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Zwei entscheidende Fehler

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In Wien hat sich der Entschluß zum Bau einer U-Bahn schrittweise aus der Idee der Fußgängerpassage entwickelt. Nach der Opernpassage, dem Archetyp eines Wiener Verkehrsbauwerks, brachte die Schottenpassage r den Fortschritt einer unterirdischen Endstation. Am Südtirolerplatz und schließlich auf der „2er- Linie“ entschloß man sich zur Tieflegung ganzer Strecken, wandte aber immer dem einzelnen Punkt die Aufmerksamkeit zu und hielt vor allem an der Institution der Straßenbahn fest, die dem Wiener in Gestalt des Schaffners seine Obrig keit zuteiit, an der er sich reiben kann.

So überraschend der letzte Entschluß war, so ist doch. Wien bis zur Zeit Roland Rainers ,nię ..ph?1 . °ffir zielte U-Bahn-Planung gewesen. Noch. Kari Heinrich Brunner, Wie- ner Stadtplaner von 1948 bis 1951, hat an einem Projekt aus den Jahren 1938/39, das drei Linien umfaßte, weitergearbeitet.

Als Professor Rainer berufen wurde, war das Problem bereits verpolitisiert: sowohl ÖVP wie KPÖ hatten Vorschläge für die zweite Ebene gemacht; die Rathausmehrheit wollte davon nichts wissen. Der Verzicht auf eine U-Bahn entsprach den städtebaulichen Vorstellungen Rainers, die sich weder nach oben noch nach unten weit vom gewachsenen Boden entfernten.

Ist Kritik am U-Bahn-Netz möglich?

Man soll sich von der Wissenschaftlichkeit děr Planung und dem Einsatz von Computern nicht ins Bockshorn jagen lassen. Wer glaubt, daß es unmöglich sei, ohne den gleichen Aufwand einen Netzentwurf zu beurteilen, soll sich vor Augen halten, daß er dann auch ein in Betrieb befindliches Netz nicht beurteilen könnte — daß also Gültiges über einen Netzentwurf auszusagen nur dem möglich wäre, der das Netz entwirft oder betreibt, kurz: dem Magistrat.

Da der Computer kein U-Bahn- Netz liefern, sondern nur Netzentwürfe, also Annahmen, überprüfen kann, sollen in den folgenden Überlegungen Mängel in diesen Annahmen dargelegt werden, zu denen Alternativen offenbar gar nicht überprüft wurden.

Die vorliegende Planung muß zwangsläufig die schon errichtete „Ustraba“ -Trasse der 2er-Linie übernehmen. Die U-Bahn-Tüchtigkeit dieser Linie ist durch die geringen Haltestellenäbstände und die zu kurzen Perrons beeinträchtigt. Sie sollte ursprünglich nur Platz für eine oberirdische Autostraße schaffen; für eine den Ring entlastende „Tangente“ an die Innenstadt. Für ein Massenverkehrsmittel in zweiter Ebene ist aber der Begriff „Tangente“ sinnlos; die zweite Ebene soll ja ermöglichen, die Ballungsgebiete direkt zu unterfahren. Dieses Handikap wird auch nicht durch eine besondere Aufschließungsleistung der 2er-Linie gemildert; ihr Einzugsgebiet weist weder genügend Einwohner noch genügend Beschäftigte auf.

Das geplante Einbiegen der 2er- Linie vom Landesgericht zum Schottenring ist ein Kompromiß, der durch die Lage des Verkehrsbauwerks am Schottentor bedingt ist (das sonst verwaist bliebe), aber die 2er-Linie doch nicht zu einem entscheidenden Gewinn für die Innenstadt machen kann.

Die zweite geplante Verlängerung der 2er-Linie nach der Nußdorferstraße ist aber noch weniger befriedigend. Sie führt plötzlich das Element der Diagonale in das System ein und kreuzt zwei Radiallinien schräg, ohne daß In diesem Gebiet (Allgemeines Krankenhaus) ein besonderer Bedarf am Angebot mehrerer Linien bestünde.

Viel oder wenig Kreuzungspunkte?

Wenn wir davon ausgehen, daß das U-Bahn-Netz im wesentlichen aus zur Innenstadt führenden Radiallinien bestehen soll — was auch die vorliegende Planung nicht bestreitet —, so kommt es im äußeren Bereich darauf an, die günstigsten Radien zu finden, in der Innenstadt dagegen darauf, diese Radien zu verflechten — und zwar so, daß an möglichst vielen Punkten mehrere Linien angeboten werden. Deshalb hat schon Brunner die Aufschließung der Stadt in einem Dreieck vorgeschlagen (Stephansplatz—Karlsplatz —Schottentor); bei dem vorliegenden, viel engmaschigeren Netz würde sich trotz des Vorhandenseins der 2er- Linie ebenfalls ein (kleineres) Dreieck in der Innenstadt anbieten.

Statt dessen ist in der Innenstadt nur ein einziger Kreuzungspunkt (der Stephansplatz) vorgesehen. Es ist klar, daß dieser Punkt damit zu der U-Bahn-Station der Innenstadt würde. Der Fußgängerverkehr der bisher vom Rand oder mehr oder weniger homogen durch Autobusse bedienten City würde dadurch radikal auf einen Punkt zentriert.

Es ist dieser Vorschlag aber be zeichnend für die noch immer vorherrschende punktuelle Denkweise, die immer dem System den Höhepunkt des einzelnen „Verkehrsbauwerkes“ vorzieht, um so mehr, wenn sich darunter ein repräsentativer Innenraum vorstellen läßt.

Die Verbindung dieser Prachtstation mit einer obligaten Fußgängerpassage unter dem Stephans- oder auch nur dem Stock-im-Eisen-Platz ist gar nicht entschieden genug abzulehnen. Die Perspektive, die der gotische Turm aus dem Aufgang der daneben befindlichen — pardon — Herrentoilette bietet, ist gewiß interessant, aber man soll sie nicht jedermann aufzwingen. Genug der Passagen! Hier ist endgültig der Punkt erreicht, wo das Auto unter die Oberfläche gehört!

Im Gebiet der Mariahilferstraße dagegen gähnt ein weißer Fleck!

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