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Die soziale Herkunft unserer Mittelschuljugend

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Mit vollem Recht stellte Univ.-Professor Dr. J. Dobretsberger, Graz, in seiner Untersuchung über „Die soziale Herkunft unserer Intelligenz“ („Die Furche“ Nr. 1, 4. Jänner 1947) fest, daß sich der Streit um die Frage, ob Bildung ein Klassenmonopol sei, in Österreich seit Jahrzehnten im luftleeren Raum bewegt habe, weil für seine fruchtbringende Austragung bisher die nötigen statistischen Grundlagen fehlten und auch bis heute nicht geschaffen worden sind.

Mit einer Untersuchung über die soziale Herkunft der Schüler und Schülerinnen an den drei wichtigsten Mittelschulen der Schulstadt Krems a. d. D. greife ich die Anregung des Grazer Gelehrten auf, um so bei den berufenen Stellen des Staates für die Erforschung “der Frage der „intelligentia“ auf statistischer Grundlage einen weiteren Anstoß zu geben.

Zum Vergleich mit den Ergebnissen Professor Dr. J. Dobretsbergers, für dessen Untersuchung die Studierenden an der Grazer Universität die Grundlage gebildet haben, übernehme ich seine Einteilung der Studierenden in acht Herkunftsklassen, die mit den schidit-typischen Denkinhalten der gewählten Standes- und Berufsgruppen übereinstimmen, auch für die Untersuchung über die soziale Herkunft der Kremser Mittelschuljugend.

Von der Gesamtheit der Mittelschüler und Mittelschülerinnen in Krems aus dem Sdiul-jahr 1946/47 (beziehungsweise von der Gesamtzahl der österreichischen Hörer der Universität Graz des Sommersemesters 1946) stammen aus: sÄ'in

Krems a. D. Uraz 1. Akademlkerfamillen .... 13% 34,6%

3. Lehrer-, Offiziers-, höhere Beamtenfamillen mit mindesten* Mittelschulbildung 18.3% 10,1%

3. Staats- u. Gemelndebeamte ohne höhere Bildung .... 13,4% 21,5%

4. Privatangestellte...... 12% 14,9%

5. Gewerbetreibende...... 21,5% 14,9%

6. Bauern........... 7,4% 7,1%

7. Arbeiter........... 14,1% 6,6%

8. Landarbeiter........ 0,3% 0,3%

Der Vergleich der beiden Untersuchungsergebnisse läßt für die Mittelschulen deutlich die soziale Verbreiterung in der Z u s a.m mensetzung der Studierenden erkennen. In die Augen springt freilich der gleichbleibende geringe Anteil der Mittelschüler aus dem Bauernstande. Dieser Umstand ist um so bemerkenswerter, als die Nähe der Schulstadl vielfach den täglichen Besuch der Schule mit Hilfe eigener oder fremder Verkehrsmittel zuließe. Die verschwindend geringe Anzahl der Schüler aus Landarbeiterfamilien unterstreicht die wirtschaftliche und soziale Not des ärmsten Standes in unserem Staate. Obwohl also etwa 30% der Gesamtbevölkerung Österreichs in der Land- und Forstwirtschaft tätig sind, beträgt der Anteil der Schüler aus Bauern- und Landarbeiterfamilien nur 7,7% der Kremser Mittelschuljugend.

Bemerkenswert und zugleich erfreulich erweist sich der Anstieg der Studierenden aus Arbeiterfamilien.

Nehmen sie unter den Studierenden der Grazer Universität zahlenmäßig nur die vorletzte, also die 7. Stelle, ein, so rücken \4 sie innerhalb der Mittelschuljugend bereits an die 3. Stelle vor (6,6% zu 14,1%). Die Akademikerfamilien, die, entsprechend der sozialen Verbreiterung, in der Zusammensetzung der Mittelschuljugend erst aH 5. Stelle stehen, stellen mit den Beamtenfamilien mit mindestens Mittelschulbildung und den Familien der Gewerbetreibenden kraft ihrer größeren wirtschaftlichen Stärke oder ihrer stärkeren Aufgeschlossenheit gegenüber den Bildungsmitteln gleich 40% der Mittelschuljugend, obwohl sie gegenüber der großen Masse der Arbeiter und Bauern nur einen verhältnismäßig bescheidenen Bruchteil der Gesamtbevölkerung ausmachen. Wie sehr aber der Besuch einer Mittelschule nicht unbedingt vorder finanziellen Stärke einer Familie abzuhängen braucht, sohdern in erster Linie auf ihrer Aufgeschlossenheit gegenüber der Schule und der durch sie vermittelten Bildung beruht, beweist der überaus hohe Anteil der Mittelschulkinder beiderlei Geschlechts, die aus den Familien der Pflichtschullehrer (Volksund Hauptschullehrer) stammen. Das meist bescheidene Einkommen und die oft große Entfernung vom Schulort legen solchen Familien oft große geldliche Opfer auf, wenn sie ihren Kindern das Mittelschulstudium zuteil werden lassen wollen. Obwohl die Familien der Pflichtschullehrer kaum 2% der Gesamtbevölkerung ausmachen dürften, stellen ihre Kinder allein 10,6% der Mittelschuljugend. Es ist dies ein sprechender Be-wei für die kulturbewußte und aufgeschlossene Haltung unseres Lehrerstandes.

Wie wichtig eine möglichst dichte Streuung von mittleren Lehranstalten für die Provinz ist, zeigt die Untersuchung nadi einer anderen Seite: Stammten 68% der Studierenden an der Grazer Universität aus der Universitätsstadt selbst, so zeigen die Untersuchungen für die Kremser Mittelschuljugend eine weitaus geringere Benachteiligung des flachen Landes: 51% der Mittelschuljugend stammen aus den drei Sdiwester-städten Krems, Stein und Mautern, während schon 49% aus den Märkten und Dörfern kommen; von den letzteren wohnen wieder 19,5% im Schulort, während 29,5% täglich von auswärts zur Schule fahren.

In sozialer Hinsicht aufschlußreich ist die Verteilung der Kremser Mittelschuljugend auf die einzelnen drei Mittelschulen: Gymnasium, Realschule und Mädchenrealgymnasium selbst.

Schüleranzahl u. entsprechender Hundensaiz

Männl. Mittelschul- w^.L

Es stammen aus lügend Jugend a) Gym- b) Real- c) M.-R. nasium schule Gymn.

1. Akademlkerfamllien . 32 21,2 18 7,3 27 13,9

2. Lehrer-, Offizier-, höh. Beamtenfam. mit mindestens Mittelschulbildung ..... 24 15.9 40 16,2 44 22,7

3. Staats, u. Gemeinde-beamte ohne höhere

Bildung........ 15 10 41 16,6 23 11,9

4. Privatangestellte . . .' 17 11,2 26 10,5 28 14,4

5. Gewerbetreibende ... 24 15,9 60 24,3 43 22,1

6. Bauern......... . 17 11,2 16 8,5 11 9,7

7. Arbeiter,?........ 22 14,8 44 17,8 18 9,3

8. Landarbeiter ...„„. . — — 2 0,8 — —

151 100 2?7~röÖ 194 'l00

Als Anhänger des humanistischen Bil-dungsideals schicken also die Akademiker ihre Kinder vor allem ins Gymnasium (Gymnasium: 21,2%, Realschule: 7,3%); auch die bäuerliche Bevölkerung zieht das Gymnasium der Realsdiule vor, weil für sie di.e erstere Schulgattung schlechthin d i e Mittelschule darstellt (Gymnasium: 11,2%; Realschule nur 6,5%). Die Gewerbetreibenden, Arbeiter und die, letzteren finanziell vielfach nahestehenden kleinen Staats- und Gemeindebeamten geben, wahrscheinlich aus unbewußt wirkenden sozialen oder praktischen Gründen, der Realschule den Vorrang. Ja, an der Realschule nehmen die Kinder der Arbeiter sogar die 2. Stelle unter den Studierenden ein (17,8%).,

So wie für die Universität Graz umfaßt die Zahl der weiblichen Studierenden nur ein Drittel (32,8%) der gesamten Kremser Mittelschuljugend. Für Mädchen wird, gleich dem Hochschulstudium, auch das Mittel-schulstudium trotz der unverkennbaren sozialen Verbreiterung noch als ein Luxus betrachtet, den sich die wirtschaftlich schwächer gestellten Einkommensgruppen nicht leisten können, vielfach aber auch nicht leisten wollen.

So aufschlußreich auch die Untersuchungsergebnisse über die Schüler und Schülerinnen der Kremser Mittelschulen erscheinen, weil sie wahrscheinlich die ungefähre schichtenmäßige Herkunft der Mittelschuljugend in der Mehrzahl der kleinen Mittelsdiulstädte der österreichisdien Bundesländer erkennen lassen, so werden doch erst gründliche statistisdie Erhebungen, die sich auf sämtliche allgemeine und Berufsmittelschulen Österreichs erstrecken, ein wahres Bild von der sozialen Herkunft unserer Intelligenz vermitteln können; denn anders dürfte 'die schichtenmäßige Gliederung der Mittelschuljigend in der Bundeshauptstadt Wien, anaers auch in den Landeshauptstädten Graz, Linz, Salzburg, Innsbruck und Klagenfurt sein (vermutlich stärkeres Hervortreten der Studierenden aus dem Arbeiterstande und noch stärkeres Zurücktreten derjenigen aus dem Bauern-und Landarbeiterstande.).

Die Wichtigkeit dieser Forschungen für die in unserer Zeit so dringende Heranbildung einer Elite und die besondere Art der Vorarbeiten für die Schaffung der sta-tistisdien Grundlagen machen die Mitarbeit der obersten Unterrichtsbehörde unbedingt notwendig. Sie fällt um so leiditer, als sie mit nicht nennenswerten Kosten ver-bundei\ ist- An jeder österreichischen Mittelschule fände sich ein Lehrer, der aus reiner Hingabe zur Sache die notwendigen kurzfristigen statistischen Vorarbeiten durchführte und die Ergebnisse auf einem wohldurchdachten statistischen Blatte eintrüge, das dann die Grundlage für die zusammenfassende Forsdaungsarbeit bilden würde.

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