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Staatsaufwand und Kraftfahrwesen

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Die Motorisierung drückt dem 20. Jahrhundert den Stempel ebenso auf wie der Eisenbahnbau dem 19. Jahrhundert. Den alten Grundsatz „Bahnen werden nicht gebaut, sie bauen sich von selbst“ kann man sinngemäß auf die Motorisierung von heute übertragen.

Ein sprechendes Beispiel dafür liefert die Motorisierung Österreichs in den letzten Jahren. Weder die gründliche Verarmung des Landes durch zwei Weltkriege noch die "weitgehende Zerstörung des Fahrzeugparks in den letzten Kriegswochen oder die Not der folgenden Nachkriegsjahre haben die rasche Motorisierung verhindern können. Im Gegenteil, man steht vor der überraschenden Tatsache, daß Österreich bereits drei Jahre nach Kriegsende (am 31. Oktober 1948) um 67 Prozent mehr Kraftfahrzeuge besaß als zwei Jahre vor dem Krieg (am 30. September 1937). Insgesamt besaß unser Land, wie die im November 1949 vom österreichschen Statistischen Zentralamt veröffentlichte „Statistik der Kraftfahrzeuge in Österreich 1948“ ausweist, im vorigen Jahr am genannten Stichtag 199.423 Kraftfahrzeuge gegenüber 119.585 im Jahre 1937. An dieser Zunahme um rund 80.000 Stück hat die Vermehrung des Traktorenparks besonderen Anteil, der von 234 Stück im Jahre 1937 auf 11.702 Stück im Jahre 1948 stieg und fast zur Gänze der Landwirtschaft dient, die 78 Prozent der Zugmaschinen verwendet. In dieser Tatsache zeigt sich, daß die Motorisierung nicht einen falschen Wohlstand vortäuscht, sondern zum großen Teil wirtschaftlichen Notwendigkeiten entspringt.

_ Die wirtschaftliche Lage des Landes drückt sich auch darin aus, daß der Anteil der Krafträder am Gesamtkraftfahrzeugbestand außerordentlich hoch ist. Insgesamt weist die Statistik für 1948 96.715 Motorräder gegenüber 31.804 Personenwagen aus (der Rest sind Nutzfahrzeuge und Anhänger). Aber auch bei den Krafträdern ist die Zunahme gegenüber 1937 erstaunlich. Sie betrug 31.234 Stück. Das Motorfahrzeug des kleinen Mannes ist geradezu das Symbol der österreichischen Motorisierung der Nachkriegsjahre.

Mag man diese Zahlen auch schlechtweg als Beweis dafür ansehen, daß sich die Motorisierung — fast möchte man sagen — mit Urgewalt gegen alle politischen und wirtschaftlichen Hindernisse durchsetzt, so bleibt es trotzdem überraschend, daß Österreich heute mit einem Personenwagen auf je 205 Einwohner besser motorisert ist als etwa die Tschechoslowakei mit 274, Italien mit 284, Finnland mit 360, Spanien mit 441 und Ungarn mit 650 Einwohnern je Wagen.

Ein besonders bemerkenswertes Kennzeichen der österreichischen Motorisierung ist die Tatsache, daß der Verwaltungsapparat nicht hinter dieser Entwicklung in bürokratischer Langsamkeit nachhinkt, sondern an ihr durchaus lebhaften Anteil nimmt und am Stand der Kraftfahrzeuge selbst mit einem hohen Prozentsatz beteiligt ist. Insgesamt befinden sich im Besitz von Behörden, Ämtern, Polizei, Post, Bundesbahn und öffentlichen Körperschaften 10.580 Motorfahrzeuge. Rechnet man die 11.412 Fahrzeuge, die sich im Privatbesitz von Staatsund öffentlichen Angestellten befinden, hinzu, da diese Fahrzeuge wohl vielfach für dienstliche Zwecke benutzt werden, so ergibt sich, daß rund 11,5 Prozent aller österreichischen Kraftfahrzeuge im Besitz des Staates, öffentlicher Institutionen und öffentlicher Angestellten sind. Den österreichischen Einkommensverhältnissen entspricht es, daß von den 2030 Fahrzeugen im Privatbesitz von Bundesbahnen allein 2001 Krafträder und Kleinkrafträder sind, während diese Berufsgruppe nur 27 Personenwagen in Privatbesitz ausweist. Ähnlich liegen die Verhältnisse bei den Postangestellten (956 : 36). Auch bei den Angestellten der Behörden, Ämter und öffentlichen Körperschaften überwiegen die 4230 Motorräder gegenüber den 1008 Personenautos, aber der Anteil der Autos ist hier doch relativ hoch. Angesichts der hohen Anschaffung - und Betriebskosten eines Wagens unter den heutigen Verhältnissen und dem anerkannt geringen Einkommen der Staats- und öffentlichen Angestellten läßt sich diese Zahl nur mit dem hohen Spar- und Repräsentationssinn in der Beamtenschaft erklären, der den Verzicht auf viele Bequemlichkeiten zugunsten eines Autos veranlaßt.

Von dem im Besitz sämtlicher Behörden und öffentlichen Körperschaften befindlichen 10.580 Motorfahrzeugen entfällt ein großer Teil auf die Omnibusse der Post und Bahn (zusammen 868), den Lastwagenbestand (3216 Stück), die Anhänger (885) und die Spezialfahrzeuge (Krankenwagen usw. mit insgesamt 777 Fahrzeugen), .vährend die Motorräder mit 2049 Stück in allen Sparten der Verwaltung nicht sonderlich stark vertreten sind. A n Personenwagen besitzen alle öffentlichen Dienststellen 2434 Stück, das sind rund 8 Prozent des österreichischen Bestandes an Personenautos (ohne Taxi).

Selbstverständlich fallen diese 2434 Dienstwagen dem steuerzahlenden Fußgänger ebenso in die Augen wie in die Geldbörse, und die Kritik der öffentlichen Meinung pflegt sich an diesem Problem besonders heftig zu entzünden.

Der Anreiz, den das staatliche Vorbild auf die gesamte Wirtschaft ausübt, ist nicht zu unterschätzen, ja in Wirklichkeit enorm. Die großen Bauaufgaben, die sich in den nächsten Jahren durch die Zunahme der Verkehrsdichte ergeben werden, Werden große Quellen allgemeiner Arbeitsbeschaffung (Garagenbau, Tankstellenbau, Beseitigung von Verkehrshindernissen usw.) sein, und das Vorbild zu solchen wirtschaftsfördernden Entwicklungen ist nun einmal heute der Verwaltung aufgegeben. Auch in der Typenfrage wird zweifelsohne — wie viele ausländische Dienststellen in unserem Lande bereits zeigen — die öffentliche Hand schon rem aus bautechnischen und Verkehrsdichtegründen das Klein- und Kleinstauto vorbildgebend bevorzugen und dem Motorrad inländischer Produktion den ihm statistisch zukommenden Platz einräumen, wie das kürzlich bei den Neuanschaffungen bei der Polizei geschehen ist. Das heißt, daß sich das Sparsamkeitsprinzip in der öffentlichen Verwaltung nicht gegen die Motorisierung, sondern innerhalb der Motorisierung auswirken wird und positiv im Sinne eines sparsamen Fortschritts zugunsten der Verbindung zwischen Vorbild und Zweckmäßigkeit entscheiden wird. Es steht außer Zweifel, daß bei rationeller Bewirtschaftung im öffentlichen Fahrzeugpark noch einige Tagesdefizite der Bundesbahnen eingebracht werden können.

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