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Vom Dritten Reich zum Dritten Mann

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Vor einem Jahr konnte man aus dem Haus Molden vernehmen, daß im Frühjahr ein reich bebildertes Buch von Qualtinger erscheinen würde: Vom Dritten Reich zum Dritten Mann. Außerhalb des Hauses Molden konnte man hören, Qualtinger habe nichts geschrieben, es handle sich um ein Buch von Wolfgang Kudrnofsky. Das Ergebnis, mit Spannung erwartet und Ende August endlich erschienen, präsentiert sich optisch wie folgt: Auf dem Schutzumschlag in großer Fettschrift „Vom Dritten Reich zum Dritten Mann“, klein darunter Wolfgang Kudrnofsky, dann wieder in großer Fettschrift Helmut Qualtingers Welt der vierziger Jahre und darunter klein der Verlagsname Molden. Im Klappentext beide — Qualtinger und Kudrnofsky — als Autoren kurz vorgestellt.

Das Buch möchte die Atmosphäre Wiens in den Jahren vor und nach 1945 so unmittelbar wie nur möglich lebendig werden lassen, nicht zuletzt mit Hilfe der Abbildungen sowie durch Einstreuung charakteristischer Zeitungsnotizen. Qualtinger war 1945 17 Jahre alt und Kudrnofsky 18. Nach der Befreiung hatte diese junge Generation große Ambitionen und wenig Wirkungsmöglichkeiten. Schule und Hochschule, Kabarett und Kellertheater bildeten das Milieu, in dem ihr Leben verlief, manchmal auch Gefängnis und Lager, sei es vor, sei es nach 1945. Gefertigt ist das Buch nach folgendem Rezept: Man gibt — begrenzt auf die vierziger Jahre — Lebensläufe von interessanten Menschen, mit denen man damals in Berührung kam, holt im Gespräch Erinnerungen hervor und bringt sie zu Panier. Kudrnofsky übernahm die Niederschrift, und dennoch darf man von einem Teamwork sprechen: durch gemeinsam geführte Gespräche, so daß Qualtinger nicht nur in dem Qualtinger-Porträt, sondern auch in den anderen Lebensläufen immer wieder zitiert wird.

Qualtingers Lebenslauf eröffnet den Reigen: das Porträt eines Lausbuben, der auch als Erwachsener noch seine Lausbübereien beging, am liebsten per Telephon mit verstellter Stimme; ja, die Erinnerung daran scheint ihm noch heute solche Freude zu machen, daß auch in anderen Lebensläufen derartige Telephonstreiche Qualtingers eingeflochten sind.

„Wenn Qualtinger sich an seine Kindheit erinnert“, beginnt Kudrnofsky sein Qualtinger-Porträt, „fallen ihm spontan nur Personen ein, die etwas mit Widerstand zu tun hatten: kein Wunder, denn auch er war damals schon ständig in Opposition, zu Beginn gegen die Lehrer, später auch noch gegen andere. 1940 war Qualtinger zwölf und Schüler der Hagenmüller-Schule im 3. Bezirk — in der Nähe des Jugendgerichtes.“ Soweit Kudrnofsky. Nach solchem Beginn kommt dann Qualtinger selbst zu Worte, mit der folgenden Erinnerung: „Der Direktor, einer der wenigen sympathischen Lehrer, die ich hatte — er sah aus wie der Tegetthoff — hatte einen Sohn, der bei der SA war. Und dieser Sohn wurde in einem marschierenden SA-Trupp von einem Auto überfahren, erlitt eine Schädelfraktur und wurde daraufhin Widerstandskämpfer.“

Grübeln wir nicht weiter darüber nach, wo die Kausalkette beginnt, an deren Ende ein Widerstandskämpfer steht, ob bei der Schädelfraktur oder beim Auto oder beim SA-Trupp, verzichten wir darauf, über den Aussagewert solcher Mitteilungen nachzudenken, und nehmen beide Zitate nur als Kostproben für Stil und Technik.

Am Ende des Buches liest man die Story von Karas und dem Dritten Mann im Rahmen eines Lebenslaufes von Karl Hartl, dem Wiener Regisseur, der als Geburts Jahrgang 1899 generationsmäßig eigentlich nicht dazugehört. Und zwischen Anfang und Ende an die 20 andere Lebensläufe jener Jahre, darunter Fritz Wotruba, Hans Weigel und der Modeschöpfer Fred Adlmüller, damals als Persönlichkeiten schon geprägt, weil sie ebenfalls einer älteren Generation angehören.

Haften bleiben vor allem drei Porträts: der Weg eines Kollektivs, damals Art-Club, genannt — hier nehmen nicht nur jene Maler Gestalt an, die wie Brauer, Fuchs, Hutter und Lehmden inzwischen weltberühmt wurden, hier wird auch Wesentliches von der Wiener Atmosphäre der vierziger Jahre lebendig — der Lebenslauf eines nicht sehr bekannten Marines, des Barons Nikolaus Maasburg, von ihm selbst 1965 kurz vor seinem Tod auf Tonbänder gesprochen, die Kudrnofsky zur Verfügung standen — hier gewinnt die Zeit sowohl Weite wie Tiefe — und das Wirken des heutigen Verlegers Fritz Molden zwischen 1938 und 1945, der über Jahre mit unerhörtem Mut und Erfindungsgeist sein Leben im Untergrund täglich von neuem aufs Spiel setzte — daß von diesem Bericht eine solche Faszination ausgeht, rührt sicher von der starken Persönlichkeit Moldens her. In diesen drei Porträts erreicht Kudrnofsky jene Hintergründigkeit eines Zeitbildes aus Tragischem und Groteskem, die der Werbeslogan des Verlages für das ganze Buch beansprucht.

Ein Lob zum Schluß den Bildern: hier springt jener Funke des Atmosphärischen auf den Leser über, den der Text nur selten auszulösen vermag.

VOM dritten REICH zum Dritten mann.-Helmut Quaimgers Welt der vierziger Jahre. Von Wolf gang Kudrnofsky. Fritz Molden, Wien 1973. Geb: S 285.—.

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