6972582-1985_36_04.jpg
Digital In Arbeit

Zuckerbrot und Peitsche ?

Werbung
Werbung
Werbung

Kinder lernen ununterbrochen, es ist für sie eine Selbstverständlichkeit. Mit dem Eintritt in die Schule wird ihr Lernen reglementiert und hört somit auf, eine Selbstverständlichkeit zu sein. Nun sagen sie nicht mehr so oft: Schau, was ich kann!, sondern öfter: Schau, was ich bekommen habe - einen Einser!

Noten werden zur Entwicklung des Leistungsdenkens für nötig gehalten. In Wirklichkeit wird aber nur das Konkurrenzdenken entwickelt. Denn die Freude über die guten Noten geht Hand in Hand mit der Schadenfreude über die schlechten der anderen.

Werte und Statussymbole sind im Begriff, sich zu verändern oder haben sich bereits verändert. Man muß nicht besonders revolutionär gesinnt sein, um in unserer verbürokratisierten Welt die Sechs- bis Achtjährigen von der bürokratischen Qualitätsbestimmung ihrer Kenntnisse und Fähigkeiten ausnehmen zu wollen.

Es gehört auch kein besonderer Mut dazu, eine Erziehung zu riskieren, die sich auf die Eigenschaften stützt, auf die man bei jedem gesunden Kind rechnen kann: Neugierde, Wissensdrang und Vitalität

Man motiviert das Kind nicht mit dem Einser oder gar dem Su-pereinser, dem römischen, man manipuliert es. Und man entmutigt jene, die solchen Lorbeer nicht erlangen.

Wer von einem positiven Menschenbild ausgeht, wird Noten nicht nötig finden. Die Peitsche haben wir schon längst verdammt und verbannt, doch auch das Zuk-kerbrot ist nicht gesund.

Der Erfolg des Schülers wird durch seine Noten ausgedrückt, der des Erwachsenen durch sein Gehalt. Wie aber stünde die Welt da, wenn sie auf alle jene Leistungen verzichten müßte, die schlecht oder gar nicht bezahlt werden?

Die Wichtigkeit des Erfolges für den einzelnen, auch für das einzelne Kind, steht außer Frage. Aber sie wird so überbetont, daß darüber die Freude an der Sache selbst, die zu großer Anstrengung befähigt, vergessen wird.

Es gibt Menschen, die sich lebenslänglich ihrer guten Noten erfreuen und noch im Seniorenbund gerne darüber sprechen. Das zeigt, wie wichtig Erfolg ist, und daß diese Menschen nach der Schule keinen mehr hatten. Es gibt viele, die lebenslänglich von ihren schlechten Noten aipträumen. Sie fühlen sich nicht be-, sondern verurteilt.

„Gewohnheit macht die Fehler schön.“ Manches wird sehr lange nicht in Frage gestellt, und oft hält man an Gewohntem fest, weil man mit den Argumenten, die zu seiner Abschaffung angeführt werden, nicht übereinstimmt.

Doch jeder hat seine eigenen Erfahrungen mit der Schule und kann sich daher eine persönliche Meinung bilden. Wer gegen Noten ist, ist deswegen nicht gegen Leistung, sondern gegen die Unlauterkeit der Mittel, mit denen sie erzielt (erlistet) werden soll/

Ein strenges und stures Notensystem ist nur scheinbar ein Weg, das Niveau anzuheben und hochzuhalten. Tatsächlich wird dadurch nur eine Uberanpassung erzwungen.

So wenig ein guter Lehrer autoritäres Auftreten nötig hat, so wenig benötigt ein gutes Schulsystem die Noten.

Die Autorin ist freie Schriftstellerin und Mutter von drei Kindern.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung