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Ein rechtzeitiges Wort

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Es ist vielen Katholiken aus dem Herzen gesprochen, was den Wienern ihr Kardinal am Anfang der Fastenzeit zuruft: Der ist kein rechter Katholik, der den Nächsten aus der Kirche drängen möchte. Gerade das ist nämlich die Wahrnehmung, die tieftraurige, ärgerniserregende Wahrnehmung, die man täglich im heutigen kirchlichen Parteienkampf machen muß. Jawohl, es besteht die Tendenz, den Parteigegner aus der Kirche drängen zu wollen. Diese Tendenz besteht auf beiden Seiten, bei beiden Parteien, bei den Neuerern und den Traditionalisten.

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Es ist vielen Katholiken aus dem Herzen gesprochen, was den Wienern ihr Kardinal am Anfang der Fastenzeit zuruft: Der ist kein rechter Katholik, der den Nächsten aus der Kirche drängen möchte. Gerade das ist nämlich die Wahrnehmung, die tieftraurige, ärgerniserregende Wahrnehmung, die man täglich im heutigen kirchlichen Parteienkampf machen muß. Jawohl, es besteht die Tendenz, den Parteigegner aus der Kirche drängen zu wollen. Diese Tendenz besteht auf beiden Seiten, bei beiden Parteien, bei den Neuerern und den Traditionalisten.

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Natürlich ist es ganz falsch, wenn man diese zwei Geistesrichtungen mit politischen Parteien vergleicht, oder gar einfach mit Rechts und Links gleichsetzt. Erstens sind Glaubensangelegenheiten mit politischen Programmen oder gar politischer Taktik nicht kommensurabel; die Kirche kann ebensowenig demokratisch, faschistisch oder sozialistisch sein, wie Beethovens Neunte Symphonie grün, blau oder violett sein kann. Zweitens gibt es — Gott sei Dank! — keineswegs eine traditionalistische noch auch eine neuerungsfreudige Parteiorganisation; denn wo es wirklich organisierte, auch wohl kirchlich approbierte Gruppen etwa für traditionellen Gottesdienst oder für zeitgemäße Bibelauslegung gibt, sind sie eben für konkrete Einzelfragen zuständig, und es steht ihnen keineswegs zu, nach Art einer politischen Parteidisziplin die Einzelheiten an die gesamte Parteilehre oder Parteitaktik zu binden. Doch alles das zugegeben, Ist es eben doch so, daß es zwei überwiegende geistige Strömungen gibt: es gibt die Freunde der Neuerung und die Anhänger der Uberlieferung. Das wäre ja an sich ein gesunder Pluralismus; es ist gut, daß es vor Gericht den berufenen Ankläger und den beruflichen Verteidiger gibt — beide an dasselbe Gesetzbuch gebunden —, es war gut, daß es in der katholischen Theologie dominikanische, franziskanische, jesuitische Schulen gab — alle gebunden an dieselbe Glaubenslehre. Es Ist aber, im Gegenteil, ein ungesun-

der, ein unchristlicher Pluralismus zu beobachten; es wütet das unbewußte oder doch schon bewußte Bestreben, den anderen aus der Kirche hinauszuekeln. Wie macht man das? Der Überlieferungstreue hält sich so manchmal nicht an das biblische Wort von der beispielgebenden Güte des Erlösers, der das geknickte Rohr nicht brechen, den glimmenden Docht nicht auslöschen will; er freut sich gar nicht über die Treue, die gute Absicht, den impliziten Glauben des strauchelnden, irrenden, verführten Glaubensbruders. Er macht sich keine Gedanken darüber, daß es doch wohl eben Glaubenstreue und gute Absicht voraussetzt, wenn einer in Zeiten drohender, nahekommender, absehbarer Kirchenverfolgung sich noch zur Kirche bekennt, und daß man also seine Vorschläge und Bestrebungen in diesem Sinne auch dann auffassen muß, wenn sie objektiv, wenn sie im konkreten Fall unvernünftig, schädlich, irrgläubig erscheinen sollten. Nein, der verärgerte Altgläubige spricht zu dem konfusen Bruder sofort so, wie der Erlöser zum Verräter nach dessen Anwerbung als Gegenagent gesprochen hat: „Was du tust, tue schnell!“ Schau dazu, auch öffentlich aus der Kirche auszutreten ... Und wenn jener das nicht will, spricht der Traditionalist zur kirchlichen Obrigkeit wie Gräfin Terzky: „Befreien Sie uns von seiner hassenswerten Gegenwart!“ Wenn sie aber das nicht tun will, spricht man von Irrglauben an hoher und höchster Stelle. Was tut derweilen der Neuerer? Be-

müht er sich, einen günstigeren Eindruck beim Traditionalisten zu erreichen? Vermeidet er, was Ärgernis geben kann? Sagt er sich mit dem Völkerapostel: „Ich darf alles Mögliche, aber es ist ja nicht alles nützlich!“ und scheut er den Vorwurf, sein Benehmen sei eine Provokation? Wenn die kirchliche Obrigkeit nach seinem Wunsch eine Neuigkeit eingeführt hat — gibt er sich redlich Mühe, sie dem Überlieferungstreuen einleuchtend, schmackhaft zu machen? Bemüht er sich um den Nachweis, daß nichts neu eingeführt worden ist, „nisi quod traditum est“, außer was sich auf Überlieferung stützt? Führt er eifrig vor möglichst weitem Publikum den Nachweis, daß neueingeführte gottesdienstliche Texte nicht von geistlichen Subalternbeamten und liturgischen Vereinsmeiern erfunden, sondern aus altkirchlichen schriftlichen Zeugnissen geschöpft worden sind? Ist er aufmerksam und angestrengt damit beschäftigt, darum besorgt, daß der betrübte Bruder wieder Freude am Gottesdienst, Beruhigung bei der Glaubenslehre, Erbauung bei der Schrifterklärung findet? Manchmal hat man einen ganz anderen Eindruck.

Sieht man so einen Neuerer freudestrahlend daherkommen, wie Bizets Toreador „Mut in der Brust, siegesbewußt“, und laut verkünden, jetzt müßten eben diejenigen, die am Herkommen hängen, auf manches Liebe verzichten — dann drängt sich der Zweifel wirklich auf, was man denn mit solchem Fortschrittstriumphalismus zu erreichen wünsche oder glaube. Sie müssen ja in einem freien Staat auf gar nichts verzichten. Der freie, pluralistische Staat würde niemand hindern, zu verkünden, im Vatikan säße der Greuel der Verwüstung an heiliger Stätte, wer da liest, verstehe! und es müßten Gläubige, Priester, auch Bischöfe das integrale Glaubensgut in konsequenter Treue zu bewahren wissen. Ein konservatives Schisma ist glücklicherweise unwahrscheinlich, aber manche Neuerer gehen so vor, als ob

sie es kaum betrauern, sondern eher als Erlösung von lästiger, störender Konkurrenz begrüßen würden. Doch gibt es kaum etwas, das schrecklicher wäre, als den Glaur bensbruder aus dem Vaterhaus verdrängen zu wollen. Der Uberlieferungstreue müßte schamrot werden, wenn er sich dem Vorwurf ausgesetzt hätte, daß er aus antiquarischer Starrköpflgkeit einem Unzufriedenen das Verharren in der Kirche erschwert hat, der Neuerer könnte nicht ruhig schlafen, wenn er sich sagen müßte, seine Rücksichtslosigkeit hätte dem Nächsten die kirch-

liche Tätigkeit oder gar den heiligen Gottesdienst verleidet.

Das rechtzeitige Hirtenwort des Wiener Erzbischofs — gegründet auf so viele, so nachdrückliche Worte des Herrn und der Apostel — ist hervorragend geeignet, in dieser Angelegenheit bei Katholiken aller Geistesrichtungen das hervorzurufen, was vor der Osterkommunion unentbehrlich ist: Gewissenserforschung, Reue und guten Vorsatz mit tätiger Wiedergutmachung der begangenen Sünden, der unterlassenen Pflichten.

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