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Soziale Herkunft und Studium

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Die „Furche“ hat sich bereits zweimal mit diesem Problem beschäftigt. Zuerst in einem Aufsatz des Rektors der Universität Graz, Professor Dr. Dobretsberger, und bald nachher durch' Veröffentlichung einer an den Kremser Mittelschulen aufgestellten Statistik. Die an dieser Stelle erfolgte Anregung zu weiteren statistischen Erhebungen wurde nun in Linz von .Verfassern dieser Studie, vertrauten Kennern des Linzer Mittelschulwesens, aufgegriffen. Das Ergebnis soll im folgenden dargestellt werden:

Gleich am Eingang kann hervorgehoben werden, daß die Erhebungen über die soziale Herkunft der Linzer Mittelschuljugend im wesentlichen mit den in Krems gewonnenen Erkenntnissen weitgehend übereinstimmen. Dies ist um so bedeutsamer, als bei der großen Zahl von weit über zweitausend erfaßten Mittelschülern die Gefahr ' irgendwelcher Zufallsergebnisse nicht besteht, wie sje im kleineren Rahmen durch besonders gelagerte Verhältnisse leichter vorkommen können.

Die Erfassung erfolgte nach folgenden acht Standesgruppen:

1. Akademikerfamilicn,

2. Lehrer, Offiziere, Maturanten,

3. kleine Beamte und Angestellte,

4. Arbeiter,

5. Unternehmer (Fabrikanten, Inhaber größerer Geschäfte oder Gaststätten,

6. Kleingewerbetreibende,

7. Bauern,

8. Landarbeiter.

Den Anteil dieser Gruppen an der Gesamtzahl der erfaßten höheren Schüler zeigt nun die folgende Tabelle. Zum Vergleich mit den für die Großstadt geltenden Zahlen dieser Aufstellung ist das entsprechende Ergebnis für das rein ländliche Gymnasium Freistadt daneben-

Linzer Mittelschulen Bundesgymn. Freistadt Standes- Anznnl d. Anteil in Anzahl d. Anteil In gruppe Bchüler Prozent 8chüler Prozent

1 401 17,5 25 14,6

2 422 18,5 19 11,1

3 . 641 27,9 45 26,5

4 248 10,8 12 8,1

5 227 9,8 9 5,2

6 258 11,2 35 20,5

7 93 4,1 23 13,4

8 6 0,2_1 0,6

Summe 2296 1ÖÖJÖ' 169 100,0

Zunächst fällt auf, daß der Anteil der Arbeiter, gemessen an ihrer zahlenmäßigen Stärke in der Industriestadt Linz, geringfügig ersdieint. Wir müssdn aber berücksichtigen, daß unter der betreffenden Rubrik nur ausgesprochene In d'u-striearbeiter erfaßt wurden und die Grenzen etwa zwischen Arbeiter und Angestellten heute immer mehr ineinander übergehen. Die beste Antwort auf die Frage nach den Aufstiegsmöglichkeiten der unteren Stände gibt uns wohl eine Zusammenfassung in zwei Gruppen, von denen die eine die Akademiker, Maturanten und Unternehmer, die andere Angestellte, Arbeiter und Kleingewerbetreibende umfaßt. Für Linz ergeben sich dabei folgende Zahlen:

Akademiker (Gruppe 1) 17,5%

Maturanten (Gruppe 2) 18 5%

Unlernehmer (Gruppe 5) 9,8%

Zusammen 45,8%

Angestellte (Gruppe 3) 27,9%

Arbeiter (Gruppe 4) 10,8%

Kleingewerbe (Gruppe 6) 11,2%

Zusammen 49,9%

\tfn Interesse ist auch der Unterschied wiflmen den einzelnen Schultypen. (Wir gebrauchen die Abkürzungen: Bundesgymnasium = BG; Bundesrealgymnasium ■=■ BRG; Bundesrealschule = BRS.) So beträgt zum Beispiel

der Anteil der Akademiker am BG Linz 22,2 Prozent, am BRG 21,1 Prozent, an der BRS 9,8 Prozent,

der Anteil der Arbeiter hingegen am BG 11,1 Prozent, am BRG 9,4 Prozent, an der BRS 16,4 Prozent.

Ganz an die Kremser Ergebnisse erinnert auch eine Gegenüberstellung der beiden staatlichen Realgymnasien für Knaben und Mädchen. Bei annähernd gleicher Schülerzahl ergab sich hiebei folgender Anteil in der „oberen“ und „u nteren“ Standesgruppe:

Knabenrealgymn. (Gruppe 1, 2,5) 42.3% „ (Gruppe 3, 4, 6) 53,5

Mädchenrealgymn. (Gruppe 1, 2, 5) 59,7% n (Gruppe 3, 4,6) 38,5%

Also nahezu eine völlige Umkehrung des Zahlenverhältnisses. Das Mädchenstudium gilt also noch in weit höherem Maße als Sache der besser situierten Stände als das Knabenstudium.

Aus diesen Zahlen geht hervor, daß trotz des relativen Überwiegens vor allem der Akademiker, Lehrer und Maturanten im Vergleich zur Bevölkerungszahl das Schlagwort, daß die österreichische Mittelschule ein Klasseninstitut der Reichen sei, bei weitem nicht in dem Maße Geltung hat, wie eine gewisse Propaganda behauptet. Dies gilt nicht nur für die Großstadt, sondern, wie das Zählungsergebnis von Freistadt zeigt, auch für die Landstädte. Verglichen mit Linz zeigt Freistadt, der wirtschaftlichen und sozialen Struktur der Kleinstadt entsprechend, einen wesentlich geringeren Prozentsatz an Akademikern; höheren Beamten, Angestellten und Arbeitern, dagegen einen bedeutend höheren Anteil der Kleingewerbe-treiberden' und Bauern. Damit sind wir neuerdings bei einer viel diskutierten Frage angelangt, bei der heute oft aufgestellten Behauptung nämlich, daß das „massenhafte“ Studium von Bauernsöhnen ein Hauptgrund des Landarbeitermangels sei. Wenn aber, wie die Statistik zeigt, selbst hier an der Freistädter Mittelschule, an der zwei „bauernfreundliche“ Faktoren (Gymnasialtyp und rein landwirtschaftliches Umland) zusammentreffen, der Anteil der Bauernkinder nur etwa 13 Prozent beträgt, während er “in Linz kaum ein Drittel dieser Zahl ausmacht, so ist die Unhaltbarkeit dieser Anschauung hiemit klar erwiesen.

Alles in allem gibt es tatsächlich nur einen Stand, der fast vollkommen von den Möglichkeiten höherer Bildung ausgeschlossen ist: der Stand der Landarbeiter, die an keiner einzigen Schule nur ein Prozent der Schüler stellen. Hier haben Reform-^ bestrebungen wohl vor allem einzusetzen.

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