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Eine Symphonie in Licht

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Aber diesen Sommer net schon wieder einen Jubelartikel über Venedig, meinte ein furchk-Gewaltiger vor Urlaubsgbeginn. Ich hab mir's zu Herzen genommen, bin für knappe zehn läge nach Kreta geflogen, um Sonne und Ruhe für die Salzburger Festspiele zu tanken und endlich einmal nicht über Venedig schreiben zu müssen.

Nun sitze ich auf der Terrasse, höre das Meer leicht rauschen und freue mich aufs Frühstück. Das „große” Erlebnis des Tages ist vorüber: der Sonnenaufgang pünktlich 6.16 Uhr. Zuerst Dämmern, die Bergrücken der Nachbarinsel ragen aus den schwarzglänzenden Wogen wie schlafende Ungeheuer, dann dunkles Rot, das in lindes Rosa übergeht. Nirgends ist die Morgenröte deutlicher sichtbar als hier. Jetzt eine Symphonie in Licht: Erster Satz, die Sonne kündigt sich durch helle Strahlen an. Zweiter Satz, hellrot taucht der Rand der wärmenden Scheibe auf. Dritter Satz, sie hebt sich. Vierter Satz, sie steigt, steigt wie eine brennende Hostie, steigt, steigt, ist da! Akkord! Wie heißt es in der „Schöpfung” von Haydn? „Es werde Licht.” Und dann der mächtige Klang - so schön, so erhebend, daß man spürt, wie einem ein Schauer über den Rücken rieselt. Das sind die Momente, wo ich das Bedürfnis habe, niederzuknien und demütig „danke” zu sagen. Langsam breitet sich Buhe und Wärme über das Wasser. Die Angst, die die Alten hatten, sie, die Sonne, könnte eines Tages nicht mehr aus dem Meer tauchen, war für heute unbegründet. Buhig lege ich mich in den Liegestuhl zurück und greife nach dem großartigen Tele-mach des Michael Köhlmeier. Da hat der Mann aus Hohenems etwas Wunderbares geschaffen, und ich genieße gerade hier die Lektüre in vollen Zügen. Natürlich ohne den Kritikerblick des Reich-Ranicki, ohne Löfflersche Besserwisserei und professionelle Mißgunst. Der modern mystische Telemach ist ein Griechenlandbuch wie die „Schwarzen Oliven” des Lawrence Durreil und der Alexis Sorbas, der mich noch immer packt, wenn ich ihn durchblättere.

Ich liebe es, nach dem Frühstück auf Forschungsreise zu gehen. Ich will auch hier das Land und die Leute sehen, kennen- und verstehenlernen. Im kleinen Dreihäuserdorf finde ich den freundlichen Alten, der die kretischen Hirtenstäbe biegt und Holzlöffel schnitzt. Er ist weißhaarig, unrasiert, trägt das schwarze Kopftuch der Kreter, ein schwarzes Hemd, dunkle Hosen und die weichen Lederstiefel. Ist er älter als ich? Ich kann es nicht schätzen. Fragen? Vielleicht morgen, wenn ich wiederkomme, um seine Marillen zu kosten. Ich sehe den kaffeetrinkenden Gastwirt allein auf einem der blauen Sessel sitzen. In einer Stunde kommen die Gäste und bleiben lange, manchmal den ganzen Tag. Autos quietschen, und hin und wieder reitet ein Mann auf einem Esel vorüber. Noch ein Schalerl griechischen Kaffee, wer türkischen sagt, wird nicht bedient. Auch hier die Sitte wie bei uns, vor dem Kaffee ein Glas Wasser zum Mundausspülen. Bäsch weg, bevor es heiß wird und flugs ins kühle Meer. Wieder lesen, schreiben, faul sein. Urlaub, hat der kluge Herr Papa immer gesagt, ist nur dann erholsam, wenn einem fad ist. Aber wer will das heute in unserer gehetzten Zeit? Wer? Außer mir kenne ich niemand. Interessant auch das Verhalten der Gäste: Schwergewichtige Amis; stille, gurgelnd redende Schweizer; laute, flotte Italiener; ein paar Österreicher, Tschechen und Holländer. Die Deutschen hier -freundlich und höflich. Sie werden von den Kretern nett behandelt und verwöhnt wie alle anderen Urlauber. (Hier sei für die österreichischen Gastronomen angemerkt: Mit Höflichkeit auch den eigenen Landsleuten gegenüber wären manche Einbrüche der Touristenbranche zu vermeiden gewesen.)

Ich muß mich zurückhalten, um nicht nach rückwärts zu denken. 50 Jahre ist es her, daß deutsche Truppen Kreta besetzt haben und mit drakonischen Maßnahmen verwalteten. Heute? Man besucht sich, ist nett, wird gut behandelt. Verstellung? Oder wächst nicht nur Gras über alte Geschichten, sondern auch Europa zusammen? Man steht hier auf der Insel des Zeus auf dem Standpunkt: Der Zweite Weltkrieg war ein Weltkrieg und nicht a priori gegen Griechenland gerichtet. Man kann sich geschicktere Formulierungen des Ver-gessenwollens ausdenken, diese jedoch wird akzeptiert. Jedenfalls solange das Geschäft (bei deutschen Besuchern ist ein großer Rückgang zu bemerken) floriert. Der Fall ist ja auch einfacher als zum Beispiel die Bewältigung der Erinnerung an den grausigen Holocaust. Da wird eine Trauer und Besinnungszeit von 50 Jahren wohl nicht genügen. Beten wir, daß es unsere Nachfolgegeneration schaffen wird. So wie die Kreter ihre Gefühle den Deutschen gegenüber „in den Griff bekommen haben ”.

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