6561027-1948_48_06.jpg
Digital In Arbeit

Bäuerliche Berufsertüchtigung in der Schweiz

Werbung
Werbung
Werbung

Letzthin tagte der Schweizerische Landwirtschaftliche Verein in Glarus, wo der Glarner Bauernbund zugleich sein hundertjähriges Bestehen feierte. Dabei wurden 51 Absolventen diplomiert, die die Meisterprüfungen bestanden hatten. Bei dieser Gelegenheit hielt Bundesrat Rudolf M i n g e r eine beachtenswerte Ansprache über aktuelle Fragen der Landwirtschaft. Er betonte besonders die Bedeutung eines starken Bauernstandes; ohne diesen könne die wirtschaftliche Verteidigung der Schweiz nicht verwirklicht werden. Auch in der Schweiz besteht infolge der starken Industrialisierung die große Gefahr der Landflucht, ganz besonders beim weiblichen Geschlecht.

Wie begegnet die Schweiz dieser Gefahr? Schon’ im Jahre 1759 hatte der Berner Tschiffeli mit gleichgesinnten Freunden die ökonomische Gesellschaft in Bern gegründet, um den Bauernstand zu heben. Diese stellte unter anderem auch ein Programm auf für die weibliche Berufsertüchtigung, das recht modern anmutet. Danach sollte der Unterricht umfassen: Religion und Sittenlehre, Kinderpflege und Kindererziehung, Führung des Haushalts, Kenntnis der landwirtschaftlichen Ökonomie und Pflege allgemein-menschlicher und gesellschaftlicher Umgangsformen und ländlicher Sitten und Gebräuche. Der erste, der diesen Plan zu verwirklichen suchte, war Philipp Emanuel von Fellenberg auf seinem Mustergut „Hofwil”, der ersten schweizerischen Ackerbauschule für beide Geschlechter. Die Bauerntöchter standen unter der Obhut seiner Frau.

Doch die Grundlage zum weitern Ausbau der hauswirtschaftlichen Schulen für Bauerntöchter bildet der Bundesbeschluß vom 20. Dezember 1895. Danach leistet der Bund Beiträge an die hauswirtschaftlichen Bildungsanstalten bis zur Hälfte des jährlichen Aufwandes, den die Kantone dafür aufbringen. Der erste Kanton, der hievon auch für die ländliche Bevölkerung Gebrauch machte, war Luzern. Im Jahre 1907 entstand die erste schweizerische Haushaltungsschule für angehende Bäuerinnen im Anschluß an die landwirtschaftliche Schule in Sursee. Nicht bloß Kenntnisse und Fertigkeiten, sondern vor allem ihre Verantwortlichkeit in ethischer, hygienischer und ökonomischer Hinsicht sollten gefördert werden. Anfangs dauerte diese Sommerschule drei Monate. Der Schwerpunkt lag schon damals auf der praktischen Ausbildung in Kochen und Handarbeiten, Kinder- und Krankenpflege, Hygiene, Renährungslehre, Garten und Gemüsebau sowie Geflügelzucht, Die Erfolge waren so erfreulich und befriedigend, daß die Kurse bald verdoppelt werden mußten. Diese bäuerliche Haushaltungsschule wurde für die weitere Entwicklung des weiblichen landwirtschaftlichen Bildungswesens bahnbrechend. Den meisten Ackerbäuschulen der Schweiz wurden ähnliche Kurse angegliedert.

Heute gibt es in der Schweiz 1 6 kantonale und 6 private landwirtschaftliche Haushaltungsschulen. Von 1914 bis 1918 dauerten diese Sommerschülen drei Monate. Von 1919 an wurden diese Kurse auf fünfeinhalb bis sechs Monate ausgedehnt und mußten meist verdoppelt werden. Für Bauerntöchter, die während des Sommers auf dem Lande arbeiten mußten, wurden auch Winterkurse von vier bis viereinhalb Monaten eingeführt. Der Lehrplan einer solchen Schule ist ungefähr für den praktischen Unterricht in häuslichen Arbeiten der Frau unter anderem Ernährungslehre, Haushaltungskunde, Gesundheitslehre, Kinder- und Krankenpflege, Garten- und Weinbau, Tierhaltung, Betriebslehre, Bürgerkunde, Buchhaltung, Korrespondenz und Gesang.

Das Hauptziel indes der staatlichen wie der privaten Schulen besteht darin, den Bauerntöchtem ihren bäuerlichen Beruf wertvoll und lieb zu machen und diese zu pflichttreuen und verantwortungsvollen Menschen heranzubilden. Dies ist aber ohne religiöse und sittliche Grundsätze kaum möglich. Deswegen nimmt der Religionsunterricht in den katholischen wie auch in den nichtkatholischen Anstalten einen wichtigen Platz ein. In den staatlichen Schulen mit Teilnehmerinnen verschiedener Bekenntnisse ist ebenfalls für entsprechenden Religionsunterricht gesorgt.

Seit dem ersten Weltkrieg besteht das Bestreben, schon den Mädchen der Primarund Sekundarschulen die Liebe zum Land und die notwendigsten Kenntnisse der ländlichen Hauswirtschaft zu vermitteln. In mehr als der Hälfte der Kantone ist dieser hauswirtschaftliche Unterricht obligatorisch von einem gewissen Alter an. 1928 betrug die Zahl solcher Schülerinnen 35,000; heute sind es über 5 0.0 0 0. Der Bund trägt ein Drittel der Unkosten dieser beruflichen Schulung, die gewöhnlich von einem besonderen Lehrpersonal erteilt wird. In den Primarschulen sind jährlich 120 Stunden für den hauswirtschaftlichen Unterricht reserviert, in den Sekundarschulen wenigstens 160. Zur Heranbildung des Lehr- pensonals steht eine Reihe von Seminaren, staatliche und private, zur Verfügung, darunter die katholischen Institute von Ingen- bohl, Menzingen, Cham, Stella matutina in Hertenstein, Luzern usw.

Auch die weiblichen Orden öffnen ihre Häuser und Schulen den Bauerntöchtern, wie Fahr, Glattburg, Seedorf usw. Die Dominikanerinnen in Ilanz haben eine besondere Schule für Bergbäuerinnen, die eigens Erwähnung verdient, Exerzitien, religiöse Wochen, Tagungen, praktische und theoretische Kurse usw. sollen die Liebe zum ländlichen Heim vertiefen. Die Gruppe „Landfrau Luzern” hat vom 5. bis 8. Juli 1948 erstmals Berufsprüfungen für Bäuerinnen durchgeführt, und zwar mit sehr gutem Erfolg. Überall zeigt sich das Bestreben, ein gesundes, bodenständiges Bauerntum zu erhalten und zu pflegen als Grundlage eines tüchtigen Nähr- und Wehrstandes. Die bittere Lehre zweier Weltkriege!

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung