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Gina bricht das Schweigen

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VON EINEM ESEL ERWARTET MAN eigentlich nicht viel. Weil ich als Passionsspielesel aber ein besonderer Esel bin, wurde mir die Sprache geschenkt. Lange habe ich geschwiegen, aber nun drängt es mich zu reden. Hört, was ich euch zu sagen habe:

Zunächst möchtet ihr gewiß einiges über meine Vergangenheit hören. Wann und wo ich geboren wurde, weiß ich nicht. Schließlich nimmt man das einem Esel nicht übel, wenn er nicht alles weiß. Bei einem Esel ist das auch gar nicht so wichtig, zu wissen, wann er geboren wurde. Es wird für ihn keine Geburtsurkunde ausgestellt, da er sie ohnedies nicht lesen könnte. Auch weiß ich nicht wer meine Eltern waren, doch an meine Mutter kann ich mich noch gut erinnern. Ich soll zwar von edler Abstammung sein, doch ist mein Stammbaum unwichtig. Ich weiß nur, daß ich aus der Gegend von St. Pölten stamme und ungefähr sieben Jahre alt bin. Hoffentlich hört das nicht der Schuldirektor, denn mit diesem Alter wäre ich ja schon schulpflichtig.

Wie ich zu meinem Namen Gina gekommen bin, weiß ich auch nicht. Natürlich bin ich nicht getauft worden. Das wäre bei mir nicht leicht gewesen, da ich sehr wasserscheu bin. Das sind freilich auch manche Kinder, die sich in der Früh nicht waschen wollen. In meiner burgenländischen Heimat gibt es auch manche Männer, die wasserscheu sind; allerdings nicht so sehr beim Waschen, als vielmehr beim Trinken. Ich dagegen bin so wie meine Vorfahren Antialkoholiker. Dadurch haben wir uns stets den klaren Kopf und eine gesunde Leber bewahrt. Schließlich bin ich ja nur ein Esel.

Wasserscheu bin ich also sehr. Die Buben, die vor zwei Jahren mit mir rund um den Neusiedler See gewandert sind, können ein Liedlein davon singen. Wie habe ich mich gesträubt, als man mich in Rust für die Überfahrt nach Illmitz ins Motorboot bringen wollte. Man verband mir die Augen, doch ich roch das feuchte Naß und war nicht von der Stelle zu bringen. Fünf starke Männer haben mich gezogen und geschoben und fast ins Boot hineintragen müssen …

ALS IM JAHRE 1961 die Passionsspiele von St. Margarethen im Römersteinbruch aufgeführt werden sollten, brauchte man auch einen Esel. So wurde ich um 4000 Schilling gekauft und der Passionsspielschar einverleibt. Ich wurde der vierbeinige „Kollege“ der Laienspieler von St. Margarethen, denn wir haben keine Schauspielschule besucht. Wir sind ebenso „naturbelassen“ wie unser Wein …

Prälat Kodatsčhhat mir in seinem Textbuch „Passio Domini“ keine Sprechrolle zugedacht. Mir wurde vielmehr eine „tragende“ Rolle übertragen. Erstaunlicherweise habe ich meine Rolle sehr schnell und gut gelernt, so daß unser Regisseur, Burgschauspieler Alfred Schnayder, mit mir nie zu schimpfen brauchte. Auch war ich immer pünktlich bei den Proben, ohne es bei der Angelobung eigens versprochen zu haben.

Als dann im Mai 1961 die Passionsspiele begannen, trabte ich Sonntag für Sonntag vom Dorf die Landstraße hinaus zum Steinbruch. Die meisten meiner „Kollegen“ fuhren freilich mit dem Auto, doch mich hat niemand mitgenommen. Ich mußte immer zu Fuß gehen, obwohl ich doch auch ein Fräulein bin. Weil ich, wie gesagt, nur ein Esel bin, hielt keiner der „Benzinreiter“ seinen „Blechgaul“ an. Im Gegenteil!Diese bliesen mir höchstens ihren stinkenden Atem in meine ozonheischenden Nüstern.

Draußen im Steinbruch angekommen, erregte ich unter den Zuschauern stets großes Aufsehen. Lächelnd stellte ich mich den vielen Reportern, die in ihrem kleinen Kasten ein Bild von mir nach Hause nehmen wollten.

Am Passionsspielgelände nickte ich meinen „Kollegen“ freundlich zu und stellte mich dann unter das Bretterdach hinter den mächtigen Steinkulissen. Neben mir standen die anderen vierbeinigen Passionsspieler, die Reitpferde der römischen Soldaten. Ich verhielt mich hinter den Kulissen immer vorbildlich ruhig und lief nicht umher. Ich wußte, die Aufführung verlangt von uns Spielern, daß wir während des Spieles auch hinter der Bühne unsere Würde wahren.

Auch im nächsten Jahr trabte ich unverdrossen in der Mittagshitze hinaus zuiti Steinbruch und in der Abendkühle heimwärts ins Dorf. Mein Partner, der Christusdarstel- ler Franz Unger, und sein geduldiges Reittier fehlten, wie viele andere, bei keiner Vorstellung. Auf uns konnte man sich verlassen.

ALS DANN AN MANCHE SPIELER Auszeichnungen verliehen wurden, übersah man mich ganz. Doch kränkte ich mich nicht darüber. Ich wußte ja, daß es unmöglich ist, alle 250 Spieler auszuzeichnen, obwohl wir alle, mit oder ohne Auszeichnung, zum großen Erfolg unser Bestes beigetragen haben.

Ich wohne übrigens in einem für die Passionsspiele geschichtlich bedeutsamen Haus. Es steht in der Siegendorferstraße und hat die Nr. 9. Der Besitzer des Hauses und damit auch mein Hausherr und Brotbeziehungsweise Heuvater heißt Emmerich Unger, ein Name, der für die Passionsspiele von St. Margarethen zu einem Begriff geworden und mit diesen allzeit verbunden bleiben wird.

HIER, IN DIESEM HAUS, IN DEM ich unentgeltlich Kost und Quartier habe, wurde im Jahre 1926 das „Spiel vom Leiden und Sterben unseres Herrn“ zum erstenmal aufgeführt. Darum feiert St. Margarethen auch heuer das 40-Jahr-Jubiläum unserer Passionsspiele. Pfarrer Josef Kaindlbauer und sein tüchtiger Reichsbundobmann Emmerich Unger studierten mit den eifrigen ersten Passionsspielern das heilige Spiel ein. In der Scheune wurde die Bühne errichtet, die Zuschauer saßen im Hof auf Bänken. Die Christusrolle spielte damals Emmerich Unger. Heute hat sein Sohn Franz diese Rolle übernommen.

In den Jahren 1933, 1936, 1946 und 1956 wurde das Spiel im 1929 erbauten Festspielhaus in der Siegendorferstraße aufgeführt. Im Jahre 1933 legte die Gemeinde das Gelöbnis ab, jedes Jahrzehnt, gerechnet von der Erstaufführung, das Passionsspiel zu wiederholen, um sich dadurch die Gnade einer größeren Kirche zu erbitten. Am 31. Oktober vorigen Jahres konnte die erweiterte Pfarrkirche eingeweiht werden.

Am Nachmittag dieses großen Festtages wurden alle Passionsspieler von unserem hochwürdigsten Bischof angelobt. Prälat Kodatsch, der sein Textbuch „Passio Domini“ etwas überarbeitet hat, las an Stelle des erkrankten Spielleiters, Pfarrer Prizelitz, die Namen der einzelnen Spieler vor. Damit hat für uns das Passionsspieljahr begonnen: So werden wir heuer vom 22. Mai bis zum 18. September wieder das Passionsspiel aufführen. Ich darf dann wieder jeden Sonntag meinen lieben „Herrn“ tragen.

AUS EINEM BRIEF, AN STELLE eines Nachwortes: „Seit den ersten Aufführungen unserer Passionsspiele im Römersteinbruch war Ginafür unsere Passionsspielgemeinde ein Begriff. Alle hatten den grauen Vierbeiner gern, weil er brav seine Pflicht erfüllte. Besonders die Kinder hatten an ihm ihre große Freude, denn im Winter zog er ihnen den Schlitten und im Sommer konnten sie auf ihm reiten.

In den Häusern Unger und Händler wurde unser Esel fürsorglich betreut. Wegen zu guter Fütterung mußte er vor zwei Jahren im Tierspital in Wien eine Abmagerungskur machen. Unser Tierarzt Doktor Dobrovsky überwachte ständig seinen Gesundheitszustand. Anfangs Feber zeigt Gina Müdigkeitserscheinungen und Apetitlosigkeit. Doktor Dobrovsky bemühte sich, unsere ,treue' Gina durchzubringen. Alle Mühen und alle Injektionen waren vergeblich.

Am Sonntag, den 6. Februar, wurde der Tod des Esels gemeldet. Es tat allen St. Margarethnem leid um das treue Tier, besonders die Kinder betrauerten ihren fröhlichen .Spielkameraden1.

Das tote Tier wurde zur Feststellung der Todesursache in die Tierverwertungsanstalt nach Wien gebracht. .Chronische Nierenentzündung“ lautete die Diagnose. Gina, unser Passionspielesel ist tot; aber in den Photoalben und in unserer Erinnerung wird er weiterleben.

Nun müssen wir einen anderen Esel suchen. Wie der Esel aus dem Evangelium nicht wegzudenken ist als das Reittier für den „König von Israel“, so gehört er auch mit seiner .tragenden1 Rolle zu den Passionsspielen im Römersteinbruch.“

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