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Zeit des süßen Weines

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Es ist Pfingsten. Für manche Österreicher ist dies das Fest des Luftballons. Für sie ist zwischen dem Heiligen Geist und einem Luftballon nicht viel Unterschied.

Beide schweben über dem Menschen. Man braucht sie eigentlich nicht. Man trägt sie zu besonderen Anlässen. Im Alltag sind sie eher hinderlich. Da verschrumpeln sie. Da zerplatzen sie. Manchem fliegen sie weg. Dann ist man um eine Illusion ärmer und um ein paar Tränen reicher.

Luftballon und Heiliger Geist: Sie haben manches gemeinsam. Sie wollen nicht auf dieser Erde

bleiben. Sie haben einen Zug zur Höhe. Sie zeigen, daß es den Menschen von dieser Welt wegzieht — in den Himmel.

Manche sind von dieser Erde so fasziniert, daß sie übersehen, daß es auch einen Himmel gibt. Manche haben mit ihrem Leib so viel Mühe, daß sie darüber ihre Seele vergessen. Sie halten die Erde für ihren Himmel und den Leib für ihre Seele und Seligkeit.

Pfingsten: Menschen haben erfahren, daß es nicht nur die Erde, sondern auch den Himmel gibt. Menschen haben voll Staunen erlebt, daß es nicht nur den Leib, sondern auch die Seele gibt. Sie sind überwältigt. Ein neues Lebensgefühl hat sie gepackt.

Die feig waren, werden mutig. Die sich eingesperrt hatten, gehen in die Öffentlichkeit. Die das Ende befürchtet haben, reden von einem neuen Anfang. Sie Haben entdeckt, daß sie eine Seele haben. Seither ist alles Glück der Erde nicht mehr alles Glück für sie. Die Welt ist anders geworden. Auf jene, für die sich nichts geändert hat, wirken sie wie Betrunkene. „Sie sind voll des süßen Weines!" spotten sie.

Voll des süßen, nicht des sauren Weines. Sie sind durch das, was sie erfahren haben und was mit ihnen geschehen ist, nicht sauer und nicht griesgrämig geworden. Sie sind nicht voll Jammer über die schlechten Zeiten. Sie verbreiten keine Untergangsstimmung.

Sie können noch im Leid lächeln. Sie sind voll Hoffnung und Fröhlichkeit. Keine Verfolgung, kein Verzicht, ob freiwillig oder erzwungen, nimmt ihnen die Freude. Der hl. Paulus hat dafür die klassische Formulierung gefunden: „Wir gelten als Betrüger und sind doch wahrhaftig. Wir ' sind verkannt und doch anerkannt. Wir sind wie Sterbende und seht: wir leben. Wir werden gezüchtigt und doch nicht getötet. Uns wird Leid zugefügt, und doch sind wir jederzeit fröhlich. Wir sind arm und machen doch viele reich. Wir haben nichts und haben doch alles".

Es ist Pfingsten. Es ist die Zeit des süßen Weines. Auch wenn der religiöse Analphabetismus zunimmt, auch wenn die weiblichen Orden ihren Tiefpunkt noch nicht erreicht haben, auch wenn die fälligen Entscheidungen in der Kirche von Österreich nicht getroffen werden, auch wenn sich eine neue Kluft zwischen Amt und Nichtamt auftut, auch wenn immer öfter Angerührtheit zum Grundmuster der Beziehungen unter den Christen wird, auch wenn immer mehr Menschen heftig für sich und ihre Ideen die ganze Autorität der Kirche und den Beifall der ganzen Kirche fordern, aber die Bereitschaft, in Solidarität und Loyalität die Entscheidung der Kirche mitzutragen, verweigern — es ist die Zeit des süßen Weines.

Die Keller Gottes sind voll. Der süße Wein plätschert nicht aus den Brunnen der öffentlichen Meinung. Er sprüht nicht in den Fontänen der gesellschaftlichen Auseinandersetzung. Er lagert in alten Gewölben. Viele haben die Schlüssel zu diesen Gewölben verlegt oder verloren.

Sie leben auf einem Schatz, ohne es zu wissen. Sie trinken den sauren Wein der Hoffnungslosigkeit. Sie trinken den Wein dieser Erde und könnten vom süßen Wein des Heiligen Geistes trinken. Sie halten die Erde für ihren Himmel und den Leib für ihre Seele und Seligkeit.

Der gesagt hat „Ich bin die Tür", ist die Tür auch zu den Fässern mit dem süßen Wein. An vielen Türen haben die Menschen im Lauf der Geschichte angeklopft. Viele Türen haben sie aufgestoßen. Manchmal meinten sie, eine neue Welt zu betreten und standen doch nur vor neuen Kulissen.

Heute stehen wir in Gewölben, in denen sich die Mittel der Vernichtung stapeln. Heute stehen wir in Gewölben, die widerhallen vom Schreien der Gefolterten und Gedemütigten. Heute stehen wir in Gewölben, deren Kälte und Unmenschlichkeit Liebe und Vertrauen gefrieren lassen. Und viele fürchten, daß die Türen hinter uns zugefallen sind und wir keine Schlüssel besitzen, sie wieder aufzusperren.

Jesus hat gesagt: „Ich bin die Tür". Es gibt viele Türen, Türen mit den verschiedensten Formen. Die Tür Jesu hat die Gestalt eines Kreuzes. Viele erschreckt die Form dieser Tür. Die Geschäfte blühen, die andere Formen als das Kreuz anbieten. Sie verbergen das Kreuz und bringen Kreuz.

Jesus zeigt das Kreuz und verwandelt es. Die feig sind, werden mutig. Die eingesperrt sind, gehen in die Öffentlichkeit. Denen das Ende droht, wagen einen neuen Anfang. Alle Angst der Erde ist nicht mehr alle Angst für sie und alles Glück der Erde ist nicht mehr alles Glück für sie.

Die Tür zu den Fässern mit dem süßen Wein hat die Gestalt des Kreuzes. Wer sich davon abschrecken läßt, der muß den sauren Wein dieser Erde trinken. Für ihn bleibt Pfingsten das Fest des Luftballons. Wer durch die Tür geht, für den wird sein Leben zur Zeit des süßen Weines.

Der Autor ist r.-k. Pfarrer in Mödling und Fernsehprediger.

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