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Ungarns Kirche wacht auf

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Vor etwa einem Jahr hat die ungarische Bischofskonferenz ihren Sozialhirtenbrief herausgegeben. Seitdem kommt der Dialog in der Kirche des Landes nicht zum Stillstand.

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Vor etwa einem Jahr hat die ungarische Bischofskonferenz ihren Sozialhirtenbrief herausgegeben. Seitdem kommt der Dialog in der Kirche des Landes nicht zum Stillstand.

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In Ungarn hat der Sozialhirtenbrief der Bischofskonferenz ein beachtliches Echo ausgelöst.” Nach Ansicht des ungarischen Religionsoziologen Miklös Tomka hat das Rundschreiben der ungarischen Bischofskonferenz seine Wirkung nicht verfehlt.

Vor etwa einem Jahr ist der Brief in Ungarn erschienen. Seitdem hätten ihn etwas mehr als eine Million Menschen gelesen, schätzt er, denn der Sozialhirtenbrief wurde von der Kirche zunächst in einer Auflage von 200.000 Stück verteilt, aber auch zwei ungarische Tageszeitungen hätten ihn in voller Länge abgedruckt.

Professor Tomka war einer der acht Experten, die den Brief zwei Jahre lang in mühevoller Arbeit vorbereitet haben. Unter den rund 25 Fachleuten, die insgesamt an der Entstehung des bischöflichen Rundschreibens beteiligt waren, befanden sich - vor allem zivile - Wirtschaftsexperten, Juristen, ein Politologe und Soziologen.

„Es gab Reaktionen innerhalb aller politischen Parteien und Lager. In den Medien wurde ausführlich darüber berichtet, sicher sind hundert oder mehr Artikel über den Sozialhirtenbrief erschienen. Selbst Ministerpräsident Horn wurde in einem Fernsehinterview nach seiner Meinung gefragt. Er meinte nur: 'Das hätten wir selbst auch schreiben können.'”

Christen im Aufbruch

Der Brief enthalte sicher keine umwerfende Neuigkeit, er liefere einfach eine Beschreibung der gegenwärtigen Situation im Lande, so der Soziologe. Dennoch haben andere Politiker der Kirche viel Anerkennung gezollt und gemeint, es existiere keine andere derartig gelungene und genaue Analyse der politischen, gesellschaftlichen, wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Probleme des Landes.

„Die große Neuerung, die uns der Brief außerdem gebracht hat, ist, daß Diskussionen in der Öffentlichkeit viel stärker den Menschen und seine Bedeutung in den Mittelpunkt stellen. Bis vor kurzem wurde es nicht akzeptiert, wenn sich die Kirche in Fragen des öffentlichen Lebens zu Wort meldete. Das ist jetzt anders: Eine breite Masse der Bevölkerung akzeptiert es nicht nur, wenn die Kirche sich nun an Diskussionen beteiligt und ihre Wertvorstellungen in öffentliche

Debatten einfließen läßt, sondern auch innerhalb der Christen ist es zu einem großen Umbruch gekommen.” Seit der Veröffentlichung des Rundschreibens hätten hunderte Veranstaltungen, üiskussionsforen und Konferenzen stattgefunden, deren Ziel es sei, den seither entstandenen Dialog nicht zum Stillstand zu bringen.

„Die Christen selbst sind viel aktiver und dynamischer geworden und beginnen ihre Verantwortung innerhalb der Gesellschaft zu begreifen und zu übernehmen”, betont der ungarische Soziologe die Wirkung des Schreibens innerhalb der Kirche. Der Aufruf der ungarischen Bischöfe an die Bevölkerung, sich aktiv am Wiederaufbau des Landes zu beteiligen, scheint auf fruchtbaren Boden gefallen zu sein. Im Sozialhirtenbrief heißt es: „Die Staatsbürger müssen auch selber zur Lösung der Probleme beitragen”, und „Es ist die Pflicht der Christen, ein demokratisches Gesellschaftsmodell zu schaffen und dieses zu fördern.”

Vieles ist aufgestaut

Als größte Problemkreise werden die Verarmung, Mängel im Gesundheitswesen, die Arbeitslosigkeit und die sozialen Spannungen, die während der 40 Jahre kommunistischer Herrschaft entstanden sind, behandelt. Ein eigenes Kapitel widmet sich den politischen Umwälzungen und den nachhinkenden Veränderungen in der ungarischen Gesellschaft. Besonderes Augenmerk legt der Sozialhirtenbrief im Kapitel „Kultur” schließlich auf Mängel im Unterrichtswesenundauf die Erziehung der jungen Generation, der der Staat viel zu wenig Beachtung schenke.

Daß der Sozialhirtenbrief der ungarischen Bischofskonferenz nun auch in deutscher Übersetzung erschienen ist, erfüllt Professor Tomka mit gewissem Stolz, auch wenn er betont, daß mit der Übersetzung „Für eine gerechtere und brüderlichere Welt!” im Ungarischen eine „geschwisterlichere” Welt gemeint sei. Das Ungarische Kirchensoziologische Institut in Wien (1030, Gerlgasse 10) hat die deutsche Übersetzung von Maria Jahn Anfang September herausgegeben.

Die deutsche Version soll Kirchenleuten und Medien im deutschen Sprachraum zugänglich sein und „als Information, in manchem vielleicht auch als Anregung” dienen, heißt es

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