6807658-1972_16_12.jpg
Digital In Arbeit

Vom Cogito des Fliegens

Werbung
Werbung
Werbung

Nun bin ich zum erstenmal geflogen. Ich hatte erwartet, das Fliegen werde mich verändern. Aber drei Tage nach dem Flug habe ich nun nicht mehr Erinnerung an ihn als an irgendeine Autobusfahrt. Zwar ist mir der Gedanke ungeheuerlich, fünftausend Meter über dem Erdboden durch die Nacht geflogen zu sein. Damals aber empfand ich nichts dergleichen. Vielleicht, weil ich zu sehr mit Dingen beschäftigt war, die nicht zum Fliegen gehörten: mit der Frau, die, während wir starteten, in einem Romanheft las, mit der Stewardeß, die das Kind neben mir beruhigte, mit der Landschaft unter uns. Der Blick auf die Wolken

über dem abendlichen Meer, dar überhin ausgestreckt der Flügel de Flugzeugs lag, war auch wirklid märchenhaft. Aus dem blauen Däm mer der unteren Regionen quoll e als weißes Dunstgebirge aus gelbe) und rosa Schwaden zu uns herauJ Mit Haus und Weg eben noch zur Greifen nahe, lagen Wiesen un Wälder gleich darauf, zu Punkten i: einer Landkarte geworden, in de Tiefe. Wie ein fernes Feuer schaut vom Ende des Flügels das rote Posi tionslicht herein. Wie eine irdisch Milchstraße, eine leuchtende Schrif oder ein Geschmeide aus roten un grünen Steinen, zog die nächtlich Stadt vorbei.

Aber alles hätte nicht anders vor Gipfel eines hohen Berges ausge sehen. Und dort wäre mir der Bode unter den Füßen nicht fester als ir Flugzeug erschienen, wo er den Ge danken, daß wir in der Luft schweb ten, Lügen strafte.

Es war die Vollkommenheit de Fluges, die sein Erlebnis verhindei hat. Aus dem gleichen Grunde ei leben wir auch den Flug mit de Erde nicht. Wir hatten ein Bil dieser Perfektion im Blick durch di Fernsehschirme der Fenster, i denen die Taschistengemälde de Wolken unbewegt standen.

Heißt es nicht, der Tod sei di Vollendung? Hier erlebte ich umge kehrt, wie die Vollendung tötet, wi die Welt ausgelöscht wird durch si Nur durch ihre Mängel kann di Schöpfung dem Menschen zum Ei lebnis werden:

Wie erschrak ich, als draußen de Flügel sich bewegte, als löste er sie vom Rumpf! Und brummte niel gleich darauf der Motor anders a! zuvor? Da war er, der Gedanke: Wi stürzen ab! Umsonst, daß ich mir di Erscheinung al? Steuerungsvorgan zu erklären versuchte. Jetzt fiel m: auch ein, daß wir nicht, durch eine einzigen Abschuß fortgeschleuder sicher flogen wie eine Rakete, sor dem nur, indem wir uns Sekund um Sekunde weiterschossen. Wen wir aussetzten, stürzten wir sofoi ab. Die dünnen Rohrleitungen, di das Benzin zu den Zylindern fühl ten, sie konnten sich verstopfet dann stürzten wir vom Himmel wi ein Stein. Es waren nur wenig Augenblicke, da ich es dachte. Abe es will mir scheinen, daß ich in de kurzen Zeit, in der ich, mich sinnk ängstigend, am Fliegen zweifeln und am Fliegen leidend, dennoc hatte, was ich nachher vergeblic suchte: Mein Erlebnis des erste Fluges.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung