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Werden Amerikas Städte Slums?

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Amerikas Städte kämpfen nicht nur gegen Verkehrsprobleme, Luftverschmutzung, Kriminalität, sondern auch gegen den Pleitegeier. Zwar ist es nur während der Weltwirtschaftskrise (und auch damals nur selten) vorgekommen, daß amerikanische Städte ihre völlige Zahlungsunfähigkeit bekennen mußten. Doch sind immer mehr Großstädte gezwungen, öffentliche Dienste aus finanziellen Gründen einzuschränken. Die finanzielle Krise der meisten großen amerikanischen Städte ist vor allem auf vier Gründe zurückzuführen:

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Amerikas Städte kämpfen nicht nur gegen Verkehrsprobleme, Luftverschmutzung, Kriminalität, sondern auch gegen den Pleitegeier. Zwar ist es nur während der Weltwirtschaftskrise (und auch damals nur selten) vorgekommen, daß amerikanische Städte ihre völlige Zahlungsunfähigkeit bekennen mußten. Doch sind immer mehr Großstädte gezwungen, öffentliche Dienste aus finanziellen Gründen einzuschränken. Die finanzielle Krise der meisten großen amerikanischen Städte ist vor allem auf vier Gründe zurückzuführen:

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• Die staatlichen Zuwendungen an die Stadtverwaltungen gehen relativ zurück. Während in den dreißiger Jahren mit dem „New Deal” hohe staatliche Beiträge für Gesundheitsdienste, Straßenbau, Schulwesen und so weiter in die Stadtkassen flössen, geben sich die Bundesstaaten heute infolge eigener angespannter Budgetsituation immer zugeknöpfter. Die staatlichen Subventionen für die lokalen Schulen etwa liegen bei fünf bis sechs Prozent.

• Durch die Abwanderung vor allem der gut verdienenden Einwohner, die nur noch in der City arbeiten, aber in selbständigen Gemeinwesen der Umgebung wohnen, wurden die Großstädte um einen mächtigen Anteü am wachsenden Steuerkuchen gebracht.

• Die Inflation treibt die Preise aller städtischen Anschaffungen in die Höhe, während die Rezession das Steueraufkommen beeinträchtigt. Letzteres bekamen vor allem New York und Detroit zu spüren.

• Die städtischen Arbeitskräfte, die sich jahrzehntelang notgedrungen mit ihrer Rolle als schlecht bezahlte „Idealisten” abfanden, werden immer militanter und fordern erfolgreich Gleichstellung mit vergleichbaren Arbeitskräften in der Privatwirtschaft.

Lokale Steuererhöhungen erwiesen sich in manchen Fällen als Bumerang. Newark hat es versucht, das Ergebnis war, daß diese Stadt mit ihrer gewaltigen Ansammlung armer Schwarzer einen Exodus von Betrieben und von gutverdienenden Weißen erlebte.

Auf einem anderen Weg geht Detroit das Problem an. 30 bis 60 Kilometer von Detroit entfernt sollen Satellitenstädte entstehen, deren jede mit einem bestimmten Sanierungsgebiet der Stadt selbst verkehrsmäßig, aber auch verwaltungsmäßig besonders eng verbunden werden soll, so daß das hohe Einkommensteueraufkommen der Satelliten- oder „Sęhlafstadt” auch der schönste, sondern auch als eine der menschlichsten Städte der USA gilt, verschließt sich sogar den beliebten Symbolen wirtschaftlichen Aufschwunges, wenn es um das Gesicht der Stadt geht: Das 140-MiIlionen- Dollar-Projekt eines 40 Stockwerke hohen Bürogebäudes der U. S. Steel Corporation, das in der Bucht gebaut werden sollte und zahlreiche neue Arbeitsplätze geschaffen hätte (Hotel, Schiffsanlegestelle und So

City zugutekommt Dadurch soll einerseits neuer Wohnraum geschaffen, anderseits die Sanierung der City finanziert werden. Das Detroiter Modell ist, noch nicht beschlossen, soll aber gute Realisierungschancen haben.

San Franzisko hingegen ist fest entschlossen, alles zu tun, um die Menschen, die ln dieser Stadt arbeiten, auch als echte Einwohner zu behalten. San Franzisko, das nicht nur als weiter) wurde von der Stadtverwaltung durch Verweigerung der Bau- bewililgung zu Fall gebracht (Dafür hat San Franzisko vor einigen Jahren seine antiquierte, kabelgezogene Straßenbahn, ein Verkehrshindernis ersten Ranges, klugerweise unter Denkmalschutz gestellt.)

Denn die meisten Citys der Vereinigten Staaten werden mit Einbruch der Dunkelheit zu Gettos der Schwarzen, der Junggesellen, der kinderlosen Ehepaare „und anderer Minoritäten” — so ein Experte, der Manhattan in einer düsteren Prophezeiung zum Prototyp der Großstadt von morgen erklärte: Als Wohnort nur noch für die ganz Armen und für die ganz Reichen geeignet.

Innerhalb der letzten zehn Jahre zogen- mehr als 15 Millionen Menschen aus den Großstädten in die Vororte, in denen sich nur die Teenager wirklich unglücklich fühlen und die längst nicht mehr Pendlern und „grünen Witwen” Vorbehalten sind: Zwei Drittel der Vorstadtlohnempfänger fahren auch zur Arbeit nicht mehr in die Großstadt.

Der Massenauszug der Steuerzahler, verbunden mit der staatlichen Unwilligkeit, Subventionen zu geben, macht dort die Aufrechterhaltung der öffentlichen Dienste immer mehr zum kaum noch lösbaren Problem. Wobei die in Europa so subventionsträchtigen Verkehrsinvestitionen sogar etwas im Hintergrund stehen; New York sieht wenig Schwierigkeiten, die zehn bis 15 Milliarden Dollar aufzubringen, die in den nächsten zehn Jahren in den großstädtischen Massenverkehr investiert werden müssen.

Die größten Sorgen bereiten hingegen Schulwesen und Gesundheitsdienst. Jeder Amerikaner weiß, daß die städtischen Schulen durch den Exodus der Weißen und das Einströmen der Schwarzen immer schlechter werden. Weniger bekannt ist, daß New Yorks Schulsystem sich in den drei bis vier unteren Klassen als durchaus leistungsfähig erweist — in diesen Klassen haben es die Lehrer fast nur mit solchen Kindern zu tun, die, ob schwarz oder weiß, seit ihrem Schuleintritt in New Yorker Schulen gehen. In den höheren Klassen wächst der Prozentsatz der Schüler, die von Schulen in Puerto Rico, im tiefen Süden oder sonstwo nach New York umgeschult wurden, der Lernerfolg der Klassen fällt rapid ab. Ein Problem, das wegen des von den Gemeinden finanzierten und organisierten, völlig zersplitterten Unterrichts heute kaum gelöst werden kann.

In letzter Zeit bricht sich auch mehr und mehr die Idee eines kommunalen Wohnbaues mit staatlicher Finanzierungshilfe Bahn, der jenen Gruppen zugutekommen soll, denen private Initiative heute lediglich „vertikale Slums” anzubieten in der Lage ist. Die Städte selbst sind kaum in der Lage, auch noch für diesen Zweck genügend hohe Beträge aufzubringen.

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