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Unterschied

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Der übertriebene Trend zum Gymnasium beginnt nachzulassen — zumindest in Tirol. Dies geht aus den Anmeldezahlen für mittlere und höhere Schulen hervor. Während für die allgemeinbildenden höheren Schulen die Anmeldezahlen in den letzten drei Jahren annähernd kon-tant blieben, konnte heuer mit 1540 Gymnasiumsanwärtern gegenüber dem Vorjahr (1670) ein deutlicher Rückgang festgestellt werden. Da diese Entwicklung keineswegs mit einem Geburtenrückgang zusammenhängen kann — vor zehn Jahren hatte Tirol eine sehr hohe Geburtenrate —, sehen die Schulbehörden die Ursache in dem erweiterten Angebot an Bildungsmöglichkeiten. Das Gymnasium ist nicht mehr der Weisheit letzter Schluß.

Die Anmeldungen für die „Knödelakademie“ (Ferrarischule) in Innsbruck sind von 551 im Vorjahr auf 665 für das kommende Schuljahr gestiegen. Aus Platzmangel können jedoch nur die Hälfte der Anwärter berücksichtigt werden. Und eben diesen allgemein so geschätzten Schultyp plant Wissenschaftsminister Firnberg auf lange Sicht aufzulassen, „um den Unterschied in der Ausbildung zwischen Mädchen und Buben abzubauen“. Welch ein eklatantes Beispiel einer Fehleinschätzung der tatsächlichen Bedürfnisse und welch fragwürdige Argumentation! Als ob nicht gerade der kleine Unterschied, die differenzierte Vielfalt in der Ausbildung wie in allen anderen Bereichen des Gemeinschaftslebens, die Vitalität einer Gesellschaft ausmachte. Die Akademikerschwemme in England und in Schweden sollte zu denken geben und eine Warnung vor der Gleichschaltung der Bildungswege sein.

An den Tiroler Handelsschulen und Handelsakademien ist eine Sättigung erreicht. Alle 1410 Anmeldungen können heuer berücksichtigt werden. Im Vorjahr lag die Zahl der Anwärter wesentlich höher. Bei den technisch-gewerblichen Lehranstalten hingegen steigen die Anmeldungen leicht an.

Die rückläufige Bewegung an den Tiroler Gymnasien trotz geburten-starker Jahrgänge seit Vermehrung des Angebotes an Hauptschulen und Fachschulen läßt eine' Analyse der tatsächlichen Bestrebungen der Bevölkerung zu. Das allgemeine Interesse an einer gediegenen Ausbildung ist unverkennbar, es kann aber nicht mehr von einer einseitigen Ausrichtung auf einen in Mode gekommenen Schultyp die Rede sein. Von den bestehenden vielfältigen Möglichkeiten wird dankbar Gebrauch gemacht und es scheint sich auch langsam die Erkenntnis durchzusetzen, daß die vielbesungene „Chancengleichheit“ ein Bumerang wäre, wenn man darunter eine Einheitsausbildung verstünde.

Wenn alle mehr oder minder Begabten den gleichen Bildungsweg durchmachen würden, dann wäre nach Absolvierung des Studiums für sie von einer Chancengleichheit nichts mehr zu spüren. Echte Chancengleichheit kann daher nur darin bestehen, daß jeder junge Mensch einen seiner Begabung und Neigung entsprechenden Ausbildungsweg einschlagen könne, ohne von wirtschaftlichen oder geographischen Nachteilen behindert zu werden.

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