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Kreta im Juli 98. Heuer hat es mich wie mit einem Gummibandl hierher gezogen. Hierher auf die Insel Kreta. Ich hab mir so gewünscht, den Sonnenaufgang wieder zu erleben, weil das ein besonders faszinierendes Schauspiel ist. Wenn pünktlich um 6 Uhr10, bei uns zu Hause ist es eine Stunde früher, der rotglühende Feuerball hinter den Bergen auftaucht und sein Licht über das Meer gießt, dann bleibt mir vor Erregung und Freude für Sekunden die Luft weg. Und eine Präzision ist das, pünktlich genau seit Tausenden Jahren.

Also wer da nicht an Gott glaubt, der muß ein Mensch ohne Gefühl und Phantasie, vielleicht aber auch Physiker sein. Das will nicht heißen, daß Physiker nicht an Gott glauben, aber die Herrschaften können alles berechnen, und so werden höhere Mächte nicht als Erklärung benötigt. Mir, dem einfachen, mundoffenhaltenden Beobachter, bleibt nur Staunen, Denken, Danken und Glauben.

Zwei Stunden von zu Hause Flugzeit und man taucht nicht nur in ein seidenweiches Meer, sondern auch in eine andere Welt. Der alte, stolze Mann in kretischer Tracht, das schwarze Tuch um den Kopf, der seine Lämmer über die kargen Höhen treibt und mit einer Bewegung verbietet, fotografiert zu werden. Ein Hirte mit dem Stolz des freien Mannes. Still geht er seiner Wege über sein Land. Denkt er an die Massaker der Türken, der Deutschen und der Offiziersjunta? Kennt er die Bücher Kazantzakis', die wir so lieben, die Musik Theodorakis', die wir so gerne hören? Weiß er um die Geschichte seines Erdfleckens oder muß er nachlesen, Altgewußtes auffrischen wie ich es tue mit Michael Köhlmeiers Kalypso?

Wie aus dem Unterbewußtsein tauchen die Erzählungen Homers auf, ich hätte ihn noch lieber gelesen, hätte ich schon als junger Mensch dieses Land gekannt. Ich hätte den Redner, den Dulder Odysseus lieber gehabt und den dummen Kriegsgott Ares noch mehr verachtet. Erst hier begreift man, warum es die Menschen des Nordens nach dem Süden zog, warum sie immer wieder wie die Lemminge durch die Alpentäler strömten und sich in den Süden Italiens ergossen. Oder bis weit über die Grenzen nach Griechenland, Afrika sogar. Vielleicht war die Eroberungssucht mehr der Drang ans gleißende Licht, an die Wärme der Sonne, die rotschimmernd täglich hinter den Bergen Kretas aufsteigt. Wer weiß es, wer kann es sagen? Verstehen könnte ich es.

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