Besuch im Milchparadies

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Dresden weist mehrere wenig bekannte Sehenswürdigkeiten auf, eine davon ist das Lokal der Gebrüder Pfund, ein originelles Keramik-Bilderbuch.

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Dresden weist mehrere wenig bekannte Sehenswürdigkeiten auf, eine davon ist das Lokal der Gebrüder Pfund, ein originelles Keramik-Bilderbuch.

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Dresden: Zwinger, Semper-Oper, Grünes Gewölbe, Schloßkirche und die erstaunlich schnell wachsende Frauenkirche, die nach der Zerstörung von 1945 nun doch wieder aufgebaut wird. Das war's? Gewiß, es gibt noch das Stadtschloß, die Brühlsche Terrasse, das Taschenberg-Palais. Und dann? Der Blick über die Elbe. Am andern Ende der Augustus-Brücke der goldstrotzende Reiter. August der Starke ist stärker vergoldet als der Johann Strauß im Wiener Stadtpark. Neustädter Markt heißt der Platz, auf dem der Reiter steht.

Und dahinter lauter Plattenbauten und Verfall? Keineswegs. Dahinter finden sich einige Punkte, die niemand missen möchte, der ernsthaft an der Kulturgeschichte dieser Stadt Anteil nimmt. Das Kügelgen-Haus, heute (über einem soliden Gasthaus) Museum der Frühromantik. Hier wohnte der Maler Gerhard Kügelgen, dessen Sohn Wilhelm die "Jugenderinnerungen eines alten Mannes" schrieb, ein Buch, das früher in keinem gutbürgerlichen Bücherschrank fehlte und auch heute noch geistreiches Vergnügen bereiten kann. Hier, in diesen Stübchen, waren Goethe und Kleist zu Gast, traf man Theodor Körners Vater Christian Gottfried, Caspar David Friedrich und viele andere Prominenz jener Zeit. Es ist in seiner unaufdringlichen Kultiviertheit vielleicht das berührendste Museum von Dresden.

In der Neustadt, in der Königsbrückerstraße, weist eine schlichte Gedenktafel Nr. 66 als Geburtshaus Erich Kästners aus. Davon wird man im nächsten Jahr, zum 100. Geburtstag, noch mehr hören. Und dann, in der eher unwirtlichen Bautzener Straße, die große Überraschung: Dresdner Molkerei Gebrüder Pfund. Hoch oben auf der Fassade steht nur in großen Lettern: "Cafe Pfund's Restaurant". Weiter unten wird uns "der schönste Milchladen der Welt" vorgestellt. Wahrhaftig, es ist nicht übertrieben!

Es war ein riesiges Unternehmen, das aus einem kleinen Laden entstanden war. Die Lieferung von Milch in die wachsende Großstadt war ein Problem: ohne Kühlung, mit mangelhafter Hygiene auf Pferdewagen. Paul Gustav Leander Pfund brachte anfangs die Kühe in die Stadt, ließ sie vor den Augen der Verbraucher melken. Aber er behielt die Entwicklung im Auge, schaffte die neuesten Maschinen an, verkürzte die Transportwege und mußte die Kühe nicht mehr "hautnah" halten. Wer wußte Anno 1900, was pasteurisierte Milch ist? Der Pfund.

Als Nebenprodukte gab es Kindernahrung und Milchseife für die zarte Haut. Käse, Joghurt, Kondensmilch ... Nach 50 Jahren nahm der Hauptbetrieb 14.000 Quadratmeter ein. Davon und von der weiteren, nicht immer glücklichen Entwicklung sollte man wissen, wenn man den Laden betritt. Er ist nämlich 1880 nur als Aushängeschild, als Lockmittel gemeint gewesen. Nach langer Vernachlässigung ist er jetzt auf Hochglanz. Seinerzeit war es für die Firma Villeroy & Boch wohl eine Prestige-Sache, in enger Zusammenarbeit mit Dresdner Künstlern hier ein Keramik-Bilderbuch zu schaffen.

Da werden nach alter Vätersitte ganze Produktionsvorgänge von kleinen nackten Putten besorgt: Abfüllen, Transportieren der Milch. Die Kuh, die sich verwundert nach einem kleinen Mädchen umdreht, ist genau so lebensecht, wie die Katzen, Hasen, Vögel, die mit den Putten spielen. Keine Fläche an den Wänden, an den Verkaufspulten, an den Decken, die nicht mit Grotesk-Malerei bedeckt ist, wie sie der große Gottfried Semper im Innern seines Opernbaues wiederbelebt hat. Dazwischen heraldische Symbole, Früchte, Pflanzen.

Ganze Touristen-Gruppen kehren ein, lassen sich aus einer Zapfsäule frische Milch (oder Buttermilch) abfüllen. Ein sanfter, einladender Käsegeruch lenkt den Blick auf die Fülle des internationalen Angebots. Aber man muß den Käse nicht mit Milch konsumieren. Es gibt auch Wein zu kaufen. Und im Obergeschoß kann man sich Speisen und Getränke nach Wunsch servieren lassen. Wenn man Platz findet.

Allem Anschein nach ist aber die Milch am gefragtesten. Hier gibt es keine Absatz-Probleme, hier wird vorgeführt, wie sich Milch und Milchprodukte an den Käufer bringen lassen. Mit Kunst! Aber das hat der Pfunds-Sohn Kurt vielleicht gar nicht gemeint, als er seine Dissertation über "Die Versorgung großer Städte mit Milch" schrieb. Damals war das noch ein Problem. Aber lösbar.

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