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Beschreibung einer Notenschlacht

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Noch ehe der Dirigent den Taktstock gehoben hat, veiß das Orchester, ob es mit ihm wird leben können. Für den Zuhörer verhält sich das anders. Er ist bereit, sich der Musik hinzugeben, aber er muß vorher einen Zustand von Sammlung erworben haben; er sieht zuerst den Dirigenten an. Wie wird er den Einsatz geben, wie das Pianissimo meistern?

Er ist ein neuer Mann, der zur heutigen Matinee die Bühne betreten hat, ängstlich, wie es scheint, vor dem. anspruchsvollen Orchester, und ernst vor seiner verantwortungsvollen Aufgabe. Die Noten füllen sein Gehirn, er muß darin die Klarinette wie das Fagott, die Harfe wie den Baßgeiger unterbringen und darf darüber nicht den Duktus der Komposition vergessen. Er hat keine

Partitur mit, was ehrenvoll und mühsam ist. Darum zwickt er auch das linke Auge ein, als schmerze ihn eine Wimper, hebt die Braue und bleckt den Eckstiftzahn. Das Spiel kann beginnen.

Wie sieht er eigentlich aus, der bedeutende Mann? Wie ein junger Delikatessenhändler, um nicht den ehrbaren Stand der Reisevertreter hereinzuziehen. Er musterte seine Ware, bietet seine Assortiments manierlich an, dann spitzt er die Lippen, zupft aus dem ersten Geiger ein zweigestrichenes C heraus.

Aber es mundet nicht: angeekelt wirft er es wieder von sich und riecht nun an der perlenden Skala, die die Harfe herunterrollt. Das ist ein Vergnügen, das ist eine wahre Duftorgie. Leider aber stören die angriffslustigen

Trompeter den Genuß. Sie bekommen geschwind eine auf den Deckel und huschen erschrocken davon. Jetzt aber, siehe da! Ein schneidender Schmerz fährt dem Mann durch den Leib, er leidet herzzerreißend, denn das süße Holz ist ihm in die Seite gefahren. Viel zuviel Holz.

O, das tat weh; aber schon reitet von den Bässen eine Entzückung daher, die immer brausender und immer beglük-kender wird, bis ein paar harte Nacken-

schläge der Pauke ihr ein Ende setzen. Punktum, basta. Es sollen doch die Geigen zu schluchzen beginnen. Auch sickert lieblicher Zymbelton durch das Gebälk, und nun bläst ein Sturm durch die Instrumente, der auch den letzten Zuschauer wegfegt und zu einem hingerissenen Zuhörer macht. Die Welt wird nicht mehr lange stehen, wenn es so weitergeht.

Ein Glück nur, daß der jähe Blitz einer Tschinelle der stürmischen Verzauberung Einhalt tut. Aus, Silentium, damit das Ächzen und Röcheln da hinten um so deutlicher wird, aus dem schamgeboren eine Melodie in Umrissen von blanker Üppigkeit hervortritt, um -hast du’s nicht gesehen - von einer spitzen Klarinette erdolcht zu werden. Es war’ zu schön gewesen, es hat nicht sollen sein.

An der Stelle, wo die Formenreiche hätte aufwachsen wollen, steigt etwas Rauch empor, kräuselt sich bis zum höchsten Flageolett und ward nicht mehr gesehen. Nun aber marschieren die Schwerbewaffneten mit gewaltigem Tritt auf. Der Dirigent traut ihnen nicht, er späht mit eingezogenem Blick zu ihnen hin, Entsetzen zeichnet seine Mienen, er stirbt mit aschfahlen Wangen, verblüht, verwelkt rapide, unterliegt einem ergreifenden Herzkrampf-, als ihn ein Schlag von links trifft, zu sich bringt und mit Gladiatorenmut den anmarschierenden Bataillonen entgegenschreiten heißt. Vielmehr, er bleibt stehen, statt umzusinken, wie er es vorhatte. Er beherrscht das Feld, das Pult, er sendet Zeusblitze und schließlich nach einem Aufkrächzen der Mandoli-nen wirft er sich, Sieger und Besiegter in einem, der Zukunft in die Arme.

In monumentalen Zweivierteltakten schreitet sie heran, er an der Spitze, sie immer vorneweg, er immer hinten nach, so triumphierend ziehen sie ein, während das Podium erzittert. Jetzt ist es soweit. Ein Aufschrei der Oboen, ein Magenriß, der von den Geigen brutal und vollendet gekonnt ausgeführt wird. Aber der da oben schüttelt alles ab, winkt und gebietet. Und weiß in der Tat noch aus den letzten Winkeln des Orchesters klagende Schreie hervorzulok-ken, die in einem Taumel von Siegeslust und Blutdurst untergehen und Mann und Maus unter sich begraben. Das ist die Stunde, wo der Feldherr mit genäßter Stirne das Chaos mit einem einzigen Streich zum Schweigen schlägt.

Ruhe herrscht über den Brettern, eine tönende, laute, befehlshaberische, göttliche Ruhe, in die nah und immer näher das Prasseln von Applaus dringt, der sich bald mit Hochrufen steigert und den Dirigenten zur Kehrtwendung zwingt - dem Publikum zu, den Zuhörern zu. Uns aber, die wir einen Podiumssitz innehatten, zeigt er seinen markig durchtrainierten Rük-ken, der alle weiteren Piecen tatkräftig zu überstehen verspricht. Alsbald erhebt sich hinter ihm das überwundene Orchester, müde und froh.

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