Ein Möglichkeits- Mensch

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Völker Schlöndorff, deutsche Regie-Legende, hat seine Autobiografie verfasst. Im FURCHE-Gespräch erzählt er unter anderem, wie er die Zeit dazu fand.

Volker Schlöndorff hat seine Autobiografie vorgelegt. Wie im Zeitraffer zieht darin ein halbes Jahrhundert Lebens- und Filmgeschichte vorüber. Für jeden Filmliebhaber eine absolute Pflichtlektüre.

Die Furche: Herr Schlöndorff, da arbeiten Sie fast sieben Jahre lang an den Vorbereitungen zur Verfilmung des Romans "Päpstin", und dann werden Sie über Nacht von der Produktionsfirma hinausgeworfen …

Volker Schlöndorff: Durch ein Interview in den Medien habe ich offensichtlich eine Polemik über die Praxis der Amphibienproduktionen ausgelöst. Das sind großangelegte Zweiteiler fürs Fernsehen, die aber auch kinotauglich sein sollen. Das heißt im Klartext, man fertigt von demselben Stoff eine reduzierte Kinoversion und preist die breite Fernsehfassung als "Directors Cut" an. Erstens bringt ein solches Gebaren die Ästhetik der Leinwand und des Bildschirms unheilvoll durcheinander - und zweitens, wer soll da noch für zehn Euro ins Kino gehen, wenn er sich den Film ein halbes Jahr später in der aufwändigeren Patschenkinoversion anschauen kann? Ich wurde als geschäftsschädigend gekündigt, weil ich damit die Finanzierungsmöglichkeiten für unser Projekt untergraben hätte. Dafür habe ich jetzt endlich Zeit gefunden, meine Biografie niederzuschreiben.

Die Furche: Die hat 466 Seiten, und Sie entwickeln beim Erzählen einen Sog, dass man das Buch nicht mehr aus der Hand legen kann. Sie sind ein politisch bewegter Mensch, haben Familie, halten Vorträge und unterrichten, inszenieren im Theater und bereiten oft mehrere Filmprojekte gleichzeitig vor. Wie kann man das alles in einem einzigen Leben unterbringen?

Schlöndorff: Das ist nicht das Problem. Das Problem sind vielmehr diejenigen Dinge, die man in seinem Leben nicht untergebracht, verabsäumt hat. Wie konnte ich zum Beispiel jenes wunderbare Latina-Mädchen, das ich mir zu den Aufnahmen zum "Zögling Törless" aus Mexiko mitgenommen hatte, wieder nach Hause zurückschicken, anstatt sie zu heiraten? Oder weshalb habe ich den legasthenischen Jungen, dem ich in Louisiana zu einem Collage-Stipendium verholfen habe, nicht zu mir nach Europa geholt, wo der doch so sehr eine Vaterfigur gebraucht hätte?

Die Furche: Ein Thema im Buch ist "Deutschland im Herbst" - nicht nur der Titel eines 1976 im Kollektiv gedrehten Films, bei dem Sie einer der Federführenden waren, sondern Benennung eines dunklen Kapitels deutscher Geschichte.

Schlöndorff: Das ist damals zwischen Kommunenleben, Frauenemanzipation, Umweltbewegung, Notverordnungen und Vietnamdemonstrationen eine komplizierte Ära der Politisierung aller Lager gewesen. Meine damalige Frau Margarethe von Trotta und ich haben ja bereits die Gefangenen in den Haftanstalten besucht, als die Entwicklung zu der Radikalität, die die RAF dann entwickelt hat, noch gar nicht absehbar war. Als Dank haben wir uns von unseren "Schützlingen" als Scheißliberale beschimpfen lassen. Dialog hat es mit denen nie gegeben - nicht einmal mit Inge Viet, über deren Geschichte wir doch einen ganzen Film ("Die Stille vor dem Schuss") gedreht haben.

Die Furche: 1985 geraten Sie in den USA in eine große persönliche Krise - da werden Sie unverhofft von Wim Wenders und Werner Herzog besucht. Da finden sich also die wichtigsten Exponenten des deutschen Autorenfilms - es fehlen nur noch Fassbinder, der schon tot ist, und der Amerika eher abgeneigte Kluge - geschlossen in der Midlife Crisis wieder und lecken sich die Wunden, trotzdem sie bereits Filmgeschichte geschrieben haben.

Schlöndorff: Ich war damals 47, lebte in New York, befand mich in einem tiefen Tal. Karoline hatte mich soeben Richtung München verlassen. Margarethe war irgendwie von mir verlassen worden. Inmitten eines halben Dutzends von Projekten bin ich arbeitslos gewesen. Und wie jeder brave Amerikaner reagierte ich auf meine Misere mit einem "Shrink", so nennen sie drüben ihren Analytiker. Dieser Dr. Mallard ist mir zwar eine sympathische Stütze gewesen, hat mir jedoch nicht wirklich helfen können. Da läutet das Telefon, und "out of the blue" melden sich am selben Tag Wim Wenders und Werner Herzog. Ich lade sie in meinen Loft in der Bleeker Street ein und koche ihnen das beste Ossobuco, dessen ich fähig bin. Es stellt sich heraus, dass es ihnen genauso beschissen geht wie mir: Alle drei sind wir von einer tiefen Ratlosigkeit befallen, wie's in unseren Leben weitergehen soll. Das war ein kurzer Augenblick der Selbsterkenntnis in den von den anderen vorgehaltenen Spiegeln.

Die Furche: 1989 sind Sie nach Europa zurückgekehrt und haben die Leitung von Babelsberg, dem damals größten europäischen Studiokomplex, übernommen. Was hat Sie daran gereizt, sich als Supermanager in die Schlacht um ein marodes Unternehmen mit 710 Angestellten zu werfen, das die DDR übriggelassen hat?

Schlöndorff: In jenem Lebensmoment war ich nach dem "Homo Faber" ziemlich ausgebrannt. Da ist in Berlin die Mauer gefallen und ich sagte mir, bei diesem epochalen Ereignis kannst du nicht fernbleiben. Da kam dann das Angebot genau zum richtigen Zeitpunkt. Freilich erwiesen sich die sechs Jahre Babelsberg als nicht gerade förderlich für die eigene Filmarbeit. Aber abgesehen davon, dass ich in dieser Zeit als Executive Producer etwa 25 Filme produziert habe, konnte ich jede Menge Erfahrung in der Zusammenarbeit mit ostdeutschen Arbeitern und Angestellten sammeln. Was das System im Namen der Utopie mit diesen Menschen angerichtet hat, wie denen in all den Jahren das Rückgrat gebrochen worden ist, das tagtäglich mitzuerleben war schon unglaublich!

Die Furche: Kritiker haben Sie immer als "soliden Handwerker für das Bildungsbürgertum", als "gediegenen Literaturverfilmer, der in seinem Werk selber nicht vorkommt", hingestellt.

Schlöndorff: Natürlich ärgert mich das. Aber anlässlich meiner Biografie ist jetzt doch so manchem klargeworden, dass meine Filme wohl einiges mit mir zu tun haben. Durch das Buch habe ich mich ja zum ersten Mal selber in den Vordergrund gestellt, und mehr noch als das Schreiben hat mir das öffentliche Vorlesen vor Augen geführt, wie man sich für die Figur, die da entsteht, mehr und mehr verantwortlich fühlt. Das "Ich" darin wird immer mehr zu einem "Er" und damit graduell zu einer Kunstfigur. Man gerät dann allzu leicht in ein Spiel mit Identitäten, und weil ich frei nach Musil ein "Möglichkeitsmensch" bin, laufe ich Gefahr, mich nicht nur auf eine von solchen möglichen Identitäten zu begrenzen.

Licht, Schatten und Bewegung - Mein Leben und meine Filme

Von Volker Schlöndorff. Hanser Verlag,

München 2008. 470 S., geb. € 25,60

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