läßt. Manchmal schraubt er lässig an der Bespannung der bauchigen Becken, die rechts und links vor seinen Knien liegen, kitzeit die Felle leicht, und das sind schon ernste Vorbereitungen zu seiner höchst vergänglichen Tätigkeit, die allein darin besteht, daß er zur rechten Sekunde weiße Lederbällchen ein paarmal lustig über die Trommelfelle hinhopsen läßt, rechts, links, noch zweimal rechts — Schwamm darüber (er breitet die Hände aus).

Der Pauker ist ein Privatmann mit doppeltem Wohnsitz, er kann sein Licht verlöschen und nebenan gehen, wo ein zweites Pult auf ihn wartet, manchmal tritt er ganz ab. Kehrt er nicht bald zurück, was eigentlich nicht vorkommen soll, verursacht das dem Dirigenten peinliche Zuckungen.

In der Mitte des Orchesters sind die Baßgeiger situiert. Sie unterhalten sich mit ihren Instrumenten wie mit einer wohlbeleibten Dame, die eine schlechte Gesellschafterin ist. Noch so liebenswürdig mögen sie sich ihr nähern, die Hochbusige steuert nichts zur Fortsetzung der Konversation bei. Man schmeichelt solch einflußreichen Frauen, weil man sie fürchtet. Einem der Männer scheint es gelungen zu sein, die Seine heimzuführen. Aber auch er ist in das Stadium getreten, wo man sich nichts mehr zu sagen hat, stumm umfängt er ihren Hals, erfolglos zupft er sie am Ohrläppchen.

Die Bläser gehören zum Volk der Korybanten, zumal die Fagottisten. Sie lecken genießerisch die Lippen, ehe sie den Schlauch der flötenden Töne an den Mund setzen. Ihre Antlitze sind rundlich, und die Augen bewegen sich darin als kleine Weltkugeln. Lauernd umkreisen sie die Miene der Dirigenten, ob er denn endlich das Zeichen zum Schlürfen geben will; dabei ist alles Täuschung, sie tun nur so, als ob ihnen herrlicher Wein aus den hölzernen Schläuchen zuflöße. Vielmehr blasen sie ihre eigene Seele in das klappernde Instrument, und rund und fa-göttlich windet sie sich an das Gehör der Besucher.

Eine einzige Frau gibt es unter den vielen starken Männern des Orchesters. Sie besitzt ein Boudoir mit einer goldenen Säule, an der sie versonnen lehnt, um ihr himmlische Harfentöne zu entreißen. Man weiß nicht welche Figur die Harfenspielerin haben mag, denn nur ihr Brustbild sieht, vielumworben, aus dem vergoldeten Rahmen hervor; um den Dirigenten scheint sie sich wenig Sorgen zu machen, ihre Augen schweigen nymphenhaft kühl, und das Gesicht ist facettiert. Manche Menschen machen es mit Büchern so; sie versammeln sie um sich, und in zehn, zwanzig Jahren wissen sie ohne Lektüre, was darin steht. So muß die Harfnerin, deren liebliches Minnen den goldenen Akkorden gilt, nach ein paar Jahren osmotischer Kunst manches wissen. Wie eine Seherin greift sie in die Saiten, die Finger lösen in einem graziösen Schwung, was sie der tönenden Menge um sich schweigend entlockt hat

Das — über die Saiten — fahrende Volk der Streicher aber erinnert an ein wogendes Kornfeld, welches sich dem Sturmwind beugt, der, mit Blitzen unterspickt, vom Kommandostand des Dirigenten ausgeht. Man wundert sich, daß die wallenden Gewänder der Sänger auf der Bühne nicht von ihm erfaßt und ins Wirbeln gebracht werden.

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