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„Wirkung geistigen Tuns

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In dem Sammelwerk „Hugo von Hofmannsthal — Die Gestalt des Dichters Im Spiegel der Freunde“ (1. Ausgabe 1949, Humboldt- Verlag, Wien) fehlt ein wichtiges Zeugnis, auf das ich im Nachwort zu dem genannten Buch hingewiesen habe: „Der Berufenste, über Hofmannsthals Verhältnis zur Religion zu schreiben, wäre der Chorherr des Stiftes Klosterneuburg, Prof. Dr. Wolf gang Pauker, gewesen, der Hofmannsthal durch viele Jahre gekannt und mit dem er zahlreiche Gespräche über religiöse, kirchliche und liturgische Fragen geführt hat. Alter und Krankheit haben Professor Pauker verhindert, seine Erinnerungen aufzuzeichnen…“ Das war 1947 geschrieben. Die an ihn gerichteten Briefe des Dichters, von denen mir der Chorherr damals sprach, konnte er nicht mehr finden. Sie wurden erst in seinem Nachlaß entdeckt und werden hier erstmals publiziert. Diese Veröffentlichung ist allen Freunden des Hofmannsthalschen Werkes, insbesondere den an der vom 10. bis 13. Juni 1971 in Wien stattfindenden Tagung und Mitgliederversammlung der Hofmannsthal-Gesellschaft gewidmet. H. A. Fiechtner

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In dem Sammelwerk „Hugo von Hofmannsthal — Die Gestalt des Dichters Im Spiegel der Freunde“ (1. Ausgabe 1949, Humboldt- Verlag, Wien) fehlt ein wichtiges Zeugnis, auf das ich im Nachwort zu dem genannten Buch hingewiesen habe: „Der Berufenste, über Hofmannsthals Verhältnis zur Religion zu schreiben, wäre der Chorherr des Stiftes Klosterneuburg, Prof. Dr. Wolf gang Pauker, gewesen, der Hofmannsthal durch viele Jahre gekannt und mit dem er zahlreiche Gespräche über religiöse, kirchliche und liturgische Fragen geführt hat. Alter und Krankheit haben Professor Pauker verhindert, seine Erinnerungen aufzuzeichnen…“ Das war 1947 geschrieben. Die an ihn gerichteten Briefe des Dichters, von denen mir der Chorherr damals sprach, konnte er nicht mehr finden. Sie wurden erst in seinem Nachlaß entdeckt und werden hier erstmals publiziert. Diese Veröffentlichung ist allen Freunden des Hofmannsthalschen Werkes, insbesondere den an der vom 10. bis 13. Juni 1971 in Wien stattfindenden Tagung und Mitgliederversammlung der Hofmannsthal-Gesellschaft gewidmet. H. A. Fiechtner

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Aus wohl noch nicht durchwegs erforschten Gründen wirkte bis fast an das Ende der alten Doppelmonarchie das große, durch Geschichte und Kunst weithin gerühmte Augustiner-Chorherrenstift Klosterneuburg mit besonderer Anziehungskraft gerade auf junge Männer, die Priester werden wollten und ‘aus Böhmen, Mähren oder Schlesien herbeigekommen waren. Vielleicht spielte dabei der Umstand mit, daß man, der Stiftung des hl. Leopold angehörend, die klösterliche Berufung mit der Annehmlichkeit verbinden konnte, in nächster Nähe der Reichshauptstadt zu sein und dadurch ihrer geistigen und kulturellen Ausstrahlung teilhaftig werden zu können. Eine Zeitlang schien es sogar, als wäre die alte Babenbergerstiftung fast ausschließlich für Novizen geschaffen, die, wie man damals im Hause zu sagen pflegte, „von oben kamen“. Viele bedeutende Köpfe, die das ehrwürdige Kloster in den letzten hundert Jahren besaß, waren tatsächlich „von oben“ gekommen…

Einer von diesen war Eduard Pauker, der, am 14. Dezember 1867 in Tracht (jetzt Strachotin) in Mähren, unfern Nikolsburg, geboren, sich nach seiner Gymnasialmatura — „mit Auszeichnung bestanden“ war damals eine conditio sine qua non für die Aufnahme in das Stift — nach Klosterneuburg wandte, um am 19. September 1886 mit dem Stifts*’ namen Wolfgang als Novize eingekleidet zu werden. Termingemäß erreichte Pauker mit der Priesterweihe am 25. Juli 1891 das Ziel seines Berufswunsches. Doch der junge Geistliche wollte sich damit noch keineswegs begnügen: im gleichen Jahre bezog er die philosophische Fakultät der Universität Wien, um dort Kunstgeschichte und klassische Philosophie zu studieren. 1896 machte er seinen Doktor, und ein Jahr später erwarb er dazu noch die Lehrbefugnis für Religion an Mittelschulen. Sein erster Posten in dieser Verwendung war zwischen 1897 und 1902 das Gymnasium in Wien XIII, Fichtnergasse; später siedelte er (bis 1912) an das Gymnasium in Klosterneuburg über. Zwischen 1918 und 1924 trug er als Honorardozent Liturgik und Kunstgeschichte an der Kunstgewerbeschule des „österreichischen Museums für Kunst und Industrie“ vor. Erst in seinen späteren Lebensjahren widmete sich Pauker ganz dem Aufbau und der Pflege der kunsthistorischen Sammlungen seines an Schätzen und Kostbarkeiten überreichen Stiftes und trat noch mehr als früher mit Publikationen hervor oder ließ sich am Vortragspult hören, meist als Künder der Bedeutung seines Stiftes.

Aus seinem Lehrberuf erklären sich die Schulbücher, die er verfaßt hatte: Seine Liturgik (1918) und die Offenbarungsgeschichte des Alten und Neuen Bundes (1918, 1921). Besonders bedeutsam ist jedoch seine Tätigkeit als Kunstforscher gewesen. Mit seinen „Beiträgen zur Baugeschichte des Stiftes Klosterneuburg“ (drei Bände, 1907—1908),

einer Arbeit über Daniel Gran (1908), den Bildhauer und Ingenieur Matthias Steinl (1909) und der besonders wichtigen Studie über Kirche und Kollegiatsstift zu Dürnstein (1910) gehört er mit zu den ersten Gelehrten, die sich Untersuchungen über die österreichische Barockkunst widmeten und mit Nachdruck auf ihre europäische Bedeutung hingewiesen haben. Für die einst sehr geschätzten „österreichischen Kunstbücher“ hat Pauker drei Bände über das Stift Klosterneuburg verfaßt (1921 bis 1922) und schließlich, als Frucht seiner intensiven Beschäftigung mit den Kunstgütem in stift- lichem Besitz, einen Führer zu den Sehenswürdigkeiten, zusammen mit Emst Kris eine Untersuchung des österreichischen Erzherzoghutes (1933) und einen Katalog der stift- lichen Sammlungen (1937) vorgelegt. Pauker verdanken wir auch eines der liebenswürdigsten Alt-Wien- Bücher: „Die Roesnerkinder“ (1915), ein Werk, das noch heute zu den gesuchtesten der Viennensia-Literatur zählt. Auch kleine Studien, etwa über Lenaus Freundin Nanette Wolf in Gmunden (1923) oder die Privatkrankenanstalt „Confratemität“ (1935) dürfen als Zeugnisse seiner weit gespannten Interessen nicht vergessen werden.

Es leuchtet ein, daß ein Mensch seiner Qualitäten, seines Könnens und seiner hohen künstlerischen Begabung scharenweise wertvolle und bedeutende Persönlichkeiten an sich zog. Sein Freundes- und Bekanntenkreis war sehr groß, die einstigen Leuchten des Burgtheaters, Raoul Aslan und Else Wohlgemuth, gehörten ebenso dazu, wie etwa die talentierte Konzertsängerin Joseflne Stransky, um nur wenige Namen zu nennen. — Wieso auch Hofmannsthal in seinen Gesichtskreis gelangte,

ist leider nicht überliefert. Die Bekanntschaft muß wohl ziemlich lange vor dem Einsetzen der uns vorliegenden Korrespondenz gemacht worden sein, sie reichte, bedingt durch zwangsweise Unterbrechungen, wohl bis zum Tode des Dichters, auch wenn wir dies aus den Briefen selbst nicht nachzuweisen vermögen. Die oft großen Abstände zwischen den einzelnen Schreiben sind durch zahlreiche persönliche Gespräche zu erklären. Auch ob Pauker des Dichters religiöser Seelenführer, also Beichtvater, gewesen ist, läßt sich nicht genau ermitteln. Aber eines ist sicher: er war der Geistliche, der ihn auf seinem letzten Wege zum Friedhof von Kalksburg begleitet hat.

Pauker hat Hofmannsthal lange überlebt. Die Usurpation seines geliebten Stiftes zwischen den Jahren 1939 und 1945 trug er mit Fassung und Größe; er war einer der ersten Zurückgekehrten, als das Haus wieder frei geworden war. Die Schaffenskraft des greisen Priesters war freilich indessen erlahmt, wenn nicht gebrochen. Bald stellte sich auch unheilbare Gebrechlichkeit ein, und am 19. Jänner 1950 ging er von dieser Welt.

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