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Die chwestern im Gottesdienst

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Auf lange Sicht gesehen, könnten von einer solchen Hausmesse dann manche Impulse auf die lateinische Liturgie zurückwirken. Auch diese bedarf bis zu einem gewissen Grad der „Entkultung“, das heißt der Rückführung unverständlich gewordener kultischer und symbolischer Handlungen auf das darunter Gemeinte, und einer „Entfeudalisierung“, das heißt der Herauslösung der liturgischen Formen aus einem soziologischen Hintergrund, den es in der Welt nicht mehr und in der Kirche hoffentlich bald nicht mehr gibt. Durch die Abschaffung der bisher in der Liturgie vorgesehenen Küsse von Händen und Gegenständen ist bereits etwas in dieser Richtung geleistet worden. Aber noch bleibt viel zu tun, denn wenn hier auch manche rituelle Änderung schon viel helfen würde, so muß doch betont werden, daß es damit allein nicht getan ist. Es muß eine Gestalt des Gottesdienstes gefunden werden, die die kollegiale Struktur der Kirche erkennen läßt. Die wieder eingeführte Konze-lebration kann hier einen ersten Anstoß geben, weiterzudenken und wei-terzusuchen, um den brüderlichen Bezügen unter den Christen in der Liturgie Ausdruck zu geben.

Das hier Gesagte will vor allem bedacht sein, wenn man in der nächsten Zeit daran geht, die vom Konzil angeregten eigenständigen Wortgottesdienste auszuarbeiten. Es hieße eine große Chance versäumen, wollte man sich damit zufrieden geben, lediglich das, was man bis vor kurzem noch schmählich die „Vormesse“ nannte, zur alleinigen Vorlage zu nehmen und damit Formen zu schaffen, die schon zu der Zeit, da sie entstehen, nicht mehr dem aktuellen Kirchenbegriff und der Welt, in der die Kirche lebt, entsprechen.

Die hier geforderte Ablösung überholter paternalistischer Formen durch fraternale Bezüge dürfte nicht nur den „Bruder“ sondern müßte auch die „Schwester“ im Auge haben und müßte die längst notwendige Aufwertung der Frau im gottesdienstlichen Raum einleiten. Wenn im Hinblick auf das kirchliche Amt auch Schwierigkeiten vorliegen, die unüberwindbar scheinen, so könnte man schon heute zumindest dieTie-geln der Höflichkeit einhalten und die Lesungen nicht mehr mit der Anrede: „Brüder!“ sondern mit „Schwestern und Brüder!“ beginnen. Daß sich kaum je ein Protest dagegen erhebt, daß durch die heute übliche Anrede wenigstens die Hälfte, wenn nicht zwei Drittel der Anwesenden übergangen werden, zeigt nur, mit welch geringer innerer Anteilnahme in der Regel der Gottesdienst gefeiert wird.

Die Erfüllung der Wünsche hängt nicht nur von der kirchlichen Obrigkeit ab. Sie hängt vor der Gesamtheit des Volkes Gottes und damit von jedem einzelnen ab. Sie hängt davon ab, wie Klerus und Laien sich zu der Erneuerung der Liturgie, die am ersten Fastensonntag bekanntlich in Kraft treten wird, stellen werden.

Werden sie das, was durch Jahrzehnte von unten her kommend der Hierarchie als Wunsch vorgetragen wurde und was von der Hierarchie nun nach unten zurückgereicht wird, annehmen und in die Tat umsetzen? Werden die, von denen in den vergangenen Jahren die Vorschläge an die Hierarchie herangetragen wurden, die Kraft, die Ausdauer und die Zähigkeit haben, das alles nun auch im Alltag zu verwirklichen? Werden die, die sich in den vergangenen Jahren gegen jede vorschnelle Neuerung, unter Hinweis auf ihre Treue und Liebe zur Kirche und ihren Anordnungen, wehrten, nun auch dieselbe Treue und Liebe den neuen Vorschriften entgegenbringen? Werden die, die bisher gegen eine Erneuerung der Liturgie immer an den Gehorsam appellierten, nun auch an ihren eigenen Gehorsam appellieren lassen?

Wenn Klerus und Laien das Ihre dazu beitragen, daß schon die jetzt beschlossenen Neuerungen zu einer Belebung des gottesdienstlichen und damit des gesamten kirchlichen Lebens führen, dann wird auch die Hierarchie leichter den Mut finden und das Wagnis eingehen, diejenigen Versuche und Experimente zu gestatten und anzuregen, die die unabdingbare Voraussetzung dafür sind, daß die hier geäußerten — heute noch utopisch anmutenden! — Vorschläge auf lange Sicht in die Tat umgesetzt werden können.

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