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Wir sahen den Stern

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Wir sahen den Stern und folgten ihm. Das war nicht immer leicht und gelegentlich gerieten wir in die Irre. Machten Umwege, wanderten im Kreis, gerieten an die falsche Adresse. An die Adresse der jeweiligen Machthaber (zu deren nicht geringer Bestürzung und insgeheimer Schadenfreude) und am Ende war sogar der Stall im Keller der Karawanserei nicht das Ziel der Reise, denn die Notunterkunft an der Straßenkreuzung inmitten Bethlehems war verlassen, das Kind und seine Familie wohnten bereits recht anständig in einem der Häuser, die. nun nicht mehr von verarmten davidi- schen Prinzen überfüllt waren. Ihren (wahrscheinlicht recht geringfügigen) Anteil an dem einst umfangreichen königlichen Grundbesitz hatten sie bereits, wie Josef auch, zwecks Steuerleistung eintragen lassen und waren wieder fortgezogen. Josef konnte sich also in der Urheimat des Davidsstammes fürs erste und erträglich einrich- ten. Und so gab es, als wir dem Kinde huldigten, keinerlei Krippenromantik, nur das Sternbild war immer noch da. Die Jupiter-Satum-Konjunktion in den Fischen, die unseren abergläubischen Berechnungen nach doch besagen wollte, ein großer König sei im Judenland geboren worden.

Wir hatten seinen Stern gesehen und waren diesem Stern gefolgt. Warum gerade wir? Warum nicht all die a

? Die vielen, die über uns den Kopf schüttelten, als sie uns kommen und suchen sahen, die uns heimlich oder laut verhöhnten, weil wir nach Sternen Ausschau hielten und nicht, wie es sich geziemte, nach erleuchteten Schaufenstern, die alles darboten, was Menschen mit Neid erfüllen kann und was ihnen rasch zwischen den Händen zerrinnt.

Das Spießrutenlaufen machte uns mit der Zeit trotzig und ein wenig hochmütig. Aber in Wirklichkeit war da gar kein Grund zum Hochmut, denn nicht Auserwählte waren wir, sondern nur auf eine sehr heimliche und schwer zu verstehende Art und Weise Geprüfte, belastet mit Gedanken und Verantwortungen, die denen erspart blieben, die nicht, wie wir, ein Ziel hatten, das zwar nicht konsumierbar war, das es aber dennoch zu erreichen galt.

Wie mußten wir denen allen im Laufe der Zeit auf die Nerven gegangen sein, wir Christen, bedenkt man, wie sehr wir einander schon selber auf die Nerven gingen. Wir, die unentwegt an Buchstaben und Gesten Klebenden, jenen, die mit hektischer Beflissenheit jeden der wechselnden kirchlichen Trends nachvollzogen hatten, mochten diese Trends auch den je- weüs vorangegangenen diametral widersprochen haben. (Und selbstverständlich auch umgekehrt.) Da

ander also kaum noch ertragen konnten, wie sollten da Nichtchristen uns, die ohnedies Unverständlichen, insgesamt noch ertragen?

Da machten wir etwa eines Tages Josef, den selbständigen Kleinunternehmer, zum Schutzpatron der Lohnempfänger, bemerkten unsere Unlogik zwar kaum, vergaßen die Sache aber alsbald wieder und insistierten nicht länger. Ging es uns doch längst schon darum. Josefs Ziehsohn mit seinen jenseitigen Forderungen dadurch reinzuwaschen, daß wir ihn nicht, wie damals, zum König, sondern zum Sozialrevolutionär ausriefen. Denn wir auch, wir auch! hatten ja etwas zu bieten, nicht nur die alten Jakobiner und der ein wenig jüngere Karl Marx. Immer wieder gerieten wir an Herodes und an die falsche Adresse. Waren wir denn überhaupt noch gesellschaftsfähig für Normalmenschen, die rechtzeitig, nachdem die Nation in Konkurs geraten war, sich eben als „Gesellschaft“ konstituiert hatten?

Aber das merkwürdige Ende des Abenteuers ist ja bekannt. Als die Sternkonjunktion im Süden, über Bethlehem stand und als dort der Weg nicht mehr weiter führte, als wir das Haus fanden und darin die sehr junge Mutter, die den Säugling hielt, da zwang es uns ins Knie und wir konnten einander, als wir so knieten, dennoch ertragen und wir vergaßen auch völlig das ferne Gelächter derer, denen wir auf unserem Wege begegnet waren und die uns für dumm oder für neurotisch erklärt hatten, obgleich wir doch so bemüht gewesen waren, uns ihnen anzubiedern und ihnen nach dem Mund zu reden - oder gerade deshalb.

Nein, hier in Bethlehem, an der Straßenkreuzung, ist das alles recht unwesentlich. Und vielleicht haben wir Glück. Vielleicht kommt ein Engel und rät uns, nicht mehr zu Herodes, nicht mehr an die falschen Adressen zurückzukehren.

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