WYD-2008 - © Wikimedia

Weltjugendtag in Sydney: Katholizismus spektakulär

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Hunderttausende bevölkerten vom 15. bis 20. Juli die australische Metropole Sydney: Weltjugendtag. Gebet schafft Gemeinschaft – eine fromme Stärkung katholischer Identität.

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Hunderttausende bevölkerten vom 15. bis 20. Juli die australische Metropole Sydney: Weltjugendtag. Gebet schafft Gemeinschaft – eine fromme Stärkung katholischer Identität.

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Unter vielen glücklichen Menschen ist Alfio Lutio dieser Tage einer der glücklichsten. Der junge Mann stellt beim großen Kreuzweg in Sydney den Jesus dar. „Ein Auftrag von oben“, sagt er. Die drastisch-realistische Inszenierung hat ihre Wirkung auf viele Gläubige. Das liegt nicht nur an Alfios Einsatz in der australischen Winterkälte, sondern auch an den Schauplätzen: Der weltberühmte Hafen mit Opernhaus und Harbour Bridge wird zur eindrucksvollen Kulisse für das blutige Passionsspiel.

Inszeniert wird viel am Weltjugendtag. Nach vorbereitenden Tagen in australischen Diözesen nehmen mehr als 200.000 Pilgerinnen und Pilger lautstark die für den Autoverkehr gesperrte George-Street in Besitz. Der Eröffnungsgottesdienst im Hafengelände „Barangaroo“, die päpstliche Ankunft per Schiff, der schier endlose Pilgerzug über die Harbour Bridge, die Menschenmassen bei Vigil und Papstmesse, dazwischen jede Menge fröhlich lachender junger Leute: Das sind Bilder, die in Erinnerung bleiben.

Die Medien berichten überschwänglich positiv. „Er sah, dass es gut war“, schreibt ein Redakteur – und meint damit nicht Gott und die Schöpfung, sondern den Papst und das Hafenbecken. Superlative ringen nach Worten. Selbst auf skeptische Sydneysider färbt die positive Stimmung ab.

Ein Restaurant im Zentrum hat mit den Pilgern kein Geschäft gemacht. Der Chef ist nicht böse darüber. „Das geht schon in Ordnung“, sagt er. „Die jungen Leute verbringen hier eine tolle Zeit. Keiner trinkt, keiner randaliert. Sie sind eine Werbung für Sydney.“

Ein geschminkter Kardinal

Die Pilger treten in Gruppen auf und singen gern. Bereitwillig jubeln und winken sie in Kameras. Staatsflaggen sind immer dabei. Noch von der Euro siegesstolze Spanier ziehen gar mit „Olé, olé“-Rufen zur Eröffnungsmesse. Viele schminken sich in den Landesfarben. Zum Treffen der österreichischen Teilnehmer erscheint sogar Kardinal Schönborn mit rot-weiß-roten Wangen.

Gerade in der Masse ist das Bedürfnis nach Identität und Zugehörigkeit groß, wachsen Gruppen zusammen. Dennoch: Sich unter Tausenden Gleichgesinnten zu wissen, ist für die meisten befragten Jugendlichen der entscheidende Pluspunkt des Weltjugendtages. Gebet und Gottesdienste schaffen Gemeinschaft über die Gruppen hinaus: eine fromme Stärkung katholischer Identität.

Priesterliche Sexualgewalt

Gerade zum Weltjugendtag musste sich der Erzbischof von Sydney, Kardinal George Pell, an ein trauriges Kapitel erinnern lassen: In Australien sind viele Fälle von sexuellem Missbrauch durch Priester ruchbar geworden. Opfer werfen der Kirche vor, entgegen allen Versprechen die Vorfälle nach Möglichkeit zu vertuschen, Gerichtsverfahren zu verhindern und die Betroffenen abzuspeisen, anstatt ihnen zuzuhören. Der ehemalige Weihbischof Geoffrey Robinson hat als Vorsitzender der zuständigen kirchlichen Kommission zahlreiche Gespräche mit den Opfern priesterlicher Sexualgewalt geführt.

Dabei kam er zu der Überzeugung, dass der Missbrauch nicht nur als Verfehlung einzelner, sondern auch als strukturelles Problem gesehen werden müsse. Robinson schrieb ein Buch, in dem er den sexuellen Missbrauch als Form des Machtmissbrauchs darstellt und den Zölibat als einen von vielen Faktoren für ein „Klima des Missbrauchs“ nennt. Am Weltjugendtag nimmt Bischof Robinson nicht teil. Er gönne den Jugendlichen das Erlebnis von Herzen, sagt er, aber: „Ich kann diesen Triumphalismus nicht ausstehen.“

Der Papst reagiert auf den öffentlichen Druck. Er entschuldigt sich, spricht von Scham. Die Täter müssten vor Gericht gestellt werden, sichere Bedingungen für junge Menschen hätten höchste Priorität. Am Ende redet Papst Benedikt auch noch mit Missbrauchsopfern. Ist die Sache damit ausgestanden? Worte sind zu wenig, sagen viele Opfer, und Bischof Robinson findet das auch.

Das alles ist beim Weltjugendtag natürlich kein Thema. In Katechesen begegnen die Jugendlichen Bischöfen ihrer Sprachregionen.

Die Predigten des Papstes handeln vom Heiligen Geist, und es ist nicht einfach, ihnen zu folgen. Trinitätstheologie ist auch für Menschen über 16 eine Herausforderung – und der bayerische Akzent im päpstlichen Englisch macht es nicht einfacher. In dem riesigen Areal des Randwick Racecourse, das den Papst selbst auf der Vidiwall klein aussehen lässt, kommt bei allem Prunk kaum Nähe auf. „Benedetto“-Rufe sind spärlich, Zwischenapplaus ist selten. Trotzdem bleiben die jungen Verehrer ihrem Idol gewogen. Schließlich kann man die Predigten ja auch nachlesen.

Bezeugter Glaube

Bei aller Begeisterung wird am Ende ein wenig Kritik laut. Viele von Jugendlichen vorgetragenen „Glaubenszeugnisse“ folgen dem Schema einer radikalen Lebenswende nach Begegnung mit einem Priester, merken einige an. Die „normale Katholizität“ einer unspektakulär gewachsenen Zugehörigkeit werde dabei zu wenig wahrgenommen. Zudem würden einige Gruppen versuchen, anderen ihre Form katholischen Lebens aufzudrängen. Tatsächlich werben etwa Mitglieder des „neokatechumenalen Weges“ bei jeder Gelegenheit mit Tanz und Plakaten. Junge Polen schwärmen aus, um mit schlechtem Englisch und noch schlechteren Argumenten Passanten für „ihren“ Jesus zu gewinnen. Könnte eine Stadt angesichts solcher Anstrengungen mild lächeln, Sydney wäre die erste, die es täte. Trotzdem: Schwebt allen das gleiche Ziel vor Augen? Ist der Weltjugendtag ein Glaubensfest, eine Feier solidarischer Glaubensvertiefung – oder eine Einübung in ideologisch sattelfeste Linientreue?

Mit der Ankündigung, den nächsten Weltjugendtag 2011 in Madrid abzuhalten, ist nun klar, dass Papst Benedikt der Idee seines Vorgängers treu bleiben wird. Wer weiß, vielleicht sind Entwicklungen denkbar, die es den Jugendlichen erlauben, sich in internationalen Foren stärker über ihre Visionen, ihre Hoffnungen, ihre Kritik zu verständigen. „Die Kirche braucht Erneuerung“, sagt Papst Benedikt in seiner Predigt. Mit einer hörenden, nicht nur lehrenden Hierarchie könnte der Weltjugendtag zum Motor einer solchen Erneuerung werden.

„Humanae vitae“-Jahrestag

Wie nachhaltig ist ein solches Großereignis? Der Sydnier Religionsjournalist Chris McGillion schlägt in einem Kommentar eine Brücke zwischen dem Weltjugendtag und der Enzyklika „Humanae vitae“, deren Erscheinen sich Tage später jährt: „Innerhalb einer Woche rücken zwei Dinge ins Rampenlicht: zuerst die Fähigkeit der Kirche, die Fantasie junger Leute für sich zu gewinnen, dann einer der wichtigsten Gründe für die Unfähigkeit, ihre Herzen und Gedanken als Erwachsene zu halten.“ McGillion sieht „Humanae vitae“ als Signal dafür, dass die Kirche eine fundamentale Diskussion ihrer hierarchischen Organisation, ihrer Morallehre oder des männlich-zölibatären Priestertums nicht zulassen werde. Eine Diskussion also, die sich auch Bi-schof Robinson sehnlich wünscht.

Ein Bild aus der Passions-Inszenierung: der Mann mit dem Kreuz, ein kleines pathetisches Zeichen auf einem Boot unter der Harbour Bridge. Die Bilder bleiben, aber Inszenierungen haben ein Ende. Am Sonntagmorgen steht Jesus-Darsteller Alfio etwas ratlos in der Morgenkühle und schaut zum Hafen. Gestern noch war hier alles pilgerbunt. So lange hat man geprobt und vorbereitet, und jetzt? „Das vergeht so schnell“, sagt er kopfschüttelnd – um sich dann zu trösten: „Aber der Geist wird bleiben.“

Der war vermutlich auch vorher schon da.

Der Autor ist Religionsjournalist und Dokumentarfilmer beim ORF.

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