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Schüler im und über das Kino

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Welche Einflüsse von Film und Kinobesuch auf die Charakterbildung der Jugend ausgehen, beschäftigt in hohem Maße weit über die Erzieherkreise hinaus die Bevölkerung. Anlaß zu besorgter Nachdenklichkeit haben häufig sich wiederholende Wahrnehmungen und Geschehnisse gegeben, die sehr oft unsere Jugendgerichte beschäftigen. Es fehlte jedoch bisher an Beobachtungen, die, in die Tiefe der Tatsachen reichend, abseits der theoretischen und polemischen Diskussion zahlenmäßige Unterlagen für die Erörterung lieferten.

Nun sind in Wien zum ersten Male darüber sorgfältige Untersuchungen angestellt worden . An zwei Knabenschulen im 4. und 14. Bezirk, an drei Mädchenschulen im 1„ 2. (zwei Klassen) und 13. Bezirk und an drei gemischten Schulen des 1 2., 1 3. und 14. Bezirks wurden den Schülern und Schülerinnen folgende sieben Fragen zur schriftlichen Beantwortung gestellt:

1. Bub oder Mädel? — 2. Wie alt bist du? — 3. Wie oft gehst du im Monat ins Kino? — 4. Welche Filme haben dir gefallen? Zähle sie auf! — 5. Warum haben sie dir gefallen? — 6. Welche Filme haben dir nicht gefallen? Zähle sie aufl — 7. Warum haben sie dir nicht gefallen?

Die Fragebogen sind insgesamt an 1 4 1 7\- H a u p t s c h ü 1 e r, davon an 783 Knaben und 634 Mädchen ausgegeben worden. Die Antworten erfolgten unbeeinflußt.

Erhebung der Sozialen Frauenschule der Caritas der Erzdiözese Wien.

Das Ergebnis der Erhebung läßt bereits bestimmte Schlüsse zu. Die Häufigkeit des Kinobesuches steigt mit dem Alter: die Knaben besuchen öfter das Kino als die Mädchen, zweifellos wftil diese einer strengeren häuslichen Kontrolle unterliegen oder von der Mutter im Haushalt beschäftigt werden und weniger Zeit für das Kino haben. Durchschnittlich besuchten zehnjährige Knaben das Kino 24,7mal im Jahre (Mädchen 14,8); elfjährige 24,4 (18,0); zwölfjährige 30,4 (19,0); dreizehnjährige 34,3 (19,2) und vierzehnjährige' Knaben beziehungsweise Mädchen 40,2 (264) Male im Jahr. Als Vergleich ist. anzuführen, daß „jeder Wiener“ durchschnittlich jährlich 28,8mal ins Kino geht. Von den zwölfjährigen Knaben angefangen bis zu den vierzehnjährigen wird' demnach der Durchschnitt überschritten, und dies gerade im Entwicklungsalter ganz bedeutend. Dabei verhindern es oft nur die materiellen Verhältnisse, daß der Huiylertsatz nicht noch höher ausfällt. Was fes — bei Berücksichtigung der heutigen Programmbildung — bedeutet, daß 8 8,2 Prozent der Knaben und 66 Prozent der Mädchen mindestens einmal im Monat und 27 Prozent Knaben und 10 Prozent Mädchen regelmäßig jede Woche ins Kino gehen, liegt auf der Hand.

Was hat den Schülern gefallen? Unter den ersten zehn Titeln befanden sich nahezu ausschließlich abenteuerliche Themen; allen voran die vielumstrittenen Tarzan-Filme. Aus der Reihe fällt eigentlich nur der schöne, Geschmack und Gemüt bildende Hundefilm „Lassie, kehr zurück!“.

Kennzeichnend ist es, daß der Streifen „Tarzan und das Leopardenweibchen“ von 26 Buben gesehen wurde, ein Film, der unter Jugendverbot steht! Auch ein anderer Film mit Jugendverbot, „Carmen“, ist von den Jugendlichen besucht worden. Ein vierzehnjähriger Hauptschüler, der wöchentlich zweimal ins Kino geht, sah sogar: „Vom Mädchen zur Frau“, „Martina, das Mädchen ohne Halt“, „Das Haus der sieben Sünden“, „Die Schlangengrube“. Sogar der Film „Mädchenmörder“ ist einige Male genannt worden.

Bei den Mädchen sind wieder „Lassie“ und „Tarzan“ an der Spitze. Die Abenteuer- und Wildwestfilme werden hingegen von den Tanzfilmen, wie „Die roten Schuhe“, „Weißer Traum“ oder die „Eiskönigin“, abgelöst. Hier verdient hervorgehoben zu werden, daß an einer Schule das „Lied der Bernadette“ in den Fragebeantwortungen nur deswegen so oft erscheint, weil es sich dabei um eine Klosterschule handelte.

Und nun noch in Kürze die Begründungen. Auf die Frage, warum ihnen die Filme gefallen, betonen die Knaben: Spannung, Humor, Abenteuerlichkeit, Farbfilm; oder es ist auch zu lesen: .Weil gekämpft und gerauft worden ist“; .wild und aufregend“; .weil geschossen worden ist“; an letzter Stelle finden wir die Urteile: .Wegen Güte und Menschenliebe“; „wegen Kameradschaft“; zu den vier kleinsten Ziffern zählt die Begründung: „Weil es ein religiöser Film war“; „weil getanzt worden ist“ und — „weil ich den Film verstanden habe“ ... Das Bild wäre unvollständig, wenn man verschwiege, daß eine starke Vorliebe für Landschaftsbilder besteht oder daß die Tierliebe oft den Besuch eines Films bestimmt. Als gutes Zeichen darf auch vermerkt werden, daß nur drei Knaben Kriegsbilder hervorhoben, drei von 7831

Auch die Mädchen ziehen spannende Sujets vor; sie loben etwa: „Lustig und zum Lachen“; „interessant“; „weil getanzt worden ist“. Fünf der 634 Mädchen kleideten ihr Lob in die Feststellung: „Nicht kitschig.“ Keines der Mädchen ist vom Thema Liebe angesprochen worden, acht von ihnen erwähnen es sogar als Vorteil, daß von Liebe nicht geredet worden ist. Die moralische Kritik ist bei den Mädchen stärker ausgeprägt als bei den Knaben; Mord, Diebstahl und Kampf fanden durchwegs Verurteilung.

Diese Befragung war ein erster Versuch, dem hoffentlich bald ähnliche auf breiterer Grundlage folgen werden. Seine Ergebnisse sind aufschlußreich für Schule und Elternhaus — kein verantwortungsbewußter Erzieher wird an solchen Einsichten vorübergehen können. Besonders für das Elternhaus eröffnen sich daraus eine Fülle verantwortungsschwerer Aufgaben, vor allem eine gesunde, maßvolle Heim- und Freizeitkontrolle, nicht zuletzt aber die Pflicht zu einer weiteren Geschmacksbildung der Eltern selbst, die nur zu oft aus völlig kritikloser Stellungnahme zum Kind überhaupt und zu einzelnen Filmen dem Kinde alle Freiheit lassen. Die beunruhigenden Zahlen über die religiöse Indifferenz der Jugend sind freilich nicht neu und decken sich mit den nüchternen Feststellungen unserer Religionslehrer, besonders in den Industriezentren und den Wiener Vorstädten. Hier ist eine Wandlung über Nacht nicht möglich. Sie bleibt auf lange Sicht hinaus das Hauptanliegen christlicher Innenmission. Die Tatsache schließlich, daß in der geschilderten Enquete von den Schülern besuchte Filme erscheinen, die unter Jugendverbot stehen, berechtigt zur Kritik an der unzureichenden polizeilichen Überwachung ebenso, wie an der unangebrachten Freizügigkeit eines Teiles der Lichtspieltheaterbesitzer.

Vielleicht schaffen sachliche Untersuchungen, wie die obigen, auch auf diesem Gebiete Änderung.

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