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Kein Platz für Agraringenieure

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Die Aufgabe der landwirtschaftlichen Berufsschulen ist die Vermittlung des notwendigen Grundwissens für die spätere detaillierte Fachausbildung. Die uneinheitliche legi-stische Regelung in den einzelnen Bundesländern erschwert aber diese Aufgabe, zumal unter ariderem über die Frage der Berufsschulpflicht noch keine einheitliche Auffassung vorherrscht. Obwohl schon seit einiger Zeit die entsprechenden Verfassungsgesetze im Parlament liegen, konnte auch auf politischer Ebene keine Einigkeit erzielt werden. Die Sozialisten haben — trotz ihres Bdldungs- und Kulturprogrammes und der ständigen Beteuerungen, sich die Probleme der Landwirtschaft angelegen sein zu lassen — diesen Verfassunigsigesetzen bisher die Zustimmung verweigert Die Agrarpolitik war daher gezwungen, den Weg der paktierten Gesetzgebung zu gehen (Bund und Länder haben gleichlautende Gesetze zu besähließen), der zwar eine Vereinheitlichung des landwirtschaftlichen Berufsschulwesens unter Bedachtnahme regionaler Aspekte ermöglicht, aber eben langwieriger und zeitraubender ist. Elbcnso war eine bundeseinheitliche Lösung für die wichtigen landwirtschaftlichen Fachschulen wünschenswert, vor allem, was das Stunden-außmaß und das Eintrittsalter betrifft. Im Schuljahr 1968'69 besuchten 25.000 Schüler die land- und forstwirtschaftlichen Schulen, in den 95 Fachschulen stieg die Schülerzahl von 1967/68 um 4% auf 5600 im Schuljahr 1968/99 an.

Maturanten ohne Zukunft?

Während also die zunehmende Frequenz in den bäuerlichen Betriebs-leiterschuien durchaus erfreulich ist, bereitet der Andrang zu den höheren landwirtschaftliehen Bundes-lehranstalten der agrarischen Bildungspolitik nicht nur Freude, sondern aiuch Sorgen. Derzeit besuchen rund 1500 Studierende die zehn höheren Landwirtschaftlichen Bundeslehranstalten (vier für Mädchen, vier für Burschen, zwei Spezialschulen für Mädchen und Burschen), aber nur ein geringer Teil der durchschnittlich 250 Maturanten pro Jahr kehrt in die praktische Landwirtschaft zurück. Viele studieren an der Hochschule für Bodenkultur oder nach einigen Zusatzprüfungen auch an anderen Universitäten weiter. Der überwiegende Teil der Absolventen land-

wirtschaftlicher Mittelschulen strebt aber eine berufliche Laufbahn der argrarischen Dienstleistung, also im Genossenschaftswesen und in den Landwirtschaftskammern, an. Ein gewisser Bedarf für die Maturanten, die nach fünf Jahren die Standesbezeichnung Agraringenieur erhalten, ist auch in der Privatindustrie gegeben, vor allem die Wieselburger Landtechniker haben derzeit noch kaum Sorgen und finden in der Landmaschinenindustrie aussichtsreiche Berufslaufbahnen vor. Für die Absolventen der höheren landwirtschaftlichen Bundeslehranstalten (Fachrichtung Landwirtschaft) wird es aber jedes Jahr schwieriger, einen Posten zu finden. Eine kaum bessere Situation finden aber auch die Absolventen der Hochschule für Bodenkultur, Fachrichtung Landwirtschaft, vor. Immer mehr drängen nämlich auch. Juristen, Diplom-Kaufleute und Diplom-Volkswirte in den ländwirtschaftlichen Dienstleistungsbereich, wobei der Diplom-Agraringenieur in seinem engeren Fachbereich auch noch die Konkurrenz der Tierärzte und Lebensmitteltechniker und eben jene der landwirtschaftlichen Mittelschulabsolventen vorfindet.

Der „Absatzmarkt“ für qualifizierte Agrarfachleute ist in Österreich derzeit beschränkt.

Die zunehmende Verflechtung der Landwirtschaft mit der übrigen Wirtschaft, wie überhaupt die ständige Komplizierung des gesellschaftlichen Lebens, bedingen vermehrte Organisation und Administration auch im agrarischen Bereich. Dies hat eben zur Folge, daß der Agrarakademiker als qualifizierte Fachkraft anderen Hochschulabsolventen gegenüber benachteiligt ist. Es ist daher zu begrüßen, daß die Gesellschaft für Land- und Forstwirtschaftspolitik den Auftrag gegeben hat, den zukünftigen Bedarf an Agrarakademikern zu ermitteln. Für die Landwirtschaft besteht nämlich die Gefahr, daß sie nicht nur bei Milch und Getreide, sondern auch in der Bildungspolitik am Markte vorbeiproduziert. Schließlich sollte aber auch verhindert werden, daß der Absolvent der höheren landwirtschaftlichen Bundeslehranstalten oder der Agrarakademiker der zukünftige Handlanger oder akademische Gehilfe für die Juristen. Diplomvolkswirte und Diplomkaufleute wird.

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