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Wer geht nicht gern zum Zahnarzt?

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Beim allerersten Zahnarztbesuch bekam ich vom „weißen Onkel" ein süßes Wollknäuel von Kätzchen, weil ich so brav stillgehalten hatte. Im Jahr darauf dann noch eines. Und dann noch einmal eines. Ich vergötterte den Doktor so sehr, daß ich immer wieder probierte, ob denn nicht vielleicht doch wieder ein Beißer wackle und ein neuer Besuch fällig wäre.

Frühkindlich positive Konditionierung nennen Psychologen sowas geschwollen...

Meine Mutter fühlte sich dem wachsenden Tierasyl weniger gewachsen und war froh, mit dem Umzug in eine andere Stadt auch dem Katzendoktor zu entkommen.

Es folgte eine „weiße Tante", von der ich nur mehr weiß, daß sie mich streng ermahnte, ja nie Süßigkeiten zu naschen und mich immer mit einem Kaugummi verabschiedete. Da solches anno dazumal rar war, liebte ich auch diese Tante.

Jahre vergingen. Der Zahn der Zeit benagte auch die meinen. Ein entschlossener Zahnschlosser entwarf ein Sanierungsprogramm meiner Kauwerkzeuge, dessen Ausmaß uns eine gemeinsame Zukunft zu garantieren schien. Aber auch er war mir nicht unangenehm, denn er konnte so herrlich erzählen. Hatte ich im linken Mundwinkel den Speichelsauger, während er rechts oben wie verrückt herumbohrte, begehrte er dringend zu wissen, ob ich denn im Vaccares wohl den rosigen Listel zu den köstlichen Stierhoden versucht hätte. Mit-

tels Kehlkopfdeckel und Zäpfchen grunzte ich Ablehnung oder Zustimmung - ng-ng - er konnte es sich aussuchen. Zu jeder Sitzung wußte er neue Spezialitäten, die noch mehr Wasser im Munde zusammenlaufen ließen. Beim Austupfen des von ihm gebaggerten Loches mit Alkohol geriet er in Verzückung über einen Chateau Montaud '58 und wenn ich fast die Zimmerdecke erreicht hatte, schwärmte er vom Gelage anläßlich einer Zigeunerhochzeit in Stes.-Ma-ries-de-la-Mer.

In den Jahren auf seinem Marterstuhl lehrte er mich ein Aiolirezept, das noch jedem den Atem verschlagen hatte, die Liebe zu Kutteln und Weine, Weine, Weine...

Und zum Weinen war mir dann auch, als ich kürzlich erfuhr, daß meinen Weinbohrer nach der Leber auch die Milz im Stich gelassen hatte. Die Erde sei ihm leicht - mit Wein benetzt...

Jetzt bin ich bei einer jungen, schönen Frau. Die Ordination erinnert an Raumschiff Enterprise, sie und ihre Assistentinnen an außerirdische Wesen. Sie arbeiten an drei Stühlen in drei Räumen, Geräusche und Lichteffekte der supermodernen Apparate gäben ein realistisches Szenarium zur Walpurgisnacht in Goethes Faust.

Ich liege kopfabwärts und wenn die Pobacken vor Schmerz die Unterlage nicht mehr berühren, zähle ich die Sternchenkonstellation an der Betondecke.

Schräg links ist eine besonders fi-xierenswerte. Sie erinnert an kleine Kätzchen oder das Wollgras im Vaccares...

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