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Digital In Arbeit

„Sichere” Jobs auf Zeit

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Viele neue Arbeitsplätze erhofft sich die Europäische Union durch Telearbeit. Im Rericht „Tele-work 96” ist von sechs Millionen neuen Arbeitsplätzen die Rede.

Ernüchternd ist die Bilanz einer für das Telework-Programm erstellten Studie des deutschen Marktforschungsinstituts Empirica: In den fünf größten EU Ländern (Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Italien und Spanien) gibt es erst rund 1,1 Millionen Telearbeiter, in der EU etwa 1,25 Millionen. Großbritannien, wo die Thatcher-Begierung den massiven Abbau gesicherter Arbeitsplätze und die Gründung von Kleinstfirmen gefördert hatte, beschäftigen 7,4 Prozent der Firmen 560.000 Telearbeiter.

Ähnlich hoch ist der Anteil in Frankreich, mit 215.000 Telearbei-tern, in Deutschland beschäftigen 4,8 Prozent der Firmen 149.000 Telearbeiter, in Italien 3,6 Prozent der Firmen 97.000 Telearbeiter. Schlußlicht ist Spanien, wo nur 2,3 Prozent der Firmen 102.000 Telearbeiter beschäftigen. Das Interesse an Telearbeit ist aber gerade in jenen Ländern am größten, wo sie am wenigsten verbreitet ist und wo die Bevölkerung am wenigsten darüber weiß. Dies läßt auf unrealistische Erwartungen schließen.

Vergleichsweise bescheiden sind die Auswirkungen des ersten Tele-work-Programms der EU: Von 122

Vorschlägen wurden lediglich 33 verwirklicht. Der Schwerpunkt lag mehr auf Vorzeigeprojekten und Beratung als auf Schaffung neuer Arbeit: Rund 5.000 Personen wurden zu Telearbei-tern, die Arbeit von weiteren 24.000 Menschen hat sich zumindest verändert. In den Projekten selbst wurden aber nur zwölf Vollzeit- und sechs Teilzeitstellen geschaffen sowie sieben neue Produkte und neun neue Dienste. Die Projektdauer betrug höchstens eineinhalb Jahre - nicht viel, um neue und komplexe Arbeitsformen zu erproben und längerfristige Auswirkungen abzuschätzen.

Besonders gering ist, entgegen den Zielen der offiziellen EU Politik, der Nutzen für die benachteiligten Be-gionen: Nicht einmal fünf Prozent der Teilnehmer an den EU-Projekten sind in Griechenland, Irland, Spaninen und Portugal beheimatet, obwohl in diese Länder immerhin mehr als eine Viertel der Leistungen geflossen sind. Die meisten Teilnehmer stellte Deutschland mit 51 Prozent. Das Land konnte mit 21 Prozent der Mittel den größten Stück vom Kuchen für sich abschneiden.

Telearbeit wird von der EU sogar als „zweischneidiges Schwert” bezeichnet, denn „viele tradtionelle Stellen werden verschwinden, aber auch mehr neue Stellen werden geschaffen.”

Erwartet werden

■ ein leichter Anstieg von Stellen durch den neuen Wettbewerb,

■ eine Entwicklung von fixer Beschäftigung hin zu flexiblen, unsicheren .Beschäftigungsverhältnissen,

■ eine Erhöhung der Produktion in kleinen unabhängigen Firmen, die aber über zu wenig Kapital verfügen sowie

■ eine starke Erhöhung des Binnenhandels, aber nur eine geringe des Außenhandels.

Der Grund für diese Schattenseiten liegen in der von der EU propagierten Übernahme des amerikanischen Konzeptes des „Business process re-engi-nieering (BPB)”. Anstatt die „Funktionen” des fix angestellten Personals zu optimieren, werden die „Prozesse” optimiert. Im Betrieb selbst soll nur noch eine geschrumpfte Stamman-schaft die unabdingbaren „Kernprozesse” weiter behalten. Alle anderen Arbeiten werden an Teilzeitarbeiter, oft nur über Werkverträge, ausgelagert.

Für Europa ergeben sich spezielle Probleme:

■ In vielen Ländern sind die Telefonkosten zu hoch, die nationalen Telefongesellschaften bieten noch zu wenige spezielle Dienste für grenzüberschreitende

Telearbeit an.

B ßs droht (jjg

Abwanderung der Telearbeit in jene Länder, in denen die Telefonkosten und die Arbeitskosten niedriger sowie die sozialen Absicherungen schlechter sind.

■ Unklar sind steuerrechtliche Fragen: Wird eine Arbeit von Telearbei-tern in mehreren Ländern geleistet oder von einem Land zum anderen weitergereicht, wo wird nach welchen Gesetzen versteuert?

■ Die soziale Absicherung (Krankenversicherung, Pensionsversicherung, Arbeitslosenversicherung, ...) ist in den meisten Ländern ebenso ungeklärt wie die Anwendung von Arbeitsschutzbestimmungen. Eigene gesetzliche Schutzbestimmungen fehlen in den meisten Ländern.

■ Fragen des Datenschutzes und der Datensicherheit sind ungeklärt.

■ Gerade für die Kleinunternehmen, die laut EU ja viele neue Arbeitsplätze schaffen sollen, sind die Investitionskosten für die technische Ausstattung und die Einschulung für Telearbeit zu hoch.

Die Förderung von Telearbeit kann somit leicht zum Bumerang werden. Ist eine Arbeit durch Auslagerung zu Telearbeitern flexibel genug gemacht worden, kann sie gleich in ein noch billigeres Land außerhalb von Europa ausgelagert werden.

In Österreich startet „Euroteam” soeben ein erstes Bewertungsprogramm für Klein - und Mittelbetriebe, das ab 1997 Firmen über Möglichkeiten und Probleme der Telearbeit berät. Beim derzeitigen Wissensstand ist der Zweckoptimismus der EU also noch verfrüht.

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