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Die angeschlagene Elternmoral

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Das gilt icht nur für Kinder, die im Barackenmilieu aufwachsen, für Kinder aus niederen sozialen Schichten, im Gegenteil: auch jene, die in teuren Wohngegenden leben, sind von einer zum Teil schwer angeschlagenen Elternmoral in der Wohlstandsgesellschaft betroffen. Genug verwahrloste Kinder, streunen auf teuren Fahrrädern und in teurer Kleidung.

Denn daheim haben sie es auch nicht immer paradiesisch. Im Berichtsjahr 1966 fiel eine erkleckliche Anzahl Kinder der Nachlässigkeit ihrer Elter zum Opfer: elf schulpflichtige Kinder starben an frei herumliegendem Gift, 16 verbrannten oder verbrühten, 21 kamen bei Unfällen durch Maschinen zu tödlichem Schaden. In der europäischen Unfallstatistik bei Kindern und Jugendlichen nimmt Österreich einen Spitzenrang ein.

Die medizinische Betreuung der Schwangeren und Neugeborenen ist in den österreichischen Bundesländern recht uneinheitlich. Wien hält mit einer Säuglingssterblichkeit von 2,8 Prozent den österreichischen Durchschnitt. In Kärnten dominiert mit 3,2 Prozent das negative und in Tirol mit 2,1 Prozent das positive Extrem.

Sind sie gesund?

Auf dem Sektor der Gesundheits- Überwachung müßte mehr geschehen. Ein Schulkind kann nur gesund sein, wenn ihm als Säugling oder Kleinkind die richtige Betreuung zuteil wurde. Man weiß, daß Fehlund Mangelernährung in den erste Lebensmonaten in der Körperentwicklung Unterschiede hervorrufen können, die bis zum Lebensende bestehen. Aber die Vorsorgeuntersuchungen im Kleinkinderalter sind recht unzureichend organisiert. Oft ist es erst der Schularzt, der Entwicklungsstörungen, Störungen der Funktionstüchtigkeit der Sinnesorgane oder Fehlbildunge innerer Organe registriert, wiewohl er wegen Arbeitsüberlastung nur flüchtige Reihenuntersuchungen vornehmen kann.

Gewiß: die Sozialverwaltung gibt sich nicht der Muße hin. Sie ist darangegangen, einheitliche Richtlinien für schulärztliche Untersuchungen sowie ein einheitliches

Untersuchungsformular auszuarbeiten. Sie gab ein „Merkblatt über Maßnahmen zur Verhütung von Haltungsschäden der Kinder durch Tragen schwerer Schultaschen“ heraus, sie wies i den Schulen plakativ auf die Gefahren des Rauchens hin.

Aber hier stellt sich eine zentrale Frage. Sollten sich nicht in einer Demokratie, die auf die Vernunft des einzelnen gegründet ist, die Eltern mehr und intensiver um die geistige und körperliche Erziehung ihrer Kinder kümmern? Sie hegen und nicht wild wuchern lassen; die liebe normal dosieren; mehr den drohenden tödlichen Gefahren des technisierten Alltags Vorbeugen; bei der Partnerwahl auch an die Zukunft der Ungeborenen denken? Ein Übermaß an staatlichen Eingriffen in die geistige und körperliche Betreuung der Kinder kann nur allzu leicht den Rest an elterlicher Eigenverantwortung töten.

Dies gilt es zu bedenken. Wenn im „Jahrhundert des Kindes“ festgestellt werden muß, daß diese Gesellschaft keineswegs kinderfreundlicher ist als andere zuvor, wenn heute Wissenschaftler den „Natur- gesellschaften der Eskimos und Indianer mehr kinderfreundliche Züge zuschreiben als unserer hochentwik- kelten und humanen Zivilisationsgesellschaft“, dann darf die Frage nicht offenbleiben, wer Ijier und heute an de Kindern sündigt. Punktuell die Eltern, punktuell der Staat. Es ist keine österreichische Crux allein, daß der Wohlstand dieser Gesellschaft ihren Kindern nicht durchweg Zinsen trägt.

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