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Vorbildliche Klassikerverfilmung

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Der Franzose Eric Rohmer gehört zu den bedeutenden, bei uns leider viel zu wenig bekannten Regisseuren des internationalen Films. Er hat allerdings auch nie starbestückte Kassenschlager gedreht, er folgte vielmehr stets einer künstlerischen Intuition, die nicht nach der Gefälligkeit bei der Masse fragt. Nach oder neben Kurzfilmen und Arbeiten für das französische Schulfernsehen machte sich der 1920 geborene Rohmer, später Professor für Literatur, einen Namen vor allem durch die „Sechs moralischen Geschichten“ von denen wir die beiden ersten übrigens dieser Tage im Fernsehen erleben können. Die beiden folgenden Streifen dieser Serie, „Die Sammlerin“ und „Meine Nacht bei Maud“ wurden bei uns wenigstens über den Bildschirm ausgestrahlt, und auch bei „Claires Knie“ und „Liebe am Nachmittag“ darf man wenigstens darauf hoffen, da kaum anzunehmen ist, daß sich hierzulande ein Verleiher dieser Werke annehmen wird. Das Bild Rohmers wäre unvollkommen, würde man. nicht erwähnen, daß er auch in verschiedenen Fachblättem als Kritiker gewirkt hat, daneben als Chefredakteur der hochangesehenen Publikation „Les cahiers du oinema“, nicht zuletzt war Rohmer einer der Pioniere der „Neuen Welle“ Frankreichs.

1975 drehte der Künstler in der Bundesrepublik die Verfilmung der Kleist-Novelle „Die Marquise von O...“, die beim heurigen Filmfestival von Cannes einen beachtlichen Erfolg zu verzeichnen hatte. Das um 1805 konzipierte und 1808 erschienene Werk wurde hiebei handlungs- und sprachgetreu auf die Leinwand transponiert. Erzählt wird die Geschichte einer jungen, verwitweten Adeligen, die 1799 in Oberitalien bei Kriegshandlungen, nach dem Fall der von ihrem Vater verteidigten Festung von der russischen Soldateska mit Vergewaltigung bedroht, aber von einem gräflichen Oberleutnant der zaristischen Armee aus dieser Situation gerettet wird. An der schlafenden Marquise holt der Offizier schließlich das nach, was er seinen Untergebenen verwehrte. Da sie sich dieser Handlung gar nicht bewußt geworden ist, kann der Oberstleutnant, ohne wegen seiner Eile besonderen Argwohn zu erregen, kurz darauf in sehr höflicher

Form um die Hand der Marquise anhalten. Sie verlangt aber Bedenkzeit, bis der Graf von einer dienstlichen Mission aus Neapel zurückgekehrt ist. Inzwischen erlebt sie Anzeichen einer Schwangerschaft, die sie sich nicht erklären kann. Vater, Mutter und Bruder, entsetzt über die unstandesgemäße Schande, jagen sie aus dem Hause. Auf das Land zurückgezogen, sucht sie schließlich mittels eines Zeitungsinserates den Vater ihres Kindes. Zur großen Überraschung erscheint zur festgesetzten Stunde der Graf und wirft sich der Marquise zu Füßen. Sie muß aber erst etliche Gefühls-barrieren überwinden, ehe sie sich nach der Hochzeit auch zu einer ehelichen Gemeinschaft finden kann.

Es ist wahrlich ein schwieriges Unterfangen, eine „Story“ von anno dazumal Menschen von heute zu vermitteln. Rohmer entschied sich aber für den einzig richtigen Weg der Originaltreue und entwickelt aus dem historischen Rahmen folgerichtig die gesellschaftliche und moralische Situation von Kleists Figuren. So hat es Rohmer auch nicht nötig, zusätzliche sozialkritische Akzente zu setzen, wie diese viele jüngere Regisseur-Kollegen heutzutage bei Verfilmungen von Literatur aus früheren Epochen zu tun pflegen. Er konnte sich auch weitgehend auf das Ensemble von Peter Steins Berliner „Schaubühne“ verlassen, dem auch die beachtliche Filmfassung von Gorkis „Sommergästen“ zu danken ist. Hiebei erweisen sich Edith Clever, Bruno Ganz und Peter Lühr als die Glanzpunkte dieser ausgewogenen Schauspielertruppe. Aber manche Klippen historischer Patina, wie ein unverständlich ausgespieltes Heulduett bei der Versöhnung zwischen dem hartherzigen Vater und seiner unschuldig verstoßenen Tochter, konnten auch sie nicht umschiffen.

Immerhin liegt hier nach Rainer Werner Fassbinders Filmfassung von Fontanes „Effi Briest“ ein weiterer künstlerisch hochklassiger Versuch vor, klassische deutsche Romanliteratur auch dem Kinopublikum nahezubringen. Obendrein paßt sich der Film in seiner stilistischen Geschlossenheit sehr wohl den sechs moralischen, aber niemals moralisierenden Geschichten aus Rohmers bisherigem Schaffen an.

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