
Kirche – trotz des Untergangs
„Notre-Dame brennt, und das Christentum erlischt“: Andrea Riccardi, Historiker und Mitgründer der Gemeinschaft Sant‘Egidio, die auch als Friedensvermittler Großes leistete, äußert sich zur Krise seiner Kirche. Eine prophetische Rede.
„Notre-Dame brennt, und das Christentum erlischt“: Andrea Riccardi, Historiker und Mitgründer der Gemeinschaft Sant‘Egidio, die auch als Friedensvermittler Großes leistete, äußert sich zur Krise seiner Kirche. Eine prophetische Rede.
Andrea Riccardi lese ich immer mit Gewinn. Die Lektüre beflügelt, inspiriert, stimmt hoffnungsfroh – gegen alle schleichende „Insolvenzrhetorik“ (© Annette Schavan), die sich breitmacht. Aber wirken sich weise Stimmen auf das realpolitische Agieren der Kirche aus?
„Die große Gefahr einer Krise besteht darin, dass man sich mit dem nackten Überleben begnügt, sich an das Heute klammert und dieses nur an einem Früher misst, als ,alles besser‘ war“: Vor solcher Untergangsstimmung warnt jetzt Andrea Riccardi. 1968 war er
Mitbegründer der Gemeinschaft Sant’Egidio, die weltweit in fast 100 Staaten vertreten ist, hierzulande in Wien und Innsbruck. Mit Kurienerzbischof Vincenzo Paglia und dem Erzbischof von Bologna, Kardinal Matteo Zuppi, hat sie starke Vertreter im Vatikan. Johannes Paul II. setzte auf sie, Franziskus ebenso: Denn „die von Sant’Egidio“ bringen Dinge zustande, wo andere gegen Mauern laufen, auch erfahrene Diplomaten.
Im Juni begann Zuppi, der auch Vorsitzender der Italienischen Bischofskonferenz ist, im Auftrag von Papst Franziskus eine Friedensmission zum Ukrainekrieg, die ihn bislang nach Kiew, Moskau und Washington führte. 1955 geboren, seit 1990 „Kaplan“ von Sant’Egidio und als solcher Vermittler bei den Verhandlungen der Konfliktparteien im Bürgerkrieg in Mosambik, der im Oktober 1992 zum Abschluss eines Friedensvertrages führte, war er von 2012 bis 2015 Weihbischof in Rom. Seitdem Zuppi 2019 Kardinal wurde,
wird er oft als „papabile“ genannt.
Ein Glaubensoptimist
Schon im Buch „Alles kann sich ändern“ betonte der Glaubensoptimist Riccardi im Gespräch mit Massimo Naro: „Gerade darin besteht das Christentum: eine Perspektive, keine Retrospektive.“ Jetzt fragt er, was der Brand von Notre-Dame (April 2019) zu tun haben könnte mit dem Gefühl von damals, „das Ende des Christentums sei gekommen“. Der Jahrhundertbrand ist aber nur Aufhänger für Riccardis Analyse: „Das ist das Bild für das Schwinden des Mutterbodens – der Mutter Kirche –, auf dem so vieles in der europäischen Geschichte und Kultur gewachsen ist. Das Schicksal von Notre-Dame ist wie eine plötzliche Visualisierung dessen, was dem Katholizismus in Frankreich, in verschiedenen Teilen Europas und auf der ganzen Welt widerfährt.“
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