Passion vermitteln und hinterfragen

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Die Passionsspiele der Tiroler Gemeinde Thiersee zeigen in einer um aktuelle Szenen bereicherten Fassung nicht nur biblisches Geschehen, sondern thematisieren auch Fragen und Probleme des Glaubens.

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Die Passionsspiele der Tiroler Gemeinde Thiersee zeigen in einer um aktuelle Szenen bereicherten Fassung nicht nur biblisches Geschehen, sondern thematisieren auch Fragen und Probleme des Glaubens.

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In der kleinen Gemeinde Thiersee im Tiroler Unterland finden wieder Passionsspiele statt. Sie gehen auf ein Gelöbnis von 1799 zur Verschonung von Kriegsnot zurück und werden alle sechs Jahre im dafür 1927 am Seeufer erbauten, kirchenähnlichen Passionsspielhaus aufgeführt. Mit großem Einsatz und nach mehr als eineinhalbjähriger Probenzeit trachten gegen 300 Mitwirkende aus allen Gemeindeteilen als Laienspieler, Choristen und Musiker das geistliche Drama vom Leben und Sterben Christi aus eigenem Glauben den Zuschauern nahe zu bringen.

Sie bieten kein anachronistisches frömmelndes Spiel, sondern trachten in doppelter Weise, die heutigen Menschen zum Nachdenken anzuregen, indem sie Fragen und Probleme des Glaubens aufwerfen und sich sowohl selber stellen als auch durch eingebaute Szenen an die Besucher herantragen. Dazu wird der Text, der auf eine theologisch ausgerichtete Prosafassung von 1875 zurückgeht, nicht nur ständig erneuert und um aktuelle Szenen bereichert, sondern das Spiel auch unter ein leitendes Motto gestellt.

Fragen, kommentieren, diskutieren,

Obwohl Dietmar Straßer von der Künstlerischen Betriebsdirektion der Wiener Volksoper seit 2005 bereits zum dritten Mal Regie führt, bietet er keine Wiederholung einer einmal erarbeiteten Fassung, sondern folgt dem heurigen Motto "Unter Beobachtung". So eröffnet ein Prolog mit Stimmen aus dem Thierseer Volk das Spiel. Angesichts von mehreren Religionen fragen die Leute, welchem Glauben man denn folgen soll, und sie entscheiden sich angesichts der Werte und der abendländischen Tradition für das Christentum. Das Spiel will nicht nur das biblische Geschehen zeigen, sondern auch dessen Kernaussagen vermitteln und es nach dem Motto hinterfragen. Es legt das Markusevangelium als den ältesten Lebensbericht Jesu zugrunde und erstreckt sich von der Johannestaufe im Jordan über das predigende und heilende Wirken, die Verfolgung durch die Pharisäer und Hohenpriester, die Gefangennahme, Verurteilung und Kreuzigung bis zur Auferstehung. Nur behutsam ergänzt wird es durch die anderen Evangelien wie etwa die Seligpreisungen der Bergpredigt.

Dem heurigen Motto entspricht in besonderer Weise die Gestalt Satans. Er gehört im Gegensatz zu anderen Passionen schon immer zur Thierseer Passion und tritt jetzt als Versucher bis zur Kreuzigung mehrfach an Jesus heran, indem er ihn in Vertretung der Zuschauer nach dem Sinn und Nutzen seines Wirkens und Leidens fragt. Fast scheint er mit Jesu Tod zu gewinnen, aber die Auferstehung und unendliche Liebe besiegen ihn, wenn damit das Böse auch nicht aus der Welt geschafft ist. Mehrere weitere Szenen kommentieren das Geschehen und hinterfragen Jesu Worte, so ein Bauernpaar, dessen Sohn Jünger Jesu wird, aber dadurch die alternden Eltern um Unterstützung bringt. Ferner ein mit einem Juden befreundeter Römer, aus deren Sicht das Auftreten Jesu beleuchtet wird. Auch Pilatus diskutiert mit einem ihm nahe stehenden Juden. Neue Perspektiven eröffnet die Gestalt des Judas. Er will Jesus zur Befreiung von der römischen Last zum Retter für das Volk zwingen, so dass er aus politischen Gründen zum Mittel des Verrats greift, weil seine Worte allein nichts ausrichten.

Lebendig und ausdrucksstark

Das sehr lebendige und ausdrucksstarke Spiel mit überzeugend agierenden und vor allem auch deutlich sprechenden Laiendarstellern wie Satan, Judas und Pilatus untermalt nachdrücklich die moderne Musik des Leiters der Blasmusik Josef Pirchmoser und des Chorleiters Franz Gruber. So wird etwa die Geißelung musikalisch mit einpeitschenden atonalen Schlägen im zugrundegelegten Choral "O Jesu, all mein Leben bist du" erschütternd ausgedrückt und wie Jesus am Kreuz sein Leben aushaucht, mit immer leiser werdenden, nach Pausen verstummenden Akkorden. Peinlichkeiten wie die frühere Erscheinung des Auferstandenen werden durch die Verkündigung der Botschaft durch Magdalena vermieden. Schließlich diskutiert ein junges Ehepaar mit unterschiedlichen Ansichten Wert und Bedeutung der christlichen Aussagen. Ihre Sinnhaftigkeit bekräftigt der Schlusschor mit einem "Großer Gott, wir loben dich".

| Der Autor ist em. Univ.-Prof. für deutsche Sprache und ältere deutsche Literatur an der Universität Wien |

Aufführungen: 14. und 21. August, 13.30 Uhr. 27. August, 19.00 Uhr. September, Samstag und Sonntag und 1. und 2. Oktober, 13.30 Uhr.

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