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Uber abgesteckte Grenzen gehen

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Wo immer er früher tätig war, verband er Publikumserfolg mit künstlerischem Anspruch und Verständlichkeit: sei es als Dramaturg der Frankfurt Feste, bei denen er Musik unserer Zeit zur Eröffnung ansetzte, als Projektgestalter einer populären musikwissenschaftlichen Ruchreihe, als Gestalter von Rundfunksendungen.

Niederösterreich hat den Musikwissenschaftler Dieter Rexroth nun zum Aufbau seiner Kulturszene gewonnen. „Ich versuche”, sagt Rexroth, „den Politikern einzuhämmern, daß das, was wir hier machen wollen, eine unabdingbare Notwendigkeit des menschlichen Seins darstellt. Politisch gesehen: die Landeshauptstadt wird nur über die Kultur, niemals über politische Machtinstallati ön funktionieren.”

Wer bei ihm mitarbeitet, schwärmt: er höre jedem zu, sei für alle Vorschläge offen und werde mit zunehmender Hektik immer ruhiger. Er ist Dresdner des Jahrganges 1941, zeigt noch immer nicht die Verbitterung der Kulturverwalter-Kollegen, hat für seine Visionen des öffentlich-kulturellen Lebens Modelle entwickelt:

„Ich möchte eine Öffentlichkeit, die bewußtseinsmäßig anders an künstlerisch-kreativen Auseinandersetzungen Anteil nimmt als bislang, eine Öffentlichkeit von unten. Ich will etwas aufbauen, was eine neue

Tradition hervorbringen soll, ein Bewußtsein dafür, was eigentlich Kultur, was künstlerisches Schaffen ist. Ein Kunstwerk kann den einzelnen auf ein existentielles Problem zurückführen. Ich glaube, daß es außer der Kunst kein Angebot gibt, das den Menschen hilft, mit sich selbst und den Problemen der Zeit, mit den Schwierigkeiten, die die moderne Lebensführung mit sich bringt, ins reine zu kommen.”

Noch ist sein Haus - ein Theater-und Kulturhaus „für alle, aber keinesfalls für alles” - nicht eröffnet. Das erste Projekt aber, musikalische Veranstaltungen zum Thema„Vom Grunde des Leidens”, beginnt am 31. März und bietet bis 14. April geistliche Konzerte von niederösterreichischen und Wiener Ensembles, dazu - hierzulande unbekannte russische Komponisten.

Den Dialog zwischen Niederösterreich und der Welt möchte er fortsetzen: in Arbeitsgemeinschaften von Komponisten, in einem Orgel-fest, wo jede Orgel in Niederösterreich mit einem Kompositionsauftrag neu erklingen soll. „Der Mensch steht in einer Spannung: einerseits ständiges Vorausgehen - andererseits das Verhaftetsein im Vertrauten Sein erstes großes Fest 1997 wird sich deshalb auf das Schubert-Gedenkjahr beziehen, und zwar auf das Thema „Fremde und Heimatlosigkeit”. Den einzigen Weg in einem sich wandelnden gesellschaftlichen und kulturellen Leben sieht Rexroth in der Kreation einer neuen Kommunikation: „Mozart wußte, für welches Publikum er schrieb. Selbst Reethoven, der die Kunst autonom gemacht hat, hat seine Werke immer auf die Menschen bezogen. Seine Streichquartette sind komplexer komponiert als etwa die Symphonien. Der Künstler merkt im 19. Jahrhundert plötzlich: er deckt sich gar nicht mehr mit dem Kollektiv, er ist total vereinsamt. Die Isolation wird sublimieVt in einem Herrschaftsanspruch. Ich sehe für die Zukunft keinen anderen Weg als sich einander von beiden Seiten anzunähern: einerseits von oder auch zwischen den Künstlern, andererseits von der Öffentlichkeit.”

Rexroth hat klare Vorstellungen für die Künstler: „Ich möchte sie mit Ansprüchen konfrontieren, sie in ihrer Phantasie unterstützen, damit sie über ihre abgesteckten Grenzen hinausgehen.” Radikaler Wunsch, um Politiker und Öffentlichkeit von der Wichtigkeit seiner Arbeit zu überzeugen: „Ich würde die Kultur gern einmal unterbinden.”

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