immaculate conception el greco - © IMAGO / Album  Ausschnitt aus: El Greco,  Inmaculada Concepcion, 1613

"Mariä Erwählung" statt "Mariä Empfängnis": Heile Anfänge

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Das katholische Marienfest am 8. Dezember transportiert eine Reihe theologischer Hypotheken – etwa jene der „Erbsünde“. Warum man es besser umbenennen sollte.

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Das katholische Marienfest am 8. Dezember transportiert eine Reihe theologischer Hypotheken – etwa jene der „Erbsünde“. Warum man es besser umbenennen sollte.

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Um den religiösen Inhalt geht es vielerorts schon lange nicht mehr. Allenfalls um die Frage: Aufsperren oder nicht? Wo der 8. Dezember (noch) gesetzlicher Feiertag und somit arbeitsfrei ist wie in Österreich, gibt es gelegentlich noch (längst nicht mehr so hitzige) Debatten um Ladenöffnungszeiten. Mit Sonderregelungen wird der Feiertag ausgehöhlt – aus „Sorge“ um die Abwanderung vorweihnachtlicher Kaufkraft in Nachbarländer, in denen „Mariä Empfängnis“ normaler Arbeitstag ist.

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Der vollständige Titel für das Marienfest am Beginn des Advents wirkt wie aus der Zeit gefallen: „Hochfest der ohne Erbsünde empfangenen Jungfrau und Gottesmutter Maria“. Ob nun von „Erbsünde“ oder „Ursünde“ die Rede ist, ob das Wort „Urschuld“ fällt oder „Sündenmakel“: Alle diese Begriffe sind Fremdwörter geworden.

Nicht zuletzt transportieren sie auch theologische Hypotheken. Der Ausdruck „unbefleckt“ in Zusammenhang mit „Empfängnis“ (immaculata conceptio) legt nahe – ungewollt übrigens –, dass der menschliche Zeugungsakt etwas Schmutziges ist: „Empfängnis“, die unrein macht, eben „befleckt“. Dahinter stecken nicht nur, aber auch jahrhundertealte leib- und frauenfeindliche Haltungen. Sie führten zur Dämonisierung von Sexualität. Und produzierten Einstellungen, die in kirchliche Positionen eingingen. Mit Sex hat dieser Feiertag aber nichts zu tun.

„Urschuld“, „Sündenmakel“ ...

Die Erbsündenlehre von Augustinus ist eine solche Mitgift. Wie lässt sich heute in wenigen Worten und noch dazu plausibel erklären, „die Sünde Adams“ werde von Generation zu Generation weitergegeben? Was damit an Mentalitäten geschaffen wurde, lässt sich nicht von heute auf morgen beseitigen.

Dass Maria vom ersten Augenblick ihrer Existenz, also von ihrer Zeugung an, frei ist von einem „Schatten“, den Belastungen, die mit „Erbsünde“ umschrieben werden, ist nicht so leicht zu (er)klären. Heute fragen (auch gläubige) Menschen ganz ungeniert: Was habe ich mit Adam und Eva zu tun? Maria „erbt“ die Folgen der Vertreibung der ersten Menschen aus dem Paradies nicht – das ist kirchliche, von Papst Pius IX. mit dem Dogma 1854 bestätigte Überzeugung. Eine Überzeugung, die seit dem Mittelalter vorhanden war und seit 1708 für die gesamte Kirche als Fest von Papst Clemens XI. vorgeschrieben wurde.

Den Vogel abgeschossen hat einmal ein Tiroler Pfarrer. Er predigte, das erste Wunder im Leben Jesu habe es bereits drei Wochen nach seiner Empfängnis gegeben: als er geboren wurde. Dieser Pfarrer war sicher nicht der hellste im Klerus. Bischof Reinhold Stecher meinte ironisch, als Student habe dieser Pfarrer wohl nicht richtig aufgepasst …

Maria ist von Anfang an ein erlöster Mensch, frei von allem, was belastet – wie immer man ‚Erbschuld‘ nun definiert.

Da bei den meisten Marienfesten das Evangelium von der Verkündigung der Geburt Jesu durch den Engel Gabriel in Nazaret zur Verlesung kommt (Lk 1, 26–38) – das Fest „Verkündigung des Herrn“ wird bekanntlich neun Monate vor Weihnachten, am 25. März, gefeiert –, darf man sich über entsprechende pastorale Fehlleistungen nicht wundern. Das Evangelium führt auf eine falsche Fährte. Weil es von der Empfängnis Jesu und nicht von der Empfängnis Marias durch ihre Eltern Anna und Joachim berichtet. „Eigentlich“ ist alles ganz einfach: wenn man zum 8. Dezember neun Monate dazugibt und so aufs Fest „Mariä Geburt“ am 8. September kommt.

Maria als „zweite Eva“

Das Zweite Vatikanische Konzil hat Maria in der Kirchenkon­stitution Lumen gentium das achte Kapitel (LG 52–69) gewidmet. Darin wird Bezug genommen auf die Dogmatisierung, durch welche „die Gottesmutter ganz heilig und von jeder Sündenmakel frei zu nennen“ sei, „gewissermaßen vom Heiligen Geist gebildet und zu einer neuen Kreatur gemacht“.
Im Hintergrund steht die bei den Kirchenvätern (z. B. Hieronymus) stark vorhandene Vorstellung von Maria als „zweiter Eva“: „Der Knoten des Ungehorsams der Eva“ ist gelöst worden „durch den Gehorsam Marias“, wobei das auch betont, „dass Maria nicht bloß passiv von Gott benutzt wurde, sondern in freiem Glauben und Gehorsam zum Heil der Menschen mitgewirkt hat“. Dass sie „vom ersten Augenblick ihrer Empfängnis an im Glanz einer einzigartigen Heiligkeit“ (LG 56) gestanden hat, ermöglicht eine (neue) Sichtweise: Es geht um eine ursprüngliche Intaktheit, die durch den „Sündenfall“ verlorengegangen ist.

Auf der Suche nach einer neuen Sprache stößt man auf Ersatzbegriffe: „Erbverwundung“, „Erbunheil“, „Erbschwäche“, „universale Sündenverfallenheit“. Der Schlüssel zum Verständnis liegt in der Lesung des Festes: in der Erzählung vom heilen Anfang (Gen 3). Wunschlos glücklich waren die ersten Menschen. Bis die Einflüsterungen kamen: Es könne doch alles viel besser sein! Die Verbote Gottes seien Unterdrückung! Und Adam bricht das Tabu – dabei gehen ihm die Augen auf. Aber seine Erkenntnis ist so positiv nicht: Folge des Tabubruchs war die Vertreibung aus dem Paradies.

Um diese verlorene Ganzheit geht es, wenn Maria in den Mittelpunkt gestellt wird, die vom Anfang ihres Lebens an, eben von ihrer Empfängnis an, ausgenommen war von jener Schuldverstricktheit, in der wir Menschen uns vorfinden – und dieses einzigartige Privileg war ihr gewährt im Hinblick auf die Geburt ihres Sohnes Jesus, der einen total neuen Anfang in der Menschheitsgeschichte setzen sollte.

Gott ist der Anfang

Immer wieder hat Gott mit Menschen neue Anfänge gesetzt. Als er die Welt erschuf. Gott ist der Anfang: Das ist die Botschaft der Genesis. Selbst in Situationen des Scheiterns setzt er neue Anfänge: Mit Noach, als er ihn nicht absaufen lässt. Mit Israel in einer Situation der Verlorenheit, weil Gott es durch die Wüste in ein fruchtbares Land führt. In Situationen der Unfruchtbarkeit: Denken wir an Sara, die Frau Abrahams, oder an Hanna, die in hohem Alter Samuel gebären soll. Erinnern wir uns an Elisabeth und Zacharias. Gott handelt immer wieder wunderbar und setzt neue, überraschende Anfänge. „Vernünftige“ Erklärungen dafür gibt es oft nicht.

Im Blick auf Jesus, der einen neuen Anfang in der Weltgeschichte gesetzt hat, ist der Anfang Marias wunderbar. Gott wählt sie aus: damit sie den Erlöser zur Welt bringt. Deswegen ist sie von Anfang an ein erlöster Mensch, frei von allem, was belastet – wie immer man „Erbschuld“ nun definiert. Am Mädchen aus Nazaret ist für uns geschichtlich greifbar geworden, was Gott für alle von Anfang an wollte: ganz in der Gnade zu stehen, die Heil bedeutet. Maria zeigt, was sonst durch das Unheil in der Welt verstellt ist: das radikale Angewiesensein des Menschen auf Gott. So kann sie „Schwester im Glauben“ sein, so wird sie, was theologische Texte von ihr sagen: die zweite Eva („Der Tod kam durch Eva, das Leben durch Maria“).

Je mehr die Mutter Jesu als die „gehorsame Magd“, als „demütige, makellose Jungfrau“ vor ­Augen gestellt wurde, umso mehr ist Maria dem konkreten Glaubensgefühl vieler entschwunden. Unbehagen, Unverständnis oder Ablehnung sind die Folge. Am 8. Dezember feiern wir, dass Gott in Maria einen wunderbaren Anfang gesetzt hat.

Im „Pastoralliturgischen Handlexikon“ von Rupert Berger (Neuausgabe 2013) findet sich im Artikel „Marienfeste“ als erstes das „Hochfest Mariä Erwählung (8. 12.)“. Offenbar ist dieser Ausdruck auch in ersten Arbeitsübersetzungen nach dem Konzil gewählt worden, dann aber wieder verschwunden.

„Mariä Erwählung“ drückt treffender aus, worum es geht: um Erwählung. Im Blick auf ihre einzigartige „Funktion“ bleibt Maria erspart, was allen anderen Menschen nicht erspart bleibt. Dass Gott handelt, wunderbar, immer wieder, dass er dabei nicht überfällt oder zwingt, sondern um Zustimmung wirbt – das feiern wir. Maria hat sich darauf eingelassen. Rechnen wir (noch) damit, dass es auch unsere, meine Erwählung gibt: einen „gottgefälligen“ Dienst, den nur ich leisten kann? Obwohl wir hineingeboren werden in Schuldzusammenhänge, für die wir persönlich nichts können: Mariä Erwählung erinnert daran, dass es immer wieder einen heilen Anfang gab. Dass Heil gelingt, weil Menschen an sich handeln lassen.

Der Autor ist Theologe, Publizist und Seelsorger in München.

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