Galiläa, Jerusalem, Himmelreich (drei Stunden lang)

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Leben und Sterben Christi hat in St. Margarethen einen besonderen Stellenwert: alle fünf Jahre spielen die Bewohner des Ortes die Passion Jesu. Mit Hingabe, Totaleinsatz. Und ohne Honorar.

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Leben und Sterben Christi hat in St. Margarethen einen besonderen Stellenwert: alle fünf Jahre spielen die Bewohner des Ortes die Passion Jesu. Mit Hingabe, Totaleinsatz. Und ohne Honorar.

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In St. Margarethen im Burgenland sprengt die Fasten- und Osterzeit das Korsett des Kirchenjahres: Die Passionsspiele vom Leben, Sterben und Auferstehung Christi beleben nicht nur alle fünf Jahre im Sommer die eindrucksvolle Kulisse des Steinbruchs, sie prägen das Leben aller. Kind sein, wachsen, altern, leben und leiden: Alles geschieht im Zeichen der Passion, ihre Botschaft begleitet die Lebensalter der St. Margarethner. Es gibt kaum eine Familie, die nicht mitspielt, kaum einen Mann, der sich nicht einen Vollbart wachsen lässt, um die biblischen Protagonisten besser darstellen zu können.

Zwischen 500 und 700 Laiendarsteller treten in einem der ältesten und größten Steinbrüche Europas auf, verwandeln ihn für etwa drei Stunden in Galiläa, Jerusalem, Betanien, Golgota, Emmaus und das Himmelreich. Die Heilung der Blinden, die Bergpredigt, die Szene mit der Ehebrecherin, die Vertreibung der Händler aus dem Tempel, das letzte Abendmahl, der Kreuzweg, sogar die Auferstehung: alles wird dargestellt. Jesus wirkt, leidet, stirbt, erscheint den Frauen am Grab, den Emmausjüngern, dem ungläubigen Thomas und entsendet am Schluss seine Apostel in alle Welt.

"Großer Gott, wir loben dich!" Mit dieser euphorischen gemeinsamen Hymne, überzeugt gesungen von Publikum und Darstellern, endet das Spiel mitten im Leben der Anwesenden.

Anfang im Bauernhof Seit 1961 wird das Passionsspiel in St. Margarethen im Steinbruch gespielt, den Text dazu schrieb Prälat Johannes Kodatsch auf Basis der vier Evangelien. Der Wiener Judaist Kurt Schubert hat ihn 1970 von antisemitischen Untertönen gesäubert. Die Tradition der Passionsspiele ist schon älter, sie begann bescheiden am Dreifaltigkeitssonntag: Gespielt wurde erstmals im elterlichen Bauernhof des Jungbauern Josef Unger 1926. Er hatte mit dem damaligen Pfarrer von St. Margarethen, Josef Kaindlbauer, das "Leiden-Christi-Spiel" in Großhöflein bei Eisenstadt gesehen. Beide waren davon so beeindruckt, dass sie sich von den dortigen Spielern Text, Kostüme und Requisiten ausborgten, um dasselbe Spiel mit der Pfarrjugend St. Margarethen aufzuführen. Die Zuseher aus dem Dorf waren tief bewegt. 1929 baute man als erste Gemeinde des Burgenlandes ein Pfarrheim: mit Bühne und großem Zuseherraum.

Das Heilige Jahr 1933 feierten die St. Margarethner schon auf ihre Weise: sie überarbeiteten den Großhöfleiner Text und führten ihre Passion erstmals im neuen Pfarrheim auf. Pfarrer Kaindlbauer legte den Grundstein zum besonders intensiven Bezug der St. Margarethner zur Passion: Man gelobte, ab der Premiere 1926, zumindest alle zehn Jahre das Spiel vom Leiden Christi zur Aufführung zu bringen, um sich "die Gnade für ein neues, erweitertes Gotteshaus zu erwirken, zur religiösen Erneuerung der Pfarrgemeinde und des Heimatlandes". Spielleiter Emmerich Unger folgte dem Gelübde erstmals 1936, nach dem Krieg löste er es nach seiner Rückkehr aus der russischen Gefangenschaft 1946 aller widrigen Besatzungsumstände zum Trotz wieder ein.

Der Burgschauspieler 1956 erlebte das Spiel einen qualitativen Aufschwung: Burgschauspieler Alfred Schnayder nahm sich seiner an, er inszenierte es völlig neu, die Zahl der Mitwirkenden wurde auf 160 erhöht, man nannte es aufgrund der Grenzlage das "Spiel am Eisernen Vorhang". 12.000 Besucher kamen; zur 800 Jahrfeier der Basilika Mariazell verließen die St. Margarethner das Burgenland und spielten ausnahmsweise 1957 sieben Mal in der Steiermark. Zwei Jahre später segnete Bischof Stefan Laszlo den Grundstein der erweiterten Pfarrkirche, nicht nur sie, auch der Pfarrsaal war für die Passionsspielgemeinde zu klein geworden: Der Römersteinbruch wurde seit Beginn der sechziger Jahre zur Spielstätte, gespielt wird inzwischen alle fünf Jahre.

Heuer feiern die Passionsspiele das 75-Jahr-Jubiläum seit ihrer Premiere im Bauernhaus. Reges Treiben herrscht an einem sonnigen Sonntagnachmittag Mitte Mai im Römersteinbruch. Fast 700 Menschen aus dem Ort spielen mit, viele Familienangehörige und Freunde verfolgen gespannt die Probe. Etwa zehn Schafe, ein Esel, ein paar Gänse, Ziegen und zwischen 20 und 30 Tauben werden bei den wirklichen Aufführungen im Sommer außerdem dabeisein. Die Vorbereitungen für das Spiel laufen seit Herbst 1998. "Wir haben das Regiekonzept ein wenig geändert, neue Sitze und mehr Infrastruktur. Dann begann die Suche nach den Darstellern. Keiner von ihnen bekommt einen Groschen, es ist viel Text zu lernen", erzählt Pfarrer Georg Lang. Er ist das dritte Jahr in St. Margarethen, zum ersten Mal erlebt er ein Passionsspiel mit.

"Alle fünf Jahre erneuert die Gemeinde vor dem Bischof das Passionsspielgebet. Wir geloben, pünktlich zu den Proben zu erscheinen und den Steinbruch zu einer 'steinernen Kanzel des Glaubens' zu machen", sagt Herbert Gabriel. Im Zivilberuf ist er Lehrer an der HAK in Eisenstadt, beim Passionsspiel heuer zum dritten Mal Christus in St. Margarethen:"Ich bin damit aufgewachsen. Als Fünfjähriger hab ich begonnen. Dann war ich der Bote von Pilatus' Frau Claudia, mit 19 der Johannes. Mein älterer Bruder war 1986 der Christus. Da hab ich gemerkt, wie ernst das ist. Er hat wochenlang Text gelernt, erzählt er. Bevor er die große Rolle annahm, hat er sich Bedenkzeit erbeten: "Es ist eine Riesenaufgabe. Wenn man mit der Prozession einzieht, flattern schon die Nerven."

Als Herbert Gabriel 1991 den leidenden Christus einstudierte, kämpfte seine Mutter gegen den Tod. Ein paar Wochen vor der Premiere ist sie gestorben. "Am Ölberg, bei der Kreuzigung, während der Probenarbeiten, sie war immer präsent. Der Text aus dem Passionsspiel läuft in meinem Leben weiter", sagt Gabriel. Ein Kreuz, das 40 Kilo wiegt, hat der Christus in St. Margarethen 120 Meter weit zu tragen, er bekommt echte Peitschenhiebe und fühlt wirklichen Schmerz. Die meisten großen Rollen sind doppelt besetzt, gespielt wird abwechselnd, beim Proben lösen sich die Darsteller szenenweise ab.

"Als sie mich das erste Mal gefragt haben, den Christus zu spielen, war ich wie vom Blitz getroffen,", erinnert sich der zweite Jesus, Hubert Händler: "Ich hatte gar nicht damit gerechnet, es war eine große Ehre für mich." Damals war er zehn Jahre jünger, es ging vor allem darum, die große Menge an Text zu bewältigen. Heuer steht er zum dritten Mal als Christus am Steinbruch, er sieht er viel bewusster, was Jesus sagt. "Ich habe starke Selbstzweifel und frage mich, ob ich die Botschaft des Evangeliums wirklich glaubwürdig rüberbringen kann", gibt er zu: "Es geht nicht darum, ob ich Christus spielen soll, sondern ob ich ihn spielen darf."

Die Ansprüche, die Hubert Händler an sich selbst stellt, sind hoch. Im Evangelium sieht er keinen antiquierten Text, sondern ein Lebenskonzept. "Verantwortung im Umgang mit dem Nächsten, Toleranz, Achtung, keine Vorurteile haben - das sind keine lebensfremden Dinge und ich hoffe sehr, dass ich das als Botschaft rüberbringen kann." Zwanzig Minuten später steht er auf der Bühne, spricht die Worte der Bergpredigt, schart die Kinder um sich, hebt die Kleinen auf die Arme. Regisseur Kurt Kugler hat nichts auszusetzen; aber als die Menge sich um Christus herum zusammenrottet, schallt seine Stimme laut und unwillig durchs Mikrophon: "Steht nicht da wie die Ölgötzen! Ihr müsst diskutieren, ich wünsche mir Bewegung im Volk!"

Publikums-Feedback Diejenigen, die gerade nicht auftreten, sitzen gelassen auf den Publikumssesseln in der Sonne, plaudern miteinander und verfolgen das biblische Geschehen in der Steinbruchkulisse. "Ich bin das zweite Mal der Judas", erzählt Emmerich Waha. "Gerissen hab ich mich um die Rolle nicht. Man fühlt sich schon als Verräter. Ich kann nicht einfach vor dem Spiel mit den anderen Karten spielen oder Spaß machen. Ich muss mich abschotten und vor dem Auftritt in mich hineingehen."

Landwirtin Elfriede Wasinger liebt ihre Rolle: seit 1976 ist sie die Maria. "Mein Leben lang hab ich mich mit ihr befasst. Für mich ist sie ein Vorbild." Ihr Sohn Markus spielt heuer auch mit, er ist ein Schächer am Kreuz. "Das Wunderbare am Passionsspiel ist das, was zurückkommt. Wir bekommen Briefe, da stehen Schicksale drin." Keiner der 70.000 Zuseher verlässt den Steinbruch, ohne zutiefst ergriffen zu sein. "Großer Gott, wir loben dich!"

Informationen Passionsspiele 2001 RömersteinbruchSt. Margarethen/Burgenland 17. Juni bis 9. September 2001 Die Aufführungen mit 3.500 Zuschauerplätzen dauern drei Stunden und finden an Samstagen oder Sonntagen statt.

Kartenbestellungen und Informationen: Passionsspielbüro, 7062 St. Margarethen, Kirchengasse 22, Tel.: 02680-2100, Fax: -4 E-Mail: info@passio.at Homepage: www.passio.at

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