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Digital In Arbeit

Wenn jemand Charme hat...

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Kennen Sie das, daß man zu bestimmten Gelegenheiten gern ein bestimmtes Gewand anlegt? Das muß nicht spießig sein. Das sind keine Äußerlichkeiten. Da gibt es ungeahnte Zusammenhänge. Zu Lesungen trage ich gern einen ganz bestimmten Rock und eine ganz bestimmte Bluse. Ich habe auch schon anderes ausprobiert, mich aber nicht wohl darin gefühlt.

Gestern, als ich vor einer Lesung eben jenen Rock und eben jene Bluse anzog, die so schön unpraktisch ist, weil die sieben Knöpfe auf dem Rük-ken zu schließen sind, fiel es mir wieder ein. Das war vor vielen Jahren. Genau: im Jahre 1984. Noch genauer: an einem Donnerstag, 7. Juni in St. Johann im Pongau, wo Hans Witke unter dem Namen „Spectrum" eine kulturelle Veranstaltungsreihe ins Leben gerufen hatte. Es gab Autorenlesungen, Ausstellungen, Gespräche, Gespräche.

An jenem Abend wurde eine Ausstellung der Salzburger Malerin Maria de Posz eröffnet. Außerdem war György Sebestyen zu Gast, der aus seinem neuen Roman „Albino" lesen sollte. Mir war die Aufgabe zugeteilt worden, beide Künstler vorzustellen. Es wurde ein guter Abend. Bilder und Lesung wurden mit viel Beifall aufgenommen. Später schrieb György Se-

bestyen Hans Witke ins Stammbuch: „Lieber Hans Witke, eine lange Abhandlung müßte geschrieben werden über die Notwendigkeit - und also über die Schönheit - Ihrer Arbeit. Wenn Sie nicht tun, was Sie tun, bricht früher oder später alles zusammen. Darf ich danken erstens dem Phänomen, zweitens für den Abend und drittens für das Wichtigste: für Ihre Liebenswürdigkeit im Zeichen einer umsichtigen und freundlichen Toleranz." So geschrieben am 7. Juni 1984. Aber so weit sind wir noch nicht.

Ich war, wie immer bei solchen Anlässen, eine gute halbe Stunde früher da, auch um die Bilder in Ruhe anzuschauen, bevor sie hinter lauter Köpfen untergingen. Ich stand gerade voreinem Bild, das nichts weiter zeigte als einen kleinen Innenraum, irgendwo im Süden. Mit Weiß und Blau war viel Weite, viel Licht eingefangen, das das kleine Bild zu einem großen machte.

Ein Schuß französisches Blut

Jemand tippte mir auf die Schulter. Ich drehte mich um. Es war György Sebestyen. Er lächelte., .AnlhrerBluse ist ein Knopfoffen. Hier hinten. Gehört das so? Ich meine: ist das keck? Oder soll ich ihn schließen?" Ich mußte lachen. „Das gehört nicht so. Und es soll auch nicht keck sein. Wissen Sie: auf dem Rücken, da kommt man so schwer hin." Sebestyen hatte die Fra-

ge in einem durchaus sachlichen Ton gestellt. Bitte, Kollegin, hier ist etwas zu korrigieren. Zuvor die höfliche Frage, ob das so in Ordnung sei. Auch dies in durchaus sachlichem Ton. Die kleine Zusatzfrage „oder ist das keck?" mit einem kaum hörbaren amüsierten Unterton, viel zu fein, um auch nur annähernd anzüglich genannt zu werden.

„Soll ich ihn schließen?" fragte er, „es sind noch keine Leute da. Ich könnte es tun, ohne Sie zu kompromittieren." Ich mußte wieder lachen. „Bitte schließen Sie ihn", sagte ich „Sie Ritter ohne Furcht und Tadel ."Er schloß den Knopf so geschickt und federleicht, daß ich es gar nicht spürte. „So", sagte er zufrieden, „alles in Ordnung." Die ersten Gäste kamen.

Sebestyen verschwand in einer Gruppe. Ich sah ihm nach, suchte nach einem Wort für sein Verhalten. Mir fiel keins ein, jedenfalls kein deutsches. Wohl aber ein französisches. Es war ganz einfach charmant.

Die Franzosen sagen von einer Frau: „Wenn sie Charme hat, dann braucht sie sonst nichts weiter. Und wenn sie keinen hat, dann ist es egal, was sie sonst noch hat." Was für eine Frau gilt, gilt auch für einen Mann.

Es war noch eine halbe Stunde bis zum Beginn meiner Lesung. Ich schloß die Knöpfe auf dem Rücken und zählte, ob es alle sieben waren.

Man soll sich nicht wiederholen.

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