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Auf den Esel gekommen

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MIT LEEREN KISTEN AUF DEM PACKSATTEL trottete ein kleines Grautier im Troß des wilden Pe-trucchio über den Kiesweg vor dem Pavillon des Melker Stiftsparks. Regisseur Peter Weihs hatte den Esel für seine Sommerspielinszenierung der „Widerspenstigen“ von einem Eisenbahner geliehen. Jetzt steht der Langohrige, dessen Erscheinen auf der Spielfläche, wie zu erwarten war, beim Publikum lebhafte Sympathien erweckt hatte, wieder in einem Garten in Pottenbrunn, versucht mit bedächtig mahlenden Kiefern den blühenden Wildwuchs am Zaun und läßt sich die Sonne auf den bürdelosen Rücken brennen.

Aber er ist schon lange nicht mehr der einzige in unseren Breiten. Im Gegenteil: Es hat ganz den Anschein, als kämen wir in Österreich wahrhaftig allmählich „auf den Esel“, eine gewiß durchaus erfreuliche Entwicklung. Das Grautier erlebt nämlich gegenwärtig eine Renaissance an Popularität, die durch den Auslandstourismus unserer Tage noch ver-tärkt wird.

Viele Österreicher begegnen während ihrer Urlaubsfahrten auf heißen mediterranen Straßen den grauen, geduldigen Lastträgern, versuchen einen zünftigen landesüblichen Ritt mit herabhängenden Beinen und bringen die Erinnerung an ihre Eindrücke auf Kolorfilm im Reisegepäck mit, zusammen mit Chiantiflaschen, bunten griechischen Tragebeuteln oder spanischen Scbultertüchern.

Überdies hat sich rasch herumgesprochen, daß ein junger Wiener Geschäftsmann, ein Eselfreund von Kind auf, mehrmals im Jahr nach Dal-matien fährt, dort junge Esel einkauft, auf einem Gehöft in der Nähe von Alland im südlichen Wienerwald unterbringt und an Interessenten abgibt.

Wir sehen, unsere Einstellung zum Langohr wird nicht von rein praktischen, sondern von ausgesprochen gefühlsmäßigen Erwägungen bestimmt. Anderseits ist, nach Meinung des Schweizer Wissenschaftlers Professor H. Hediger, die bisherige Seltenheit des Esels in Mitteleuropa nicht zuletzt aus psychologischen Motiven erklärbar. Das billige Schimpfwort hat dieses Tier in argen Mißkredit gebracht, und das geläufige Vorurteil spricht von seinem störrischen Wesen. In jeder Schulklasse gibt es die „Eselsbank“, wo schon manch einer mit sprichwörtlicher Eselsgeduld die Bürde des vorgeschriebenen Pensums jahraus, jahrein zu tragen hatte und dann dennoch überraschend auf der Bahn des Lebens ein „bestes Pferd im Stall“ wurde.

„Wer wollte sich also in unseren Breiten mit dem Esel, diesem wegen seiner Dummheit verschrienen Geschöpf, beschäftigen?“ fragt der Asinophile aus dem westlichen Nachbarland. Es ist an der Zeit, für die Ehrenrettung des Esels einzutreten. Schluß mit den albernen, unrichtigen Vergleichen. Das sind doch glatte Eseleien I

SOGAR DIE UNO-STATISTIKER befaßten sich mit dem Esel und publizierten interessante Ergebnisse mit dem Kommentar, daß eine deutliche rückläufige Tendenz den Esel in die Kategorie der seltenen, ja sogar aussterbenden Tiergattungen einweist. Der Weltbestand an Eseln und Maultieren beträgt gegenwärtig etwa 38 Millionen Exemplare, allerdings ist die Zahl unvollständig, denn die Sowjetunion lieferte keine Angaben.

In zehn Jahren, so prophezeien die Ermittler von Tabellen und Kurven, wird es wahrscheinlich nur noch 14 Millionen von der Spezies „Asinus vulgaris“ geben.

Die zahlenmäßig stärksten Bestände hat die Chinesische Volksrepublik, dort werden mehr als elf Millionen Esel gehalten. An nächster Stelle steht Mexiko, gefolgt von Äthiopien, Brasilien, der Türkei, Spanien und den USA. Leistungsfähige Motorfahrzeuge verdrängen den Langohrigen auch aus bisher unwegsamen Gebirgsgegenden, wo man jahrhundertelang seine Qualitäten als Last- und Reittier schätzte. Die Endstation seines nunmehr nutzlosen Daseins ist in vielen Fällen der Schlachthof.

„UNSER VOLKSWAGEN“, sagen die Dalmatiner zum Esel, denn ohne ihn ist der Alltag in den jugoslawischen Küstengebieten auch heute noch undenkbar. In der sengenden Hitze geht er hochbepackt auf schmalen Steigen und über Geröll mit kopfgroßen Steinen auf seinen zierlichen, kleinen Hufen unbeirrbar und sicher seines Weges und begnügt sich mit dem dürftigen Graswuchs. Außerdem ist die Eselzucht auch unter dem kommunistischen Regime der privaten Hand überlassen, Vater Staat erstreckt seine umfassende Einflußnahme nicht bis auf die geduldigsten Lebewesen innerhalb seiner Grenzpfähle.

Mehr als 100 Kilogramm an Gewicht vermögen dalmatinische Esel zu tragen. Dabei gehören sie zu der kleineren Spielart der Gattung, ausgewachsene Tiere erreichen eine Schulterhöhe von etwa 1,20 Meter. Ihre Verwandten, die Reitesel, hingegen, wie sie besonders in Spanien und Südfrankreich vorkommen, haben nicht selten die Größe von Pferden.

Der junge Wiener „Eselhändler“ aber, Gustav HIadik, importiert die kleinen Dalmatiner, die großen Anklang finden. Der Bauernhof im stillen Waldtal zwischen Alland und Klau-sen-Leopoldsdorf ist zu einem neuen Anziehungspunkt für motorisierte Tierfreunde geworden. Die schönsten der zwei bis vier Monate alten Fohlen sind rasch verkauft und finden in Villengärten fern der steinigen Heimat guten und reichen Weidegrund.

Ein geradezu idealer Spielkamerad für Kinder ist ein junger Esel, dies bestätigen auch Zoologen und Verhaltensforscher. Willig läßt er sich stundenlang umherführen, auf den Rük-ken legen und wieder aufheben und nimmt nichts krumm, denn er ist ein recht heiterer, stillvergnügter Geselle von unveränderlich gleichmäßigem Temperament. Der ernste, fast traurige Ausdruck täuscht, Esel gleichen eben jenen Komikern, die auch in der turbulentesten Situation keine Miene verziehen. Und das sind nicht die schlechtesten Spaßmacher.

KAUFPREIS ETWA 2700 SCHILLING. Diese Summe errechnete HIadik aus den Spesen, die ihm durch Fahrt, Ankauf und Haltung erwachsen, denn in Österreich gibt es für Esel keinen Richtpreis wie für Pferde, Vieh oder Rassehunde. Es ist also ein Liebhaberpreis, der aber nicht zu hoch erscheint, denn, so argumentiert der Wiener Asinophile, puncto Futter bringt der Esel weder Probleme noch besondere Spesen, weil er praktisch alles frißt. In seinen Verbreitungsländern ist er darauf angewiesen sich seine Nahrung selbst zu suchen, kein Mensch denkt daran, ihm ein Bündel Heu vorzuwerfen.

Nicht nur mit Kindern, sondern auch mit Hunden schließen die Langohrigen sehr rasch Freundschaft und entfalten als stille Hausgenossen ihre natürliche Liebenswürdigkeit. Die vorgefaßte Meinung vom störrischen Esel weicht besserer Einsicht. Der lang und oft Verkannte verdient dies wohl. *

GRAU UND BRAUN IN ALLEN SCHATTIERUNGEN, so drängen sich die kleinen Vierbeiner im Pferch und lehnen über der Futterkrippe einträchtig die kindlich gerundeten Köpfe mit den sanft spielenden Ohren aneinander. Braun herrscht sogar vor, vom matten Kamelhaarton über ein schimmerndes, goldig überhauchte* Rotbraun bis zum tiefen Schwarzbraun. Der dicke, buschige Fohlenpelz samt der zottigen Stirnperücke, die so zum Kraulen und Streicheln einlädt, wird allmählich abgestoßen, und dann sieht das Haarkleid der kleinen Esel vorübergehend richtig „schäbig“ aus, ungleichmäßig gefleckt, fast wie bei Kamelen und exotischen Wildrindern, die man aus dem Tiergarten kennt. Bei ausgewachsenen Zwergeseln ist kohlschwarzes Fell keine Seltenheit. Die oft poetisch gewählte Bezeichnung Grautier hat also nicht immer ihre Richtigkeit.

'„ETWAS NUTZBARERES ALS DIESER ESEL ist kaum denkbar.“ So liest man im Brehm, der einen Autor, namens Bogumil Goltz zitiert, einen eingeschworenen Eselfreund. „Der größte Kerl wirft sich auf ein Tier, das oft nicht viel größer als ein Kalb von sechs Wochen ist, und setzt es in Galopp. Diese schwachgebauten Tiere gehen einen trefflichen Paß; wo sie aber die Kräfte hernehmen, stundenlang einen ausgewachsenen Menschen selbst bei großer Hitze im Trab und Galopp herumzuschleppen, das scheint mir fast über die Natur hinaus in die Eselsgeheimnisse zu gehen.“

Ein anderer Asinophile, der Schweizer Maler und Schriftsteller Ernst Morgenthaler, vertrauter Freund Hermann Hesses, schreibt in einem Essay über eine Reise durch Südfrankreich: „Gibt es etwas Märchenhafteres als die Realität in Form eines jungen, eben zur Welt gekommenen Esels? Wir haben ein solches Wunder angetroffen. Junge Tiere sind immer entzückend. Aber ein junger Esel mit seinem intelligenten, großen Kopf, dem weichen, molligen Fell, das Ganze auf hohe, ungelenke Beine gestellt, ist etwas vom Drolligsten, das die Natur hervorgebracht hat.“

Die schönsten und rührendsten Worte aber, die von der Liebe zu den geduldigen, langohrigen Freunden sprechen, stammen von dem französischen Dichter Francis Jammes. In einem seiner von franziskanischer Einfalt erfüllten, hier wiedergegebenen Gedicht bat Jammes den Schöpfer, ihn mit den Eseln ins Himmelreich eingehen zu lassen.

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