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Tage wie Ferien

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Ein recht origineller Bursche, dieser Mr. Shoemaker, der einen Trip ins alte Europa macht, feinfühlig bis zur Unhöfhenkelt, mit sich selber un-eins und immer auf der Suche, dabei trotz seinen Jahren von großer Wirkung auf die Frauen, aber untreu, unstet — nun, er ist kein Amerikaner, sondern ein Herr Schuster aus Wien, der in den Staaten sein Glück gemacht und sich als Schriftsteller betätigt hat. Manchmal fragt man sich, ob der Autor, Siegfried Freiberg, hier autobiographische Züge einfließen ließ? Es hat eigentlich nicht den Anschein. Und das ist wichtig: denn er hat eine Figur geschaffen; einen Menschen, nicht nach seinem Ebenbild geformt. Er kommt darin der Tradition der großen Romanciers nahe, die es verstanden haben, einen Menschen zu machen, mag er nun märchenhaft wie ein Gulliver oder pittoresk oder rührend sein — eben einen Menschen, den nicht der Autor von sich selber abgeschrieben hat. Unser Mr. Shoemaker möchte die Landschaft seiner Kindheit wiedersehen, er muß mit sich ins reine kommen, er hofft, daß ihm das herüben gelingen wird. Eine etwas dunkle Frauenaffäre läßt er hinter sich, aber sie wird ihn nicht entlassen: so unschuldig alles äußerlich erscheinen mag, er spürt, daß da etwas nicht in Ordnung gewesen ist, und schließlich ereilt's ihn auch. Aus diesem Konflikt erhält die Fabel des Buches ihren eigentlichen Anstoß, sie hat fast etwas von einem Krimi, aber das erfährt man erst in der Mitte des Buches. Von daher erschließt sich auf einmal das sonderbare Wesen des Europareisenden, es entsteht eine Spannung, die bis dahin mehr aus gelungener Schilderung und aus allerhand romantischen Motiven entstanden war. Dieser Mr. Shoemaker ist ein Verfolgter, dem nicht nur seine eigene Schuld — oder ist es keine? Er weiß es selber nicht, und weiß es doch — nachspürt, sondern auch ein amerikanischer Nabob nachstellt, welchem er eigentlich nur Gutes erwiesen hat. Auch das Gute zeugt nicht immer Gutes, und am Ende stellt es sich gar selber in Frage: war es nicht doch eher eine schlimme Sache, diesem reichen Mann eine liebende, aber nicht geliebte Frau zuzuspielen, selbst eine andere zu nehmen und auch ihr im Tiefsten untreu zu sein? Zu viele Herzen fliegen diesem sonderlichen Mann zu. Er hat der Liebe, die ihm geschenkt wird, nichts Gleichwertiges entgegenzusetzen. Nun, am Ende des Buches mit dem so freundlichen Titel „Tage wie Ferien“ ereilt den unruhigen Odys-seus sein Los: nicht die glückliche Heimkehr, nicht Penelope sind ihm bestimmt. Er hatte kein Recht, sich mit dem edlen Manne zu vergleichen, dem selbst im Lande der festlichfrohen Phäaken aus Heimweh die Träne aus dem Auge quillt, da er sich seiner Gattin und der Heimat erinnert. Mr. Shoemaker (nicht etwa von den politischen Umständen aus seiner Geburtsort vertriebenen, sondern vom Fernweh hinausgeweht in die große Welt) ist heimatlos geworden, er erlebt herrliche Gegenden, groß geschilderte Länder und Landschaften. So geht ihm das alte Europa auf — aber er bleibt ruhelos, irrt auch hier von Frau zu Frau. Kein Verweilen, keine Geborgenheit. Seinem Verfolger entgeht er, aber sich selber nicht. Freiberg hat das überaus anschaulich erzählt, es liest sich mit kompassibler Anteilnahme am Schicksal eines Einzelgängers, das so und nicht anders enden muß. Die Dialoge haben originale Gestalt, das heißt, die sind so weit entfernt vom banalen Alltagsgerede wie sie dem Substanziellen des Daseins nahe sind: eine Verfremdung, die man als Annäherung empfindet. Man möchte fast sagen: hier ist in dem nun schon über siebzigjährigen Dichter ein gegenüber dem Verfasser von „Salz und Brot“ und „Die harte Freude“ anderer, ein neuer Romancier Frei-berg entdeckt worden.

TAGE WIE FERIEN. Roman von Siegfried Freiberg. 238 S. Zsolnay-verlag, Wien.

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