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Dritte Generation

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Band 12 der Schriftenreihe des Unterrichtsministeriums gibt sich systemkonform („... Produktionssystem ..., das neben physischer vor allem intellektuelle I^istungsfähig-keit und psychische Belastbarkeit voraussetzt“), im Ton selbstgefällig („Die erste Generation der Bildungsplanung hat interessante mathematische Modelle hinterlassen, nachhaltige Wirkungen konnte sie nicht erzielen.“), in der Darstellungsweise gelegentlich mehr als simpel: „Die Bildungsplanung der dritten Generation vermeidet den grundlegenden Fehler der affektiven Betrachtung.“ Fußnote dazu: „Aus der affektiven Betrachtung resultieren unter Umständen Leistungs- und Intelligenzhemmungen.“

Sollte diese Feststellung selbstkritisch gemeint sein, so ist säe sicher nicht mehr aktuell, denn soweit aus der vorliegenden Schrift über „Bildungschancen der Bevölkerung in den Landbezirken, exemplarisch dargestellt an Hand der österreichischen Volksschuil-Standortkarten“ zu entnehmen, fühlen sich Österreichs Bildungsplaner neuerdings als exemplarische Realisten. Die Verfasser der Schrift, Dr. Karl Grohmamn und Dr. Evellne Hönigsperger, setzen programmatischen Forderungen, „die Ausgaben für Bildung und Ausbildung müßten gewaltig gesteigert werden und der prozentuelle Anteil der Bildungsausgaben am Gesamtbudget müßte ständig wachsen'“, geradezu staatsmännische Weisheit entgegen: „Der Bildungsauftrag ist unbegrenzt. Dieser an sich unbegrenzte Bildungsaufurag muß aber mit mehr oder minder engbegrenzten personellen, finanziellen und räumlichen Resourcen erfüllt werden. Damit stehen wir in der dritten Generation der Bildungsplanung.“

Im Kapitel über „Bildungsplanung der dritten Generation — orientiert am besonderen Recht auf Bildung“ wird konkret festgestellt, das Vorurteil, gute Schulen seien Eliteschulen und müßten daher hohe Repetentenquoten aufweisen, sei ein solches, und die Bildungsplanung der dritten Generation fordere „vehement die .besondere BUdiungschance', das heißt das der Leistungsfähigkeit, der Eignung und dem Leistungswillen adäquate Bildungsangebot“. Der Rest des Kapitels ist Phrase („Sie vermeidet den Fehler der isolierten Betrachtung. Die Bildungsplanung der dritten Generation weiß, daß alles alles beeinflußt und bemüht sich um eine möglichst vielseitige Erfassung und Behandlung des Problems.“) und Leerlauf („Die Bildungsplanung der dritten Generation arbeitet mit elektronischer Datenverarbeitung und sammelt Datenbestände von großer Vielseitigkeit und Genauigkeit. Die Bildungsplanung glaubt aber nicht an die Allmacht des Computers ...“).

Der Rest der Broschüre befaßt sich mit dem Erbe der Vergangenheit und besteht aus harten Fakten, deren Zusammenstellung und Interpretation freilich nicht eines starken Elementes von Improvisation entbehrt. Aber immerhin, diese Fakten sprechen. So kommen etwa in 16 Prozent aller Salzburger und in nicht weniger als 55,3 Prozent aller steirischen Gemeinden null Hochschüler auf 1000 Einwohner. 46 bur-genländische Gemeinden oder 14,37 Prozent haben keine eigene Volksschule und keinen dort ordentlich gemeldeten Studenten (der Studienort gilt tatsächlich immer als Zweitwohnsitz), damit haben 79,31 Prozent aller burgenländischen Gemeinden ohne eigene Volksschule auch keinen „eigenen“ Studenten. Noch überzeugender wären diese Angaben allerdings dann, wenn man auch die Einwohnerzahlen in die Statistik einbezogen hätte.

Daß die der Publikation beigegebenen Karten, in die Österreichs wenig gegliederte, sowie Volksschulen mit Abtedlungsunterricht eingetragen sind, tatsächlich Notstandskarten sind, wird auch dadurch bestätigt, daß 900 von 1000 Absolventen der Unterstufe allgemeinbildender höherer Schulen, 150 von 1000 gleichaltrigen Hauptschülern, aber nur ganzen fünf gleichaltrigen Volksschülern der 8. Klasse der Aufstieg in die Oberstufe der höheren Schule gelingt. Allerdings müßte hier wiederum zum Vergleich die Zahl jener Schüler angegeben werden, welche die kritisierten Dorfschulen schon als Zehnjährige verlassen haben, um an eine höhere Schule abzuwandern, ohne diese Vergleichszahl ist der Wert auch dieser Statistik stark vermindert.

Daß von 4060 Volksschulen in Österreich 1362 wenig gegliedert und damit wenig leistungsfähig sind und in nicht weniger als 3186 Volksschulen Kinder verschiedener Schulstufen in Klassen zusammengefaßt und von einem Lehrer gemeinsam unterrichtet werden, ist dabei schlimm genug, ein Schulentwicklungsprogramm tatsächlich überfällig.

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