Nur Schweigen der Hirten

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John T. Pawlikowski, Professor für katholisch-jüdische Studien an der Katholisch-Theologischen Universität CTU in Chicago und Präsident des Internationalen Rates der Christen und Juden, über den derzeitigen Passions-Blockbuster.

Die Furche: Vatikansprecher Navarro-Valls hat den Gibson-Film als "nicht antisemitisch" qualifiziert, denn wäre der Film antisemitisch, dann würden es auch die Evangelien sein...

John T. Pawlikowski: Der Film ist nicht in dem Sinn antisemitisch, dass er Menschen dazu bringt, jüdisches Eigentum zu zerstören oder Juden zu attackieren. Aber er ordnet die Verantwortung für den Tod Jesu nicht nur der jüdischen Führung, sondern einer größeren Gruppe Hunderter Juden zu, und er zeigt Pilatus als einen von den Juden erpressten Schwächling. Das ist das grundsätzliche Problem des Films. Außerdem ist die völlige Zerstörung des Tempels am Filmende weder historisch noch biblisch, die Bibel spricht nur vom Vorhang im Tempel, der nach dem Tod Jesu zerrissen wird: Die theologische Botschaft des Films ist das Jahrhunderte alte Stereotyp christlicher Theologie, nach dem das nachbiblische Judentum eine unauthentische Religion ist. Es gibt keine ausreichenden Argumente derer, die behaupten, der Film sei nicht antisemitisch oder antijüdisch. Die Bilder des Films liefern die klare Botschaft: es waren die jüdische Gemeinschaft und der jüdische Mob - und nicht nur ein, zwei Hohe Priester.

Die Furche: Die Physiognomie der Hohen Priester im Film ...

Pawlikowski: ... das ist furchtbar! Klassische Bilder, wie die Juden in der christlichen Geschichte Jahrhunderte lang porträtiert wurden, in der Kunst, in Passionsspielen usw. - dieser finstere, satanische Blick! Viele Juden, die den Film gesehen haben, fühlen sich durch diese Darstellungen sehr verletzt.

Die Furche: Ist der Film ein Rückschlag fürs christlich-jüdische Gespräch?

Pawlikowski: Er hat das Potenzial dazu, dieses zu unterminieren - und zwar nicht so sehr der Film selbst: Viele jüdische Führungspersönlichkeiten sagen, Gibson ist ein am Rand stehender Katholik, er legt seine vorkonziliare Sicht dar - nicht nur des Judentums, sondern auch der Eucharistie und anderer Dinge. Was diese Leute viel mehr enttäuscht hat, war das beinah weltweite Schweigen der Kirchenleitung dazu: Nur sehr wenige Kirchenführer haben klar und entschieden zu den Problemen des Films Stellung genommen.

Die Furche: Ist es für jemanden wie Sie nicht ebenfalls verletzend, wenn klare kirchliche Aussagen gegen antijüdische Stereotype - vom Konzilsdokument "Nostra Aetate" angefangen - nicht einmal die Ebene der Hierarchie erreicht haben, geschweige denn die Basis?

Pawlikowski: Das ist sehr enttäuschend. Wir müssen feststellen, wie wenig die Dokumente des Konzils und die späteren Aussagen über die christlich-jüdischen Beziehungen - sowohl auf katholischer als auch auf protestantischer Seite - wirklichen Einfluss auf die Gläubigen haben. Ich bin enttäuscht, wie viele Geistliche, die mit ihren Gemeinden in den Film gehen, weder ein elementares Verständnis dessen, was die Kirche heute lehrt, noch ein historisches Wissen über christlichen Antisemitismus haben. Außerdem wird die moderne Bibelwissenschaft von Gibson vollkommen desavouiert - auch dazu sagt niemand etwas, obwohl die katholische Kirche die moderne Bibelwissenschaft unterstützt.

Die Furche: Warum ist der Film in den USA so populär?

Pawlikowski: Es gibt mehrere Gründe: Erstens wollen viele die Geschichte des Antisemitismus einfach nicht sehen. Hier handelt es sich um das pastorale Versagen der Kirchen, die diese Geschichte nicht bewusst machen. Zweitens wird dieser Film von vielen als Teil eines Kulturkampfes gesehen: Da macht ein Star aus Hollywood, das von vielen als die Quelle der Auflösung traditioneller Werte angesehen wird, ganz gegen den Strich einen Film über Jesus... Drittens ist das Ganze aber auch Teil der innerkatholischen Auseinandersetzung über das II. Vatikanum und die Richtung des nächsten Pontifikats. Die Katholiken, die Gibson von Anfang an unterstützt haben, sind Kritiker des Konzils. Gibson selbst redet über den destruktiven Einfluss des Konzils auf die Kirche, etwa, dass es die Pädophilie verursacht habe und all die anderen Probleme. Daher ist dieser Film auch eine Darlegung seiner Theologie - dass Latein wieder Messsprache sein sollte, die Eucharistie vor allem ein Opfer ist und nicht ein Mahl usw.

Die Furche: Aber beginnen solche Positionen nicht, katholischer Mainstream zu werden? Im "Catholic Herald" etwa, der Kirchenzeitung von England und Wales, konnte man die Schlagzeile lesen: "Christen begrüßen den Film als die beste Gelegenheit zur Evangelisierung seit 2.000 Jahren."

Pawlikowski: Ich fürchte, Sie haben Recht. Das ist sehr traurig und entmutigend. Jeder Bibelwissenschafter, den ich kenne, lehnt die Darstellung dieses Films ab. Ich weiß nicht, ob die katholische Kirchenleitung bereit ist, die bibelwissenschaftlichen Überlegungen über Bord zu werfen. Aber genau das scheint zu geschehen. Ich glaube nicht, dass man wirklich Evangelisierung betreiben kann, wenn diese auf der falschen Verantwortungszuweisung für den Tod Jesu beruht, und ich frage auch: Soll die Botschaft Jesu wirklich auf eine - wie viele Kommentatoren meinen - sadomasochistische Weise verkündet werden? 45 Minuten pure Gewalt! So hat das klassische Christentum das Bild Jesu bei der Kreuzigung nicht gezeichnet! Ja, er hat gelitten. Aber es gab wenig Augenmerk auf dieses blutige Zeug, das Gibson zeigt. Viele katholische Laien waren bei uns gegenüber dem Film weitaus kritischer und besser in der Analyse als die offizielle Kirche!

Das Gespräch führte Otto Friedrich.

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