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Mit dem Einbruch des Frostes stand in eisigen Buchstaben das Menetekel an den Wänden jedes Regierungssaales. Doch gegen Mitte des Monats gab es Hoffnung ... Diejenigen, die in Panik geraten waren und sich anschickten, gegeneinander zu rennen, entzifferten die Schrift.

Die Hoffnung auf eine westeuropäische Sicherheit durch die große Öffnung nach Osteuropa war längst in Berlin und zum Schluß in Prag blaß geworden. Die Hoffnung auf ein „Rette sich, wer kann“ — auf Kosten der europäischen Nachbarschaft — hat sich überall als fadenscheinig erwiesen. Da wurde auf der Gipfelkonferenz der westlichen Gemeinschaft in Kopenhagen die Stimme für eine übernationale westeuropäische Lösung der gegenwärtigen Krise und der noch zu erwartenden Krisen wieder hörbar. Bundeskanzler Brandt und Präsident Pompidou hatten die Texte geliefert — verschiedene Texte, doch beide mit der Überzeugung derselben Notwendigkeit als Ausgangspunkt.

Energie wurde das Hauptmotiv in Kopenhagen: der Treibstoff-mangel der Industrie wurde zum politischen Treibstoff für Pläne einer westeuropäischen Kooperation.

Anfang Dezember zeugte das steinerne Gesicht des deutschen Bundeskanzlers in Prag bei der Unterzeichnung des Vertrages mit der CSSR von der Erstarrung aller Hoffnungen auf einen gesamteuropäischen Frühling, der alle westeuropäischen Sicherheitspläne entschärft hatte. Der Euphorie von Moskau 1970 war die Erkenntnis yon der Kompro-mißlosigkeit der sowjetischen Grundsatzpolitik — in Berlin und anderswo — gewichen.

Am 10. Dezember bezeugte die Stimme des englischen Ministerpräsidenten bei der Verkündigung der Verlängerung des nationalen Notstandes das Matt der Regierungspolitik — jeglicher Regierungspolitik — in England. Der Notstand war ein doppelter geworden. Zum ölmangel, den Heaths proarabischer Vorstoß nicht geändert hatte, kam die Flut der Streiks in fast allen Schlüsselindustrien.

Zur selben Zeit standen die Konferenzen der Außenminister der 15 NATO-Pakt-Staaten und der neun EWG-Staaten trotz Kissingers Einsatz noch im düsteren Licht der transatlantischen Betretenheit.

Doch Mitte des Monats, eben bei der Gipfelkonferenz der Europäischen Gemeinschaft in Kopenhagen, zeichneten sich die Konturen einer Oberflächenveränderung ab. Bundeskanzler Brandt kündete einen Plan des solidarischen Verhaltens der EWG an, der Politik bedeutet. Präsident Pompidou hatte für Kopenhagen einen Plan der gemeinsamen Krisenmanagement-Konzertierung über die EWG vorbereitet, der Politik bedeutet. Europäische Politik — nicht nur mehr Wirtschaft.

Ministerpräsident Jörgenson — trotz baldigem Abtritt Vorsitzender der Tagung — hatte vor Plänen gewarnt, für die es keine Deckung gibt. Die Pläne Brandts und Pompidous haben wenig Neues, wenig Deckung. Es sei denn: die wachsende Erkenntnis, daß es doch keinen anderen Weg gibt und die politische Integration Europas — wie immer auch geformt. Und für diese Erkenntnis spricht auch eine andere plötzliche Übereinstimmung: die Basis der NATO muß noch lange Zeit unangetastet bleiben.

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