6669280-1960_52_33.jpg
Digital In Arbeit

Kategorien des Katholischen

Werbung
Werbung
Werbung

Es gehört zum eigentlich Katholischen (wie Troeltsch es zuerst sah), daß allen seinen Abspaltungen (zu einer Häresie hin) bestimmte Akzentuierungen im Innerkatholischen selbst entsprechen. Der Orthodoxen Kirche des Ostens entspricht eine Verabsolutierung eines Christentums der Vorwegnahme des „neuen Himmels und der neuen Erde“: in den Verklärungsikonen, die wie das achte Sakrament gelten oder besser als „Sakrament der Sakramente“. Der Reformation ist eine Verabsolutierung des Augustinischen zugeordnet: in der Betonung des „Gott und Seele“. Und die Geschichte des Christentums variiert überhaupt zwischen Vorbetonung der Gemeinschaft (im Urchristlichen und in der Gegenwart) und Vorbetonung des personal Individuellen (in der deutschen Mystik und nicht wenig im nach-tridentinischen Katholizismus). Das gehört wesentlich zur Spannweite zwischen den Urpolen eines „Haupt und Leib Ein Christus“ und des „Christus lebt in mir“ (wie ich in meinen Leipziger Vorlesungen „Gott“ dargelegt habe: München 1926). Das muß für die Gegenwart besonders betont werden: weil sie sich seit der Liturgischen Bewegung gewohnt hat, hier statt eines echt katholischen So-wohl-als-Auch einem gefährlichen Entweder-Oder zu huldigen: hin zur alleinseligmachenden „einen“ Richtung, in Verketzerung der entgegengesetzt „andern“. Die folgend-n drei Bücher beleuchten besonders diesen Tatbestand.

LITURGISCHES ERBE UND PASTORALE GEGENWART. Von J. A. Jungmann. Tyrolia-Verlag, Innsbruck 1960. 560 Seiten. Preis 25 DM.

Nachdem die Benediktiner Odo Casel und Ildefons Herwegen die deutsche Liturgische Bewegung initiiert hatten (in einer gewissen Partnerschaft mit Romano Guardini), übernahm der Innsbrucker Jesuit Jungmann sozusagen deren Patenschaft. Der Ertrag seiner Arbeit ist nun im vorliegenden Band gesammelt. Während Odo Casel und Ildefons Herwegen sich nicht wenig von Reitzensteins Theorien beeinflußt zeigten und Romano Guardini von der Rhythmusphilosophie Georg Simmeis, kommt Jungmann von einer nüchtern unvoreingenommenen Liturgiegeschichte her (wie die zwei Bände seiner „Missarum sollemnia“ bezeugen). Gewiß teilt er die Theorie der Maria-Laacher von einem germanischen Individualismus des Mittelalters, den es in eine liturgische Erneuerung zu überwinden gälte, im Zeichen der bestimmenden Gemeinschaft. Aber in all dem überwiegt doch der sachliche Liturgieforscher, der im Hauptteil der Sammlung Wichtiges zur Deutung des Stundengebets mitteilt. Restlos aber, wenngleich mit bedächtiger Vorsicht, bekennt er sich zur Verklä.ungstheorie der Maria-Laacher, wie der

Schlußaufsatz „Österliches Christentum“ ausdrücklich das formuliert, was den übrigen Arbeiten des Buches faktisch zugrunde liegt. Wenn Jungmann hier uneingeschränkt sagt „Der auferstandene, der österliche Christus wird immer die Mitte des christlichen Kosmos sein“ (S. 536), so ist das (wie in Dürr-wells grundsätzlichem Werk) gegen den fortlebend gekreuzigten Christus als „Mitte des christlichen Kosmos“ gerichtet. Hier wird eine Vorakzentuierung zu einer Alleinakzentuierung, deren Vorbild der Christus der östlich Orthodoxen Kirche ist (wie auch für die Maria-Laacher dieses Vorbild bestand). Das klar Katholische aber ist der „gekreuzigt Auferstandene“ und der „auferstanden Gekreuzigte“ (wie ich Ihn als die bestimmende paulinische Mitte einst nachwies: Dens Semper major III, S. 294 ff.).

DIE ZELLE IN KIRCHE UND WELT. Herausgegeben von Armin S p i t a 1 e r. Styria-Verlag, Graz 1960. 242 Seiten. Preis 127.50 S.

Steht im Hintergrund der Liturgischen Bewegung das östlich orthodoxe Christentum der eschatologisch antizipierten „Verklärung“, so orientiert sich dieses von Theologen und Seelsorgepraktikern verfaßte Sammelwerk an der sozialistisch-kommunistischen „Zelle“ einer „aktiven Elite“, von der aus langsam die „Masse“ umgeformt werden solle (weswegen Wetters Beitrag über „Idee und Funktionsweise der kommunistischen Parteizelle“ im Mittelpunkt steht und der Beitrag von Schiersee über „Zellen- und Gruppenbildung im Urchristentum“ ihm als Theologie der „christlichen Zelle“ korrespondiert). Es könnte den Anschein haben, als ob dieses Sammelwerk absichtliches Gegenstück zum Liturgismus der Gemeinschaft und der Verklärung sein sollte. Es melden sich in ihm darum wohl vor allem die nüchternen Seelsorgepraktiker, die nicht auf den „Berg Tabor“ schauen, sondern auf die Großstadtstraßen und die Elendsviertel. Aber auch Karl Rahner, der bohrende Theologe, entwirft hier eine eigene Theologie des personal Individuellen und betont damit den notwendigen Gegenpol eines reinen Christentums der Gemeinschaft: das Christentum des „Christus in mir“. Gewiß mag dieser neue „christliche Individualismus“ nicht mit der (noch andauernden) Schwungkraft von „Gemeinschaft“ und „Verklärung“ wetteifern (der sich inzwischen in den Stil der modernen Kirchen „monumentalisiert“ hat). Und gewiß mag die Theologie der „christlichen Person“, wie Karl Rahner sie zu entwerfen sucht, zu sehr Spuren Heideggers zeigen, als daß sie weithin wirksam werden könnte. Aber die Stimme der Praktiker des Sammelwerks ist realistisch und nüchtern genug, um nicht überhört werden zu können. Aus dem Sammelwerk wird klar, wie der Liturgismus von „Gemeinschaft“ und „Verklärung“ gewissen „Auslesekreisen“ entsprechen mag, wie aber der Realismus der heutigen Christenheit andere Wege fordert. Man braucht gewiß nicht, wie Schiersee es tut, den Begriff „Zelle“ aus dem kommunistischen Vokabular in ein „urchristliches“ zu übernehmen (was zu einem „christlichen Funktionärstum“ führen müßte). Aber es muß (wozu das Sammelwerk sicher beitragen kann) die Doppeltheit des heutigen Christen aufhören, darin er in Gemeinschafts- und Verklärungskirchen der Realität des Lebens zu entfliehen verführt wird, um nachher tiefer und hilfloser in diese Realität unterzusinken. Hier könnte und sollte ein neuer „christlicher Individualismus“ aktiven Einsatzes der individuellen Person den Traum einer ausschließlichen Gemeinschaft und Verklärung in die realistische Realität hinein „zur Ordnung rufen“.

KONVERTIT UND KIRCHE. Bekenntnis als Heilsweg im Wandel von fünf Jahrhunderten, Von Kurt Brem. Glock und Lutz, Nürnberg 1960. 375 Seiten. Preis 19.80 DM.

Die Spannung zwischen „kollektivem Christ“ und „personalem Christ“, wie sie in der Spannung zwischen liturgischer Gemeinschaft und persönlicher Frömmigkeit sich aussprach, ist aber selber durchschnitten durch die zwischen Erbchristen und Konvertiten. Kurt Brem macht den dankenswerten Versuch, einen religiösen Typus des Konvertiten zu zeichnen, in einem „konversionspsychologischen Aufriß“ (S. 39), der gewiß sehr viel Neues bringt, aber dem es doch nicht gelingt, das eigentlich Heilsökonomische des Konvertiten herauszustellen. Denn um dieses geht es. Gewiß binden sich in der objektiven Kirche Tradition und Fortschritt (wie gerade der Konvertit Newman es betont hat). Aber der Mehrheit der Erbchristen ist es seit Reformation und nachtridentinischem Katholizismus doch vorwiegend vorbehalten, jene Tradition zu pflegen, deren Existenz auch für die „getrennten Brüder“ eine ungewußte Notwendigkeit ist, von der sie unbewußt leben. Die „Konvertiten“ hingegen kommen aus einer Welt, die, gegenüber einer fast stillstehenden Welt der Tradition, frei und ungehindert „fortgeschritten“ ist, und sehen in der Tradition, die sie umfängt, nicht so sehr das traulich Alte als die neue Antwort auf ihre neuen Fragen. Gefahr des Erbchristen ist das Ghetto einer Weltlosigkeit. Gefahr des Konvertiten ist Ärgernis an dieser Weltlosigkeit und ungeduldiger Eifer, die Erbchristen aus ihrer „Muffigkeit“ zu befreien. Objektiv wird es darum dem Erbchristen anstehen, im Konvertiten den Vorfrühling einer werdenden „neuen christlichen Welt“ zu grüßen. Und objektiv wird es entsprechend dem Konvertiten heilsam sein (wie Newman einmal sagte), erst viele Jahre sich in die ihn umfangende Tradition einzuschweigen, ehe er das Reden beginnt. So hängt ohne Frage eine Zukunft der Kirche an den Konvertiten, aber diese Zukunft setzt die treu von den Erbchristen gehütete Tradition voraus. Erbchristen und Konvertiten werden darum einander nicht selten echtes „Kreuz“ sein: weil der Erbchrist von der Vergangenheit lebt, der Konvertit aber von der Zukunft. Aber eben so treffen sie sich in dem objektiven „Dienst“, den gemäß den Paulinen die „verschiedenartigen Glieder“ ausüben. Das „Ohr“ des (traditionell hörend-gehorchenden) Erbchristen kann nur sehen im „Auge“ des (vorwärtsblickenden) Konvertiten, und das „Auge“ des Konvertiten hat zu hören und zu gehorchen im „Ohr“ des Erbchristen. Erbchrist und Konvertit haben keine unterscheidende „religiöse Psychologie“ (denn das Moment eines „Umbruchs“ kennt auch der Erbchrist). Aber sie haben einen je verschiedenen „Dienst“, so verschieden, daß sie praktisch kaum einander verstehen (wie die Altapostel und Paulus, der Neu-apostel, sich nicht verstanden).

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung