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Digital In Arbeit

Wölfe auf Hexenjagd?

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Haben die Medien zu viel Macht? Fehlen den Journa- listen die ethischen Maßstä- be? Mangelt es an der Aus- bildung oder an der Kon- trolle? Darüber wurde jüngst heiß diskutiert.

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Haben die Medien zu viel Macht? Fehlen den Journa- listen die ethischen Maßstä- be? Mangelt es an der Aus- bildung oder an der Kon- trolle? Darüber wurde jüngst heiß diskutiert.

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Unter dem Titel „Zwischen He- xenjagd und Hof berichterstattung" luden das Kuratorium für Journa- listenausbildung und der Verband Katholischer Journalisten Öster- reichs am 28. März in Wien zu ei- nem Studientag über ethische Pro- bleme im Journalismus ein. Im Einleitungsreferat des in München lehrenden österreichischen Pu- blizistikwissenschaftlers Heinz Purer wurde eine Reihe fragwürdi- ger „Journalismen" an Hand von Beispielen aufs Korn genommen: Sensationsjournalismus (Geisel- drama von Gladbeck/Köln, Spi- talsskandal in Wien-Lainz), ver- deckter sowie erschlichener Jour- nalismus (Günther Wallraff, Susi Riegler), Scheckbuchjournalismus (Exklusivstory über den Kreml- Flieger Matthias Rust), Kata- strophenjournalismus (Drama im Brüsseler Heysel-Stadion, Flug- zeugunfälle in Ramstein und Rem- scheid) und dergleichen mehr.

Für Purer ist es eine unüberseh- bare Tatsache, „daß Verletzungen des Persönlichkeitsschutzes, der Intimsphäre, der Unschuldsvermu- tung und der Menschenwürde zu journalistischen Alltäglichkeiten (vor allem in der lokalen Unfall-, Kriminal- und Gerichtsbericht- erstattung) gehören". Ein Journa- list habe schon vor Jahren in der Medienbranche eine Umkehrung normaler Rechtsmaßstäbe festge- stellt: In so mancher Zeitung werde die Schuld eines Menschen solange vermutet, als dieser nicht rechts- kräftig freigesprochen sei. Purer hat in einigen Fällen sogar den Ein- druck, „daß manche österreichische Medien Staatsanwalt, Richter und Henker zugleich sind".

Die von Purer geortete Journalis- muskrise liegt für ihn aber nicht nur an den einzelnen Journalisten, an etwaigen fachlichen und mora- lischen Mängeln. Man müsse bei Ethik und Medien drei Bereiche sehen:

• eine journalistische Individual- ethik des einzelnen, die sich an diversen Ehrenkodices orientieren mag;

• die Ansätze einer Mediensystem- Ethik, die Fehlverhalten nicht nur beim einzelnen Medienmitarbeiter sucht, sondern eine „gestufte Ver- antwortung" kennt (schließlich stehen zum Beispiel beim Scheck- buch-Journalismus hinter dem agierenden Journalisten wohl die- ses Vorgehen deckende Personen: Chefredakteur, Herausgeber, Ver- leger...);

• die Ansätze einer Publikums- ethik, die darauf hinausläuft, daß Medienkonsumenten (Leser, Hörer, Seher) auf in ihren Augen schlechte Medienangebote mit Protest oder Verweigerung reagieren und damit eine Änderung herbeiführen (Ein Beispiel dafür wurde aus Salzburg erzählt: Das Schreibverbot von Erzbischof Georg Eder für den Familienseelsorger Bernhard Liss in der Kirchenzeitung „Rupertus- blatt" löste sofort 150 Abbestel- lungen aus). Zur Stärkung von Medien- und Journalismusethik sei - so Purer - ein Vorgehen auf drei Ebenen denkbar:

• bessere Regelungsmechanismen durch die staatliche Rechtsordnung und eine effizientere Medienpäda- gogik;

• bessere organisatorische Selbst- normierungen (Beschränkungen des Zuganges zum Journalistenbe- ruf, Verbesserung der Journalisten- aus- und Fortbildung);

• Erweiterung der Sanktionsmög- lichkeiten bestehender Selbstkon- trollorgane (Presseräte) oder die Einführung neuer Organe (Medien- räte, Medienombudsmann).

Purer schloß sein Referat mit dem Hinweis auf drei Prinzipien, die Max Weber für politisches Han- deln formuliert hat, die aber auch für einen ethisch begründeten Jour- nalismus gelten können: Leiden- schaft (also ungeteiltes Engagement für die Sache), Augenmaß (also die Verhältnismäßigkeit der Mittel) und Verantwortungsbewußtsein (also Folgenabschätzung).

Es fehlte nicht an Kritik an die- sem Vortrag, etwa an Pürers Bei- spielen für unseriösen Journalis- mus (für manche waren dies gerade Beispiele für guten „investigati- ven", also nachforschenden, Jour- nalismus, beziehungsweise der grobe Keil auf einen groben Klotz), grundsätzlich war man sich einig, daß der „investigative" Journalis- mus seine Meriten hat, wenn er nicht zur „Hexenjagd" ausartet.

Noch heftiger prallten am Nach- mittag die Meinungen aufeinander. Keine Medienkampagne könne mit dem Begriff „Hexenjagd" vergli- chen werden, meinte „Krone"- Redakteur Friedrich Graupe. So abwegig sei dieser Ausdruck nicht, fand Presserichter Bruno Weis und erinnerte daran, wie die „Krone" die unter Mordverdacht stehende Krankenschwester Waltraud Wag- ner hartnäckig als Prostituierte diffamiert hatte.

Alfred Strommer, der Rechtsan- walt von Verteidigungsminister Robert Lichal, lieferte Alfred Worm vom „profil" ein hartes Scharmüt- zel, indem er den Medien „Vorver- urteilungen" vorwarf: Es werde nicht berichtet, sondern agitiert, manche Journalisten liefen wie hungrige Wölfe herum, wobei es Zufall sei, welches Schaf ihnen in die Schußlinie laufe: „Worm braucht als Auf deckungsjournalist Erfolge und prominente Opfer."

Worm konterte: „Der Journalist darf - wie jeder Staatsbürger - tun, was nicht ausdrücklich verboten ist." Er selbst versuche sich über- dies an den Ehrenkodex der öster- reichischen Presse zu halten. Und er schreibe nur Dinge, für die er auch einen Wahrheitsbeweis er- bringen zu können glaube.

TV-Volksanwalt Hans Paul Strobl machte sich mit einem Rund- umschlag auf die Verlogenheit der heutigen Gesellschaft, in der nie- mand mehr Verantwortung wahr- nehmen wolle, Luft und nannte dafür recht konkrete Beispiele. Er meinte, die Leute im öffentlichen Leben hätten einander nichts vor- zuwerfen, und sagte einen phra- senhaft klingenden, aber beden- kenswerten Satz: „Wir sollten nicht aufeinander losgehen, sondern gemeinsam in uns gehen."

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