Zukunft durch Fremde unerwünschtl

19451960198020002020

Allen Dementis zum Trotz ist die Frage nach der Zuwanderung ausländischer Fachkräfte für Informationstechnologie (IT) ein zutiefst ideologisches Thema.

19451960198020002020

Allen Dementis zum Trotz ist die Frage nach der Zuwanderung ausländischer Fachkräfte für Informationstechnologie (IT) ein zutiefst ideologisches Thema.

Werbung
Werbung
Werbung

Das Boot ist zwar nach wie vor voll, heißt es, doch auf dem Computerdeck sind ein paar Plätze frei geworden. Diese sollen schnell an Informatiker, Programmierer und Netzwerktechniker vergeben werden. Ansonsten fahre die Informationstechnologie (IT)-Branche mit "angezogener Handbremse". Österreich laufe außerdem Gefahr, den Konjunkturmotor abzuwürgen, Einnahmeausfälle zu erleiden, zusätzliches Wirtschaftswachstum leichtfertig zu verschenken, weil Spezialisten fehlen, um die Wachstumspotenziale auszuschöpfen. So argumentieren Vertreter der Wirtschaft und fordern eine befristete Grenzöffnung und die Erhöhung der Zuwandererquote für IT-Spezialisten.

Die IT-Zuwanderung sei "keine Frage der Ideologie", versucht Wirtschaftskammerpräsident Christoph Leitl die FPÖ zu beruhigen. Ohne Erfolg, gerade die Zuwanderung sogenannter Schlüsselarbeitskräfte lässt die verschiedenen Ideologien klarer als sonst erkennen: Denn wer generell und kompromisslos gegen die Zuwanderung ausgezeichnet qualifizierter, in hohem Ausmaß integrationsfähiger und finanziell abgesicherter Ausländer wettert, muss schon im Fremden an sich eine Bedrohung sehen. Die widerwärtige, doch vielfach anzutreffende Gleichung: fremd ist nur, wer arm ist, wird hier noch verschärft und lautet jetzt: fremd ist und bleibt fremd und ist aus diesem Grund abzulehnen und soll draußen bleiben, ob arm, ob reich, ob integrationswillig und -fähig oder nicht.

Und flugs kommt zu dieser Ausländersicht die passende Familienpolitik dazu und verspricht das Problem - allen demographischen Prognosen zum Trotz - mit der Heranziehung eigener inländischer Experten zu lösen. Pech nur, dass die kindergeldgeförderten IT-Fachkräfte in spe erst in zwanzig bis fünfundzwanzig Jahren der Branche zur Verfügung stehen. Kein Zeitrahmen für einen Wirtschaftssektor, in dem die Zyklen technischer Innovationen so schnell sind wie nirgends sonst. Und für Österreichs IT-Firmen, die in ihrem jeweiligen Bereich einen Know-How-Vorsprung von einem halben bis zu einem Jahr halten können, muss schon die Vertröstung auf die jetzt gestartete IT-Bildungsoffensive, die Fachkräfte binnen drei, vier Jahren hervorbringen soll, wie Hohn klingen.

Wobei keineswegs ausgemacht ist, dass Österreichs Ruf nach IT-Fachkräften vorbehaltlos und in übergroßem Ausmaß Folge geleistet wird. Qualifizierte Zuwanderer gehen dorthin, wo sie akzeptiert werden, und wo sie sich nicht andauernd dafür rechtfertigen müssen, dass sie da sind. Staaten, die auf eine lange Tradition selektiver Zuwanderungspolitik aufbauen (USA, Kanada, Australien) bieten nicht nur einen gutbezahlten Job, sondern auch Integration. Und Geld ist in dieser Sparte nicht das einzig Ausschlaggebende. Lebensqualität, gesellschaftliches Umfeld, Ruf und Reputation eines Landes sind neben den Anwerbestrategien für die Zuwanderung bestimmter höherer Qualifikationen ausschlaggebend.

Das mag mit ein Grund dafür sein, warum im vergangenen Jahr anstatt der erwarteten zwanzig- bis dreißigtausend nur 4.200 ausländische Computerspezialisten nach Deutschland gekommen sind. "Kinder statt Inder"-Rufe machen an der jeweiligen Landesgrenze nicht halt, und warum sollte ein Inder oder Taiwanese in ein Land gehen, wo er fürchten muss, rassistischer Verfolgung ausgesetzt zu sein?

Österreichs Wirtschaftsminister Martin Bartenstein interpretiert die geringe Nachfrage ausländischer Spezialisten hingegen als Indiz dafür, dass diesbezügliche Studien den Bedarf der Wirtschaft an IT-Spezialisten viel zu hoch einschätzen. Der tatsächliche - angeblich um ein Vielfaches geringere - Bedarf könne durch "Umschichtungen" in der bestehenden Zuwanderungsquote abgedeckt werden, heißt es aus dem Wirtschaftsministerium.

Wie das gehen soll, wenn die geringsten Schätzungen der Wirtschaftsforschungsinstitute einen Bedarf zwischen acht- und zwölftausend Spezialisten pro Jahr prognostizieren, die jährliche Zuwanderungsquote für ganz Österreich aber insgesamt 8.512 Menschen beträgt, ist allerdings nicht ganz nachvollziehbar. Außer man versteht unter Umschichtung die Streichung oder Umwidmung von Kontingenten und spielt - wie bereits angedacht - den Familiennachzug gegen die Anwerbung von Facharbeitern aus. Und das, wo hinlänglich nachgewiesen ist, dass nichts der Integration von Ausländern mehr dient, als die eigene Familie im Land zu haben.

Das Beispiel Familiennachzug versus Zuwanderung von Fachkräften zeigt deutlich, wie sehr sich in Migrationsfragen zunehmend politische, ethische und ökonomische Interessen überlagern. Hierzulande kommt hinzu, dass die Aufnahme von Fachkräften ohne - wie sonst und bislang bei Zuwanderung vor allem üblich - einen humanitären Anspruch vonstatten geht, sondern primär auf wirtschaftlichen Überlegungen beruht: Aus der Fluchtschleuse für an Leib und Leben Bedrängte wird die Einstiegsluke für gesuchte Fachleute. Das irritiert, das ergibt aber auch neue Möglichkeiten für Allianzen - beispielsweise zwischen Wirtschafts- und Flüchtlingsorganisationen -, die es in dieser Weise im Land noch nicht gegeben hat.

Dass die Behebung des IT-Fachkräftemangels nicht nur durch den Zuzug von Spezialisten, sondern auch durch heimische Lösungsstrategien (Schulungsfunktion der Betriebe forcieren et cetera) angegangen werden muss, ist nicht zu widersprechen. Fachkräfte aus anderen Ländern könnten aber dazu beitragen, dass wieder Fenster und noch mehr Fenster im Land geöffnet werden und damit der Mief hinaustreibt, den eine Ideologie verursacht, die mit dumpfen Bedrohungsängsten verbietet, Fremde aufzunehmen, von denen man lernen und profitieren kann und die helfen, Österreichs Zukunft mitzugestalten.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung