7122693-1996_43_17.jpg
Digital In Arbeit

Hoffnung für „Bananenregion”

19451960198020002020

Sopron/Ödenburg wird die heimliche Hauptstadt des Burgenlandes genannt. Die benachteiligte Stadt ist aus dem Dornröschenschlaf erwacht.

19451960198020002020

Sopron/Ödenburg wird die heimliche Hauptstadt des Burgenlandes genannt. Die benachteiligte Stadt ist aus dem Dornröschenschlaf erwacht.

Werbung
Werbung
Werbung

DIEFURCHE: Welche Stellung hat heute Sopron unter Ungarns größeren Städten*

Bürgermeister Szabolcs Gimesi: In Ungarn gibt es die Komitatsstädte mit besonderen Rechten und vier Städte, darunter Sopron, die keine Komitatsstädte sind, aber die gleichen Rechte haben. Das stammt noch aus der Rechtsstellung als einer königlichen Freistadt - wie etwa Rust oder Eisenstadt. Wir gehören nicht zum Komitat, sondern unterstehen direkt der Regierung. Nun möchten wir diese Rechtsstellung mit Inhalt füllen, besonders mit wirtschaftlichem Inhalt. Eigentlich wollten wir hier eine Zollfreizone errichten, das hat uns die Regierung aber nicht zugestanden; in Östungarn, an der ukrainischen Grenze, wird jetzt eine solche Zone eingerichtet.

DIEFURCHE: Sopron lag durch die Abtrennung von WestungarnlBurgenland in einer ungünstigen Ecke. Während der 40jährigen kommunistischen Ära gab es kaum Entwicklungsmöglichkeiten, ins Grenzgebiet durfte man nur mit besonderer Erlaubnis kommen

G im esi: Es war damals die Überlegung, daß Sopron wegen der Grenznähe kein Wirtschaftszentrum sein sollte. Eine Wirtschaftspotenz in Grenznähe sahman als gefährlich an. In der Regionsstruktur der sogenannten stalinistischen Demokratie wollte man unsere Anziehungskraft als Erholungs- und Fremdenverkehrszentrum nützen. Aber erst in den 80er Jahren hat man begonnen, die Strukturen elastischer zu gestalten. Und seit 1989 ist auch der Neusiedlersee auf ungarischer Seite ein freies Gebiet. Seither können wir diese Anziehungskraft besser nutzen. Unsere historische Innenstadt, auch die schöne Umgebung, bieten Möglichkeiten zum Tourismus; wir wollen den Qualitätstourismus in Schwung bringen.

ikFurche; Den Emkaufstourinvus aus Wien, Niederösterreich und dem Burgenland gibt es ja schon seit Jahren

GlMESI: Qualitätstourismus heißt nicht Einkaufstourismus, sondern Konferenz-, Festival- und Naturtourismus. Wir planen ein Radwanderwegnetz in unserer Umgebung bis zum Neusiedlersee und nach Süden entlang der ehemaligen Grenzstraße, wo der Eiserne Vorhang war. Das kostet riesig viel Geld. Zum Konferenztourismus: Wir haben jetzt fünf ziemlich gute Hotels, sechs, sieben sollen noch dazukommen. Was noch fehlt, ist ein Konferenzzentrum. Wir planen, daß aus unserem Franz-Liszt-Kulturzentrum, in dem sich jetzt die Stadtbibliothek befindet, ein Konferenzzentrum wird. Das schafft die Stadt allein aber nicht, das müssen wir mit Konzessionsnehmern machen, einem Konsortium, das auch international besetzt sein kann. Das ist in Planung, beworben wird es noch nicht. Der Gemeinderat ist unter meiner Führung gerade dabei, ein Zukunftsbild unserer Stadt zu entwerfen, zu Jahresende werden wir damit fertig sein, dann können wir konkrete Zielsetzungen festlegen.

DIKFurchK: Hat Sopron genug Finanzkraft, um das alles zu verwirklichen?

GlMESI: Sehr große Schritte können wir nicht tun. Unser größtes finanzielles Problem ist, daß wir ein großes Netz an Instituten, Kindergärten, Schulen, Mittelschulen und ein städtisches Krankenhaus haben, das es zu erhalten gilt. Sopron ist eine Schulstadt mit ungefähr 10.000 Schülern. Für dieses Netz verwenden wir 75 Prozent unseres Rudgets. Mit österreichischer Bundeshilfe haben wir das Krankenhaus ganz modern umgebaut und ausgestaltet.

DIEFURCHE: In welchem Ausmaß soll sich der Tourismus hier entwickeln' GlMESl: Konkrete Zahlen haben wir leider nicht, seit der Wende gab es kei -ne organisierte Statistik. Vor 1989 hatten wir Zahlen, jetzt nach der großen Privatisierung fehlen solche. Unlängst jedenfalls konnten wir an der Grenze den fünfmillionsten Besucher für Sopron in diesem Jahr begrüßen. Da ist alles eingerechnet, auch der Einkaufstourismus und der ungarische Tourismus. Was Nächtigungen betrifft, so bleibt der Gast in Sopron durchschnittlich eineinhalb Tage, das ist nicht sehr viel. Insgesamt haben wir etwa bis zu 300.000 Nächtigungen im Jahr, das ist wieder nicht wenig. Aber dazu kommt ein riesiger Verkehr. Uns wäre lieber, der Gast bliebe mehrere Tage.

DIEFlJRCHK: Wie gestaltet sich die Zusammenarbeit mit den angrenzenden burgenländischen Regionen? GlMKSI: Die Zusammenarbeit auf kul-turellem Gebiet funktioniert momentan besonders gut, die auf wirtschaftlichem Gebiet noch nicht. Der Arbeiterverkehr ist auch noch nicht entwickelt, es gibt 2.000 Soproner Auspendler ins nördliche Burgenland oder nach Wiener Neustadt. Wie im Burgenland planen auch wir hier eine Industriezone. Dafür haben wir 50 Hektar städtisches Gebiet zur Verfügung gestellt, da gibt es jetzt schon eine österreichisch-ungarische Gesellschaft und ein Shopping-Center. Es sieht so aus, daß wir mit der Industriezone Siegendorf im Norden und jener von Deutschkreutz im Süden eine eigene Begion bilden werden, wir nennen sie die Bananenzone. Wir haben mit Interessierten in Siegen-dorf und in Deutschkreutz schon mehrmals darüber gesprochen, es geht Schritt um Schritt nach vorne. Das Problem ist aber, daß das Burgenland EU-Außengrenze ist.

DIEFüRCHE: Wird hier mental wieder eine neue Mauer errichtet? GlMESI: Das Problem besteht auf beiden Seiten. Für Schengen ist Osterreich nicht verantwortlich. Aber unsere Begierung reagiert darauf und sagt, dann werden auch wir strenger kontrollieren und die Zollregelungen nicht mehr so elastisch handhaben wie bisher. Natürlich will die ungarisehe Regierung möglichst viele ausländische Unternehmer hierher holen, aber momentan geht das ein bißchen langsamer als 1994/95. Es wäre gut, wenn auch wir zur EU kämen. Aber unsere Wirtschaft ist darauf noch nicht vorbereitet. Wir brauchen, meiner Meinung nach, noch fünf bis sechs Jahre mit der Privatisierung, damit unsere Unternehmer als Partner bestehen können.

DIEFURCHE: Den Einkaufstourismus konnte nicht einmal der Eiserne Vjr-hang aufhalten Schon damals fuhren Burgenländer zum billigeren Zahnarzt oder Friseur nach Sopron und brachten von hier auch Lebensmittel mit Der Kaufkraftabfluß ist enorm, klagt man in Osterreich Wümcht Sopron das?

GlMESl: Eigentlich braucht Sopron das. Aber heuer hatten wir einen Rückgang von etwa 20 Prozent zu verzeichnen. Einkaufstourismus bedeutet für uns Arbeitsplätze, Kaufkraft und Kommunalsteuer, Fremdenverkehrs- und Gewerbesteuer. Sopron finanziert sich zu 50 Prozent selbst, der Rest kommt vom staatlichen Finanzausgleich - bei uns gibt es ein sehr zen-tralistisches Steuersystem; in anderen Städten ist das Verhältnis zwei Drittel Staat, ein Drittel eigenes Einkommen. Das Problem ist, daß wir durch den Einkaufstourismus mittlerweile zu den teuersten Städten Ungarns gehören. Bei uns kostet der Friseur eineinhalb soviel wie in Györ oder Päpa.

Für Pensionisten oder Großfamilien, die hier leben, ist das problematisch. Daher haben wir ein System von Billigläden und ein Bonsystem für unsere Leute entwickelt. Das hat nicht funktioniert. Unsere Leute haben dann mit ihren Bons billig riesige Mengen eingekauft, und das ist dann in den Kofferraum eines österreichischen Bekannten gewandert. Das ist nicht leicht lösbar.

DIEFURCHE: Sopron gilt als die heimliche Hauptstadt des Burgenlandes. Als was verstehen sich die Soproner selbst? GlMESl: Es gibt einen 75jährigen Zusammenhalt. Von 1990 bis 1994 war ich stellvertretender Direktor des ungarischen Teils des Nationalparks Neusiedlersee. Als solcher habe ich an einem Symposion in Jennersdorf über den pannonischen Lebensraum und seine Bausteine teilgenommen. Da habe ich von österreichischer Seite gehört, wenn die Unterschiede nivelliert werden, dann wird wieder die alte Agglomeration herrschen, dann werden die großen Städte an der ungarischen Grenze - Körmend, St. Gotthard, Szombathely, Sopron und Mosonmagyarovar - wieder so funktionieren wie zur Monarchiezeit, als das Burgenland zu dieser Agglomeration gehörte.

Es wird funktionieren, meiner Meinung nach - irgendwann. Wir haben im Vorjahr bei einer Tagung in

St. Pölten auch überlegt, wie die Zusammenarbeit zwischen Wien und seinem Städtegürtel - St. Pölten, Krems, Wiener Neustadt, Eisenstadt, Sopron, Bratislava — aussehen könnte. Wir wollen nicht gegeneinander arbeiten, obwohl es Gebiete gibt, wo man konkurrieren muß. Aber kulturell soll Eisenstadt das Haydn-Zen-trum bleiben, Sopron kann Lisztstadt sein. Wir wollen keine Betriebe von anderen Städten wegnehmen, aber auch eine wirtschaftliche Bolle spielen. Auch die touristischen Möglichkeiten könnte man koordinieren, siehe Nationalpark Neusiedlersee. Ich bin der Meinung, daß die wertvollsten Teile dieses Parks auf unserer Seite liegen, nicht weil wir besser sind, sondern weil durch den Eisernen Vorhang dieses Gebiet automatisch besser geschützt war.

DIEFURCHE: Wie istdas Verhältnis zwischen Ungarn und deutschsprachiger Minderheit im heutigen Sopron3 GlMESl: In Sopron existiert eine Selbstverwaltung für die deutschsprachige Minderheit, die auf die Minderheitengesetze der ungarischen Re-gierung nach 1921 zurückgeht. 1946 wurden über 6.000 deutschsprachige Soproner vertrieben. Es sind aber auch welche hiergeblieben. Bei den nachfolgenden Volkszählungen, die letzte war 1980, hatten die Leute Angst, sich als deutschsprachig zu deklarieren. Ich habe das selbst miterlebt, die alte Oma konnte fast kein Wort ungarisch, hat aber trotzdem gesagt: ich bin Ungarin, magyarvagyok Jetzt im Wahlprozeß haben 14.000 für die Selbstverwaltung der Deutschsprachigen gestimmt, aber da haben viele aus Sympathie mitgemacht. Nach unseren Schätzungen gibt es heute ungefähr 5.000 Deutschsprachige in Sopron, etwa zehn Prozent der Einwohnerschaft. Der Leiter der Selbstverwaltung, jetzt Herr Hirschler, der frühere Bürgermeister, ist von Rechts wegen Mitglied im Gemeinderat.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung