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Die „technische Schule”

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Zum Unterschied von den allgemein- bildenden Schulen haben die berufsbildenden Lehranstalten ein doppeltes Lehrziel, die Vermittlung einer „Allgemeinbildung” und von unmittelbar in der Berufspraxis verwertbaren Kenntnissen.

Das berufsbildende Schulwesen ist aufgegliedert in die berufsbildenden Pflichtschulen (Berufsschulen, früher einmal „Fortbildungsschulen” genannt), die berufsbildenden mittleren Schulen, die berufsbildenden höheren Schulen sowie die Lehranstalten für gehobene Sozialberufe.

Die Presse wie die Öffentlichkeit sind davon ausgegangen, daß das Schulgesetz radikale Neuerungen insbesondere durch die Einführung des neunten Schuljahres und die Herausnahme der Lehrerbildung aus dem Bereich des allgemeinbildenden Schulwesens getroffen habe. Dabei hat man übersehen, daß es auch in anderen Bereichen des Schulwesens wesentliche Änderungen gegeben hat. Das gilt vor allem für das technische Schulwesen, mit dem wir uns nachstehend beschäftigen wollen.

Das technische Schulwesen ist aufgegliedert in die gewerblichen und technischen Fachschulen (§§ 58 und 59 des Schulorganisationsgesetzes) und in die höheren technischen und gewerblichen Lehranstalten (§§ 72 und 73)1

Die Fachschulen haben nunmehr den Charakter von Mittelschulen neuen Typs (wie auch die Handelsschulen), während die höheren Abteilungen wie bisher mit den Mittelschulen alten Typs, die jetzt höhere Schulen heißen, egalisiert sind.

Soweit es sich nicht um selbständige Fachschulen handelt, sind die technischen Schulen dem Wesen nach höhere Schulen und dies von der ersten Klasse an. Die Fachschulen sind lediglich angegliedert.

Fünf oder sechs Jahre?

Die Studiendauer an den höheren technischen und gewerblichen Lehranstalten beträgt unvermindert fünf Jahre, wenn auch Tendenzen merkbar sind, ein sechstes Schuljahr anzufügen, um die vermehrten technischen Anfor derungen, die bereits an die Absolventen gestellt werden, pädagogisch zu bewältigen.

Nach der zweiten Klasse erfolgt eine Teilung („Auslese”) in der Weise, daß Schüler, die keinen guten Gesamterfolg „im Sinn der Vorschriften über Klassifizieren” nachweisen können, in die jeweilige Fachschule verwiesen werden. Die Fachschulen haben also die Aufgabe, Schüler, die zwar einen positiven Lernerfolg haben, aber ein oder mehr Genügend aufweisen, zu sammeln und ohne Reifeprüfung auf einen speziellen Beruf hin vorzubereiten.

Knapp vor Beschlußfassung über die Schulgesetze wurde noch festgelegt, daß die Fachschulen eine Studiendauer von zwei bis vier Jahren aufweisen müßten. Praktisch bedeutet dieser Beschluß, daß die überwiegende Mehrheit der technischen Fachschulen ab dem Schuljahr 1963/64 vier Studienjahre (gegen fünf der höheren technischen Lehranstalten) haben wird.

Auslese

Im Sinn einer strengeren Auslese werden also in der Oberstufe des höheren technischen (gewerblichen) Lehranstalten lediglich Schüler studieren können, die am Ende der zweiten Klasse der Unterstufe keine schlechtere Note als Befriedigend aufweisen. Man kann daher annehmen, daß nach den bisherigen Erfahrungen in Hinkunft (das ist ab dem Schuljahr 1965/66) erheblich weniger junge Menschen die technischen Schulen besuchen werden, ein Umstand, der zur Behebung der Raumnot in diesen Schulen sicher beitragen kann. Auf der anderen Seite muß man vermuten, daß auch die Zahl der Fachschüler etwas zurückgehen wird und dem Wunsch des Gewerbes, den es durch seinen Sprecher im Rahmen der Vorbereitung des Schulgesetzes nachdrücklich betont hat, Rechnung getragen wird: Viele junge Menschen werden es vorziehen, unmittelbar in eine Lehre zu gehen und keine technische Lehranstalt zu besuchen, wenn sie nicht Gewißheit haben, nach der zweijährigen Unterstufe in die mit einer Reifeprüfung abschließende Oberstufe aufgenommen zu werden.

Die Absolventen der höheren technischen Lehranstalten (bisher: Bundesgewerbeschulen fczw. technisch-gewerbliche Lehranstalten) waren bisher von der Wirtschaft ungemein gefragt, eine Folge ihrer hervorragenden fachlichen Ausbildung, die sie auch für das Ausland begehrenswert erscheinen ließen. Wenn man die neuen Auslesebestimmungen anwendet, wird die fachliche Qualität der Absolventen noch höher als bisher sein bei einer freilich geringeren Zahl an Stellensuchenden als bisher.

Bedingte Hochschulberechtigung

Die anderen Reformen, die im Bereich des technischen Schulwesens vorgenommen werden, sind beachtlich:

• die Beschränkung der wöchentlichen Stundenzahlen auf 46 (einschließlich der Praxisstunden).

• Religion wird zum relativen Pflichtgegenstand und soll mit zwei Jahreswochenstunden (bisher eine) vorgetragen werden.

• An den Fachschulen ist eine „Abschlußprüfung” vorgesehen, die man etwa mit dem „kleinen Abitur” in der Bundesrepublik vergleichen kann, ein Umstand, der auch bei der künftigen Klassifikation der Abgangszeugnisse im öffentlichen Dienst eine Rolle spielen wird.

• Die Hochschulberechtigung der Absolventen war bisher nicht eindeutig geklärt gewesen. Im § 69 (2) wird nun bestimmt, daß die bestandene Reifeprüfung (bedingungslos) zum Besuch einer wissenschaftlichen Hochschule „gleicher oder verwandter Richtung” berechtigt (sogenannte „Fakultätsreife”), während andere Hochschulen nach Ablegung einer Zusatzprüfung besucht werden können. Bisher stellte die Behinderung des Hochschulstudiums von Absolventen technischer Schulen eine unbeabsichtigte Diskriminierung der Schulen wie auch der Lehrkräfte dar. Anderseits soll das Gegenargument nicht unbeachtet bleiben: Die technischen Schulen vermitteln eine Berufsreife. Ihre Reifeprüfungszeugnisse haben einen doppelten Charakter, wobei den deklarierten Vorrang die Berufsreife hat. Keineswegs sind die technischen Schulen aber Zubringerlehranstalten für die Hochschulen. Das unterscheidet sie von den allgemeinen höheren Lehranstalten.

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