ROMANE ERKUNDEN DAS SOZIOTOP KLEINSTADT

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NICHT NUR IN METROPOLEN WERDEN ÖSTERREICHISCHE AUTORINNEN NEUERDINGS LITERARISCH FÜNDIG.

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NICHT NUR IN METROPOLEN WERDEN ÖSTERREICHISCHE AUTORINNEN NEUERDINGS LITERARISCH FÜNDIG.

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Laut Webseite des Gemeindebunds gibt es in Österreich, abgesehen von Wien, 197 Städte, in denen doch ein großer Teil der heimischen Bevölkerung zu wohnen scheint. Es mögen nicht alles Weltstädte sein, aber sind sie alle Provinz? Gilt für sie das Diktum St. Pölten ist gleich "Sankt Blöden", wie die Richtung Wien aufbrechende Biggy in Richard Schuberths "Chronik einer fröhlichen Verschwörung" hartnäckig kalauert? Die Provinz hat es nicht leicht in der österreichischen Gegenwartsliteratur. In den 1970er-Jahre wurde sie mit dem kritischen Impetus des "Antiheimatromans" zerpflügt. Dabei ging es vor allem um jene ruralen Enklaven, in denen sich vorindustrielle Archaik und schwarze Pädagogik in unheilvoller Verquickung mit Relikten faschistoider Ideologien besonders lange hielten. Das Dorf-Revival, das mit dem neuen Jahrtausend einsetzte, hat hingegen etwas eigenwillig Exterritoriales. Denn in der Realität ist "das Land" längst überwuchert von Eigenheimwüsteneien, Gewerbeparks und Einkaufszentren. Die wiederum massieren sich verhängnisvoll vor den Toren der Kleinstädte. Selbstverständlich kennt auch die große Großstadt Kauf-Tempel in Randlage, aber bei der kleineren ist dann im sogenannten Stadtkern gleich gar nichts mehr da, auch kein Bioladen, keine Bäckerei und kein Eissalon. Gähnende Leere im topografischen Zentrum treibt als Stein gewordenes Bild öder Langeweile die Abwanderung gerade junger Menschen weiter voran.

Prinzipiellere Problemlagen

In Birgit Birnbachers Roman "Wir ohne Wal" klagen sie alle über die Enge der Kleinstadt, die viele Richtung Wien verlassen, was die Zurückbleibenden glauben macht, dort wäre alles besser und die "Provinz" sei die Wurzel ihres Lebensunglücks. Doch Birnbachers Blick bleibt auf die Kleinstadt gerichtet und macht prinzipiellere Problemlagen unserer Gesellschaft sichtbar, die es Heranwachsenden nicht leicht machen, sich zu orientieren und zu verorten. Das lässt aufhorchen, denn in Debütromanen ging es jahrelang vor allem um die Stadtstreunereien der Abgewanderten. Autorinnen und Autoren vollzogen erzählend ihren eigenen Weg in die Großstadt nach und erforschten die ungewohnte Urbanität - in Wien, seit der Jahrtausendwende mit Vorliebe in Berlin -, wie jüngst noch Friederike Gösweiner in ihrem Roman "Traurige Freiheit". Ein latentes Problem dabei ist die Ähnlichkeit der Perspektiven und der Locations: Auch wenn die Figuren finanziell am unteren Ende von Boboville herumtaumeln, sind alle irgendwie trendig, also so austauschbar, wie es die immer rascher wechselnden Trends nun einmal sind.

Doch daneben beginnt sich eine andere Tendenz abzuzeichnen. Vielleicht kommt sie gar über den Umweg der Krimi-Manie in die Romane zurück. Schließlich gibt es schon in jeder besseren (Klein)Stadt einen Serienermittler, ob in Aussee, Bad Gastein oder St. Pölten. Zumindest für die Romanliteratur erweist es sich jedenfalls als überaus produktiv, einmal nicht in den Metropolen nach den zeittypischen Verwerfungen zu suchen, sondern dort, wo die Orte sterben, selbst wenn der Zuzug steigt. Hier prallen die Folgeschäden des radikalen Umbaus unserer Gesellschaft, für den der Begriff "Globalisierung" als Deckmantel herhalten muss, um einiges ungebremster auf. Wird der eine oder andere Entwicklungsschritt übersprungen, erleben Menschen Veränderungen von Sozialstrukturen und Lebensmodellen besonders radikal. Nicht umsonst ist das Eigenheim in bescheidener Grünlage in punkto Lebensgefahr für Frauen und Kinder zu einem Hotspot geworden. Die Chronikseiten berichten regelmäßig von Vätern, die dem drohenden gesellschaftlichen Abstieg mit dem Hinmetzeln ihrer Kleinfamilien zuvorkommen.

Schon lange eingebüßt haben die Kleinstädte ihre homogene Struktur, die zugleich bedrückend wie behütend wirken kann. In Isabella Straubs Roman "Das Fest des Windrads" strandet die Karrierefrau Greta im kleinen Städtchen Oed und erwartet, hier auf völlig andere Lebensformen zu treffen. Doch viele der Anwohner sind selbst großstädtisch geprägt. Jurek ist nach seinem Studium in das Elternhaus zurückgekehrt, Hannelore entfloh der Großstadt-Anonymität und hat zu spät bemerkt, dass die Dinge hier nicht viel anders liegen, und der lokale "Unternehmer des Jahres", der gerade in Konkurs geht, und Joe, dem seine Ehefrau aus dem Fernostversandkatalog abhanden gekommen ist, könnten ebenso gut in Wien-Leopoldstadt wohnen. Der virtuelle Raum ist schließlich überall derselbe und die gesellschaftliche Verfasstheit zwingt den Individuen mittlerweile in der Metropole wie in der Provinz recht vergleichbare Verbiegungen und Ängste auf. Das macht Oeds Bewohner so empfänglich für die Geschäftsidee einer Versicherung gegen Schicksalsschläge und Lebensunglück aller Art.

Leben jenseits des Urbanen

Anna Weidenholzer hat sich von Anfang an für das Leben jenseits des Urbanen interessiert. In ihrem Roman "Weshalb die Herren Seesterne tragen" will Pensionist Karl erkunden, woraus sich das herrschende Krisengefühl eigentlich speist. Er startet seine Recherche in einem etwas heruntergekommenen Touristenstädtchen mit überalterter Einwohnerstruktur. Die verschlungenen Schicksale, die sich in kleinen Gemeinwesen vielfach kreuzen und nie geheim bleiben, entschlüsseln sich ihm kaum, vom Lebensgefühl aber bekommt er einen Eindruck. Es sind Orte wie dieser, in denen mit Amokläufen zu rechnen ist, und, so deutet eine der Befragten an, hier gäbe es einige, "von denen man das vermuten mag". Das ist die Kehrseite. Trotz wachsender Isolation überdauern Reste tradierter Mechanismen wie aktive Sozialkontrolle, böse Gerüchte, üble Nachrede und aufopfernd gepflegte Feindschaften. Während die positive Seite der sozialen Geborgenheit und Sicherheit wegbricht, bleiben die dunklen Begleiterscheinungen bestehen und färben sich noch dunkler.

Das zeigt auch Karin Peschka in ihrem Roman "FanniPold". Schauplatz ist das fiktive Laurinz nahe Ried im Innkreis, wo die Einkaufscity gerade erst gebaut wird. Die vier Freundinnen, die hier wöchentlich einen "Weiberstammtisch" in der Pizzeria abhalten, sind einander in herzlicher Häme verbunden. Die Strategien, mit denen sie vor einander groß tun und sich ihre Leben zurecht lügen, sind so verschieden wie die Erfolge bei den alljährlichen Abmagerungskuren. Es ist das Setting der "Vorstadtweiber", das im sterbenden Biotop Kleinstadt eine eigentümlich traurige Note erhält.

Wo aber die Dinge besonders unrund laufen, finden literarische Erkundungen reichlich Stoff. Deshalb scheinen vor allem junge Autorinnen dieses spezielle Soziotop zu entdecken, wie auch die Debütromane "Über allem war Licht" von Magda Woitzuck und "Astronauten" von Sandra Gugic gezeigt haben. Es kann noch spannend werden, wenn die Literatur diese Entwicklungen weiterhin im Auge behält.

Das Fest des Windrads

Roman von Isabella Straub

Blumenbar 2015

352 S., geb., € 19,60

Weshalb die Herren Seesterne tragen

Roman von Anna Weidenholzer

Matthes & Seitz 2016

190 S., geb., € 20,60

FanniPold

Roman von Karin Peschka

Otto Müller 2016

250 S., geb., € 21,-

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